Mörderisches Sachsen. Eveline Schulze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eveline Schulze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783360501752
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Oder auf der Oybiner Straße. Und dann hat es auch in der Zeitung gestanden. Und das wurde erzählt und davon gesprochen.

      Frage: Sie sagten vorhin, Sie wollten Ihren Cousin rächen. Das habe ich noch nicht so richtig begriffen, was der Tod Ihres Cousins mit der Frau zu tun hat. Sie haben eben gesagt, dass Sie die Frau nie zuvor gesehen und nicht gekannt haben.

      Antwort: Ich habe die Frau nicht gekannt.

      Frage: Warum haben Sie sich ausgerechnet an dieser Frau gerächt?

      Antwort: Wie ich an dem Abend nach Hause gehe und ich bin am Volkshaus ran, kam die Frau. Und ich bin der Frau hinterhergegangen. Und da, bei der Weberkirche, wo es so finster ist, habe ich zugeschlagen.

      Frage: Hätten Sie das auch getan, wenn es ein Mann gewesen wäre?

      Antwort: Das kann ich nicht sagen.

      Frage: Dass es aber eine Frau war, haben Sie erkannt?

      Antwort: Ich habe gesehen, dass es eine Frau war. So mit den Rüschen, mit dem weißen Häubchen. Männer tragen auch Bauchläden, das gibt es auch. Aber eine Frau läuft anders. Die tritt nicht so schwer auf wie ein Mann. An dem Gehen ist das schon zu sehen, ob es ein Mann oder eine Frau ist.

      Frage: Und warum wollten Sie sich wegen Ihres Cousins rächen?

      Antwort: Mein Cousin ist im Krieg geblieben. Und damals, vier Jahre nach dem Krieg … Als ich es getan habe, es mag eigenartig sein, aber …

      Frage: Was hatte die Frau mir Ihrem Cousin zu tun?

      Antwort: Gar nichts zu tun.

      Frage: Wie fühlen Sie sich? Sind Sie müde? Abgespannt?

      Antwort: Etwas müde.

      Frage: Aber Sie verstehen uns?

      Antwort: Ich kann Sie gut verstehen.

      Frage: Möchten Sie schlafen?

      Antwort: Nein, ich möchte jetzt nicht schlafen.

      Frage: Wenn wir jetzt sagen würden: Sie können jetzt schlafen gehen, würden Sie da gleich schlafen?

      Antwort: Das kann ich nicht genau sagen, ob ich gleich einschlafen würde. Etwas müde bin ich. Aber ob ich sofort einschlafen würde, das kann ich nicht sagen.

      Frage: Trinken Sie Alkohol?

      Antwort: Ja, ich trinke, wenn wir mit der Musik unterwegs sind. Wir haben vorgestern Abend auch gespielt. Zur Urlauberbetreuung im Chemieheim in Olbersdorf. Wir sind Kollegen vom Betrieb. Wir sind Amateurmusiker. Da haben wir zur Urlauberbetreuung gespielt. Wenn wir unterwegs sind, da trinke ich auch manchmal ein paar Biere. Oder zu Hause trinke ich auch mal eine Flasche Bier. Oder Freitag und Sonnabend kaufe ich mir auch im Geschäft mal ein paar Flaschen Bier.

      Frage: Was verdienen Sie im VEB Robur?

      Antwort: Ungefähr 500 MDN brutto.

      Frage: Beim Musikmachen verdienen Sie auch?

      Antwort: Da verdiene ich auch etwas. Das kommt auf die Stunden an. Manchmal jeden Sonnabend, manchmal auch wochentags. Im Durchschnitt so 25 MDN pro Abend.

      Frage: Sparen Sie das Geld?

      Antwort: Manchmal kann ich mir etwas sparen. Manchmal brauche ich es für die Miete. Oder wenn ich mir halt etwas zum Anziehen kaufe. Oder zu essen.

      Frage: Haben Sie überhaupt etwas gespart? Wo haben Sie das?

      Antwort: Bei der Bank für Handwerk und Gewerbe.

      Frage: Fühlen Sie sich gegenwärtig ruhiger als in den vergangenen Jahren und Tagen?

      Antwort: Etwas.

      Frage: Was bedrückt Sie denn noch?

      Antwort: Die Ungewissheit, was mit mir werden soll.

      Frage: Möchten Sie lieber nach Hause gehen?

      Antwort: Ich kann nicht nach Hause gehen. Nicht ohne weiteres. Sie können mich hierbehalten.

      Frage: Herr Morche, bedroht Sie jemand? Haben Sie vor irgendjemandem Angst?

      Antwort: Nein, mich erpresst niemand. Mich bedroht auch niemand, und Angst habe ich auch nicht.«

      Montag, 3. Juli

      Der Staatsanwalt des Kreises Bautzen, Kroschk, stellt auf Anforderung der Ermittler die Akte in der »Mordsache Hölzel« dem Volkspolizeikreisamt Zittau zu. Dem Anschreiben ist zu entnehmen: zu Händen »Genossen Oberleutnant Strengeld«.

      Donnerstag, 6. Juli

      Das Kommissariat II der Kriminalpolizei in Görlitz quittiert den Eingang aller Unterlagen aus Zittau, die Bearbeitungsfrist für das Ermittlungsverfahren wird auf den 15. Juli 1967 festgelegt. Viel Zeit lässt man sich also nicht. Es wird, so heißt es auf der Quittung, wegen »dringendem Tatverdacht des Mordes« seit dem 1. Juli gegen den Transportarbeiter Morche ermittelt.

      Dazu ordnet Oberleutnant der K Horstmann als amtierender Leiter der Abteilung K in Görlitz an:

      »1. Ermittlung und Vernehmung von Zeugen

      2. Vernehmung des Beschuldigten auf Tonband

      3. Überprüfung des Gesundheitszustandes des Beschuldigten und Einholung gesundheitsmäßiger Gutachten

      4. Beantragung eines Unterbringungsbefehls

      5. Zusammenwirken und Übergabe des Ermittlungsverfahrens mit Kommissariat II organisieren.«

      Montag, 10. Juli

      Oberleutnant Strengeld sucht in Zittau das Haus Äußere Weberstraße 70 auf, in welchem Anni Hölzel bis zu ihrer Ermordung 1949 gewohnt hat. Unmittelbarer Anlass für diesen Ortstermin, den er gemeinsam mit Unterleutnant Kahlert von der Abteilung Schutzpolizei des VPKA wahrnimmt, ist die Selbstbezichtigung Morches, eine Marianne Böhmer erschlagen zu haben. Sie habe in dem Haus gegenüber der HO-Gaststätte Freudenhöhe über der Fleischerei gewohnt. Im Protokoll steht: »Weiterhin erklärte der Beschuldigte, dass die Marianne Böhmer einen Sohn hat, der jetzt noch in dem bezeichneten Hause wohnhaft sei.«

      Strengeld und Kahlert notieren nach dem Ortstermin: »Wie einige seit 1945 in diesem Hausgrundstück wohnhafte Hausbewohner erklärten, hat in diesem Haus nach 1945 nie eine Marianne Böhmer gewohnt.«

      Bei der Gelegenheit erkundigen sich die beiden Polizisten auch, was aus dem Sohn der tatsächlich ermordeten Verkäuferin, Wolfgang Hölzel, geworden sei. »Nach dem Ableben seiner Mutter«, so heißt es in der Aktennotiz, sei er verzogen, sein derzeitiger Aufenthaltsort sei den Hausbewohnern nicht bekannt.

      Wie sich also zeigt, liegt bei dem offenkundig geistig verwirrten Morche eine namentliche Verwechslung vor. Es geschah damals tatsächlich ein Mord in Zittau, aber nicht, wie er meint, 1950, sondern bereits im Jahr zuvor. Und das Opfer hieß nicht Marianne Böhmer, sondern Anni Hölzel. Das Einzige, was stimmt, ist der Fundort der Leiche.

      Was aber hat Karl Morche mit diesem Mordfall zu tun? Gibt es überhaupt eine Verbindung? Und war er damals noch klar im Kopf, also schuldfähig, als er vielleicht zum Mörder wurde?

      Dienstag, 11. Juli

      Oberleutnant der K Strengeld beantragt beim Staatsanwalt des Kreises Zittau die Anordnung der Durchsuchung der Wohn- und Nebenräume des Transportarbeiters Karl Morche in der Inneren Oybiner Straße 6.

      »Es ist bekannt, dass der Beschuldigte schon mehrfach wegen manischer Depressionen in der Pflegeanstalt Großschweidnitz durch Ärzte eingewiesen worden war. Unbeschadet dessen ist zu befürchten, dass der Beschuldigte tatsächlich den Mord, dessen er sich selbst bezichtigt, begangen haben kann. Deshalb ist die Durchsuchung der Wohn- und Nebenräume des Beschuldigten zwingend notwendig und auch rechtlich begründet, um nach Beweismitteln (Handtasche der Ermordeten mit Inhalt u.a.m.) zu suchen.«

      Am gleichen Tag geht ein von Hauptmann der K Niebel unterzeichnetes Schreiben von Görlitz an das Amt für Meteorologie in Dresden. Die Ermittler wollen wissen, »welche Witterungsverhältnisse im Stadtgebiet von Zittau herrschten,