Mörderisches Sachsen. Eveline Schulze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eveline Schulze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783360501752
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besorgen. »Er ist ein Phlegmatiker und hat das immer aufgeschoben. Bis zum Donnerstag, dem 29. Juni, hatte er sich noch nicht um den Passierschein bemüht. Deshalb habe ich ihn scharf gemacht.« Am Abend hätten sie gemeinsam gespielt, und Ferner habe ihm gesagt, dass er anderentags – also am Freitag – unbedingt zur Polizei gehen müsse, um das Papier abzuholen. Das wäre die letzte Gelegenheit, ansonsten könne er nicht mitfahren.

      »Das hat er mir auch versprochen«, zitiert das Protokoll Josef Ferner. Er habe am Freitag auch von Kollegen aus Morches Brigade gehört, dass diese im gleichen Sinne Morche bedrängt hatten. Der Brigadier Manfred Haußig will dabei Veränderungen bei Morche beobachtet haben. Er hätte zum Beispiel jedes Wort wiederholt, das Haußig ihm gesagt habe, was doch ungewöhnlich gewesen sei.

      Morche ging also, wie aufgefordert, gegen 18 Uhr zum Volkspolizeikreisamt – aber nicht, um einen Tagespassierschein für den Brigadeausflug am Sonntag zu beantragen, sondern um sich selbst anzuzeigen.

      Vor drei Tagen, so schließt Josef Ferner seine Aussage, habe er in Großschweidnitz Morche besuchen wollen. Obgleich er sich zuvor telefonisch erkundigt hatte und ihm gesagt worden war, dass einem Besuch nichts entgegenstünde, musste er zurückkehren, ohne Morche gesehen zu haben. Dessen Gesundheitszustand, so der Arzt, habe sich »überraschend« verschlechtert.

      Donnerstag, 21. September

      Von 8.40 Uhr bis 11.30 Uhr wird die Zeugin Ursula Morche, geborene Tzscherlich, von Oberleutnant der K Strengeld neuerlich vernommen. Wie schon bei ihrer ersten Befragung am 1. Juli durch Oberleutnant Horstmann wird sie zuvor belehrt, welche strafprozessualen Folgen Falschaussagen nach sich ziehen können.

      »Frage: Haben Sie die vier schwarzen Lederhandtaschen oder eine davon irgendwo schon einmal gesehen? Kommt Ihnen eine der Ihnen vorgelegten Handtaschen irgendwie bekannt vor?

      Antwort: Ich habe die mir vorgelegten vier Handtaschen genau angesehen. Keine davon habe ich jemals gesehen, keine kommt mir bekannt vor.

      Frage: Kennen Sie die Gaststätte Freudenhöhe in der Neusalzaer Straße?

      Antwort: Ja, diese Gaststätte kenne ich. Sie befindet sich unweit von meinem Elternhaus, in dem ich wohnhaft bin. Das ist die Neusalzaer Straße 13, wo ich geboren und aufgewachsen bin.

      Frage: Kennen Sie das Eckhaus Äußere Weberstraße 70, welches sich gegenüber der Gaststätte Freudenhöhe befindet?

      Antwort: Ja, dieses Wohngrundstück ist mir bekannt. Dort befand sich früher die Fleischerei Halangk. Jetzt ist dort das Lebensmittelgeschäft Dippold mit Gemüseverkauf.

      Frage: Kennen Sie Bewohner des Hauses Äußere Weberstraße 70?

      Antwort: Ich kannte Fleischermeister Halangk sowie Annemarie Drossel, die als Verkäuferin in der Konsum-­Lebensmittelverkaufsstelle Rathausplatz, Ecke Brüderstraße beschäftigt war, wo ich auch einmal gearbeitet habe. Sonst kannte ich keinen aus dem Haus. Eine Anni Hölzel, die im Haus Äußere Weberstraße 70 gewohnt haben soll, ist mir unbekannt. Die Frau, deren Lichtbild mir vorgelegt wurde, kenne ich nicht. Mir ist gesagt worden, dass es sich um Frau Hölzel handele.

      Frage: Kennen Sie einen Wolfgang Hölzel, der ebenfalls in der Äußeren Weberstraße 70 wohnhaft gewesen ist?

      Antwort: Der Name Wolfgang Hölzel sagt mir ebenfalls nichts. Auch der Hinweis darauf, dass wir fast zur selben Zeit geboren wurden – er im Januar 1932 und ich im Mai 1932 – und wir beide in unmittelbarer Nähe wohnten, was bedeutete, dass wir beide die gleiche Schule, vielleicht sogar die gleiche Klasse besuchten, ändert daran nichts. Ich kann mich an einen Wolfgang Hölzel nicht erinnern. Vielleicht liegt das daran, dass ich ab dem 5. Schuljahr, also ab 1942/43, die Mittelschule in Zittau besucht habe. Ich habe die Schule 1946 mit der 8. Klasse verlassen. Danach besuchte ich ein Jahr lang die Haushaltsschule, und anschließend absolvierte ich eine dreijährige Lehrzeit als Verkäuferin im Lebensmittelgeschäft Walter Schneider in der Breitestraße 25 in Zittau.

      Frage: Hatte Ihr Vater, der selbständige Fleischermeister Walter Tzscherlich, Telefon im Hause?

      Antwort: Ja. Wir hatten einen Telefonanschluss zu Hause. Mein Vater verstarb am 14. Dezember 1957 an Lungenkrebs. Wann meine Eltern den Fleischerladen schlossen, weiß ich nicht mehr. Sie betrieben die Fleischerei schon nicht mehr im Jahr meiner Eheschließung. Das Telefon existierte bereits 1950 nicht mehr. Auf der fotokopierten Ausgabe des Fernsprechanschlussverzeichnisses der Stadt Zittau von 1950, die mir vorgelegt wurde, finde ich den Telefonanschluss meines Vaters auch nicht mehr.

      Frage: Hatten Ihre Schwiegereltern, hatte der Schneidermeister Josef Morche einen Telefonanschluss?

      Antwort: Als ich 1948 meinen späteren Ehemann kennenlernte, hatten Morches noch keinen Anschluss. Später hatten sie Telefon im Hause, aber genau kann ich das nicht sagen. Anhand der vorgelegten Fotokopien des Telefonanschlussverzeichnisses von Zittau kann ich sagen, dass erst in der Ausgabe von 1952 mein damaliger Schwiegervater Josef Morche unter der Telefonanschlussnummer 3566 verzeichnet ist. Ich kann mich nicht erinnern, dass mein geschiedener Ehemann und ich oft miteinander telefoniert hätten. Er hat mich nur selten im Geschäft, also auf der Arbeitsstelle, angerufen, sonst nicht.

      Frage: Waren Sie mit Ihrem geschiedenen Ehemann in den HO-Gaststätten Volkshaus und Dreiländereck in Zittau zu Gast?

      Antwort: Ja. Vor unserer Ehe und auch zu Anfang bin ich manchmal mit ihm an Wochenenden oder an Feiertagen dorthin gegangen. Andere Gaststätten haben wir nur selten aufgesucht.

      Frage: Kannten Sie oder Karl Morche Angestellte aus dem Volkshaus oder dem »Dreiländereck«?

      Antwort: Persönlich kenne ich nur den Kollegen Raschke, den Objektleiter des »Dreiländerecks«, und den Kollegen Schulz, den Objektleiter des Volkshauses. Sonst kenne ich keinen Angestellten dort. Ob mein geschiedener Mann irgendeinen weiblichen oder männlichen Angestellten in den beiden HO-Gaststätten kennt, weiß ich nicht.

      Frage: Können Sie sich erinnern, wie oft Sie von Karl Morche 1950 besucht wurden?

      Antwort: Ich kann mich nicht erinnern, dass er einmal bis Mitternacht geblieben wäre. Das hätten meine Eltern auch nicht geduldet. Ich war 1950 erst 18 Jahre alt. Es kann nur sein, dass wir einmal ausgegangen sind und er mich nach Hause gebracht hat. Wir waren meist im Kino. Was er nach der Verabschiedung gemacht hat, ob er eventuell noch wo hingegangen ist, weiß ich nicht. Ich glaube aber nicht, dass er im Anschluss noch irgendetwas unternommen hat. Ich halte es auch für völlig ausgeschlossen, dass er außer zu mir Beziehungen zu anderen Frauen gehabt oder solche gesucht hat. Es war nicht seine Art, nach anderen Frauen zu schauen. 1950 hat er niemals übermäßig Alkohol getrunken. Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals angeheitert oder gar betrunken gewesen ist.

      Frage: Haben Sie im Sommer 1950 an einer großen Kulturveranstaltung im Volkshaus teilgenommen, zu der die IG Metall eingeladen hatte und an der Volkskunstgruppen der Volkspolizei und des VEB Phänomen, heute Robur, mitwirkten?

      Antwort: Nein. Später besuchte ich einmal im Volkshaus eine solche Kulturveranstaltung, 1950 bestimmt nicht. In welchem Jahr das war, weiß ich nicht. Ich glaube, da waren wir schon verheiratet. Karl Morche hielt sich oft an der Theke auf und war ziemlich angeheitert. Obwohl wir bereits verheiratet waren, wohnten wir noch getrennt bei unseren Eltern. Er brachte mich nach Hause, glaube ich jedenfalls.

      Frage: Welchen Weg nahm Karl Morche, wenn er von Ihnen zurück zu seinen Eltern ging?

      Antwort: Ich nehme an, dass er über die Äußere Weberstraße nach der Inneren Oybiner Straße 28 gegangen ist. Also am Ende der Äußeren Weberstraße müsste er gegenüber der Weberkirche in die Grünanlagen neben dem Feierabendheim »Rosa Luxemburg« oder in die Dr.-Brinitzer-Straße zur Inneren Oybiner Straße gelaufen sein.

      Frage: Nachdem Sie am 1. Juli 1967 in der zu klärenden Sache erstmals als Zeugin vernommen wurden und Sie wissen, dass Ihr geschiedener Ehemann sich selbst bezichtigt hat, an der Weberkirche eine Frau getötet zu haben, hatten Sie Zeit, alles in Ruhe zu überdenken. Haben Sie von Ihrem geschiedenen Mann, auch andeutungsweise, jemals gehört, dass er mit diesem Tötungsverbrechen in Verbindung stünde?

      Antwort: Nein, niemals.