Mörderisches Sachsen. Eveline Schulze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eveline Schulze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783360501752
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etwas erzählt.

      Frage: Haben Sie etwas im Kalender oder in einem Tagebuch vermerkt?

      Antwort: Da habe ich auch nichts festgehalten. Ich habe mir nichts aufgeschrieben.

      Frage: Es ist unwahrscheinlich, dass Sie sich so genau an alles erinnern können. Was hat Sie veranlasst, sich alles so genau zu merken?

      Antwort: Mein Freund – vielleicht kennen Sie ihn auch –, der Herr Ferner, der hat mir mal die Geschichte erzählt … Wir sind darauf zu sprechen gekommen, als er mal zu Besuch bei mir war. Kollege Ferner arbeitet in der Verwaltung vom VEB Robur, in der Materialverbrauchs-Normung. Das war schon in der neuen Wohnung, also nach 1962. Mein Vater ist 1962 gestorben, ich konnte damals die große Wohnung nicht behalten. Bekam dann 1962 die Zwei-Zimmer-Wohnung in der Inneren Oybiner Straße, wo ich jetzt wohne. Da sind wir mal ins Gespräch gekommen. Ich weiß nicht, wodurch ich angeregt wurde, durch Zeitungen, Radio oder so. Wir kamen darauf zu sprechen, von der Frau, die an der Weberkirche damals erschlagen wurde. Da hat er mir erzählt, dass er den Mord entdeckt hat. Er ist ­später dort gewesen. Woher er gekommen ist, weiß ich nicht. Er wohnte damals auch schon in der Dr.-Friedrich-Straße. Aber sonst haben wir weiter nicht mehr davon gesprochen.

      Frage: Hat die Frau geschrien, als Sie sie mit der Eisenstange schlugen?

      Antwort: Hat nicht geschrien. Weil es schnell gegangen ist.

      Frage: Sind Sie am nächsten Tag noch einmal dorthin gegangen? Haben Sie sich umgesehen, ob Sie eventuell etwas verloren hatten?

      Antwort: Am nächsten Tag wurde von dem Mord bei uns in der Werkstatt erzählt. Mein Vater hatte eine Maßschneiderei und mehrere Gehilfen beschäftigt. Und da sind viele Leute, auch welche aus unserer Straße, dann zur Weberkirche gelaufen und haben sich das angesehen. Mittlerweile war aber der Tatort schon abgesperrt und die Frau mit einer Plane zugedeckt. Ich habe mir das nicht angesehen. Ich weiß es nur vom Erzählen her. Ich bin nicht hingegangen.

      Frage: Herr Morche, wie kommt es, dass Sie heute, nach so vielen Jahren, zu uns gekommen sind und ein Geständnis abgelegt haben? Hat Sie jemand geschickt?

      Antwort: Nein, es hat mich niemand geschickt.

      Frage: Gab es einen Moment, einen Grund, der Sie veranlasst hat, hierherzukommen?

      Antwort: Vielleicht trug dazu bei, weil ich mit nach der ČSSR fahren wollte. Aber da habe ich mir gesagt: Du musst erst mal das melden. Du musst erst mal fragen. Ich hätte das schon viel eher sagen sollen.

      Frage: Mit wem wollten Sie in die Tschechoslowakei fahren?

      Antwort: Mit Arbeitskollegen aus dem Betrieb. Es sollte auch in die alte Heimat gehen, nach Friedland und ins Isergebirge, nach Gablonz und Reichenberg. So hat es mir ein Kollege am Telefon gesagt. Und da ist gestern Vormittag ein Kollege bei mir gewesen und hat gesagt, ich sollte einen Tagesausweis im Kreispolizeiamt holen, das ist bis 18 Uhr geöffnet. Und er sagte auch, es sind viele Leute, da kannst du auch später gehen. Als ich zur Anmeldung kam, wo es die Formulare gibt, war schon geschlossen.

      Frage: War das der Anlass, dass Sie zu uns gekommen sind? Haben Sie meine Frage verstanden?

      Antwort: Ich hätte schon viel eher kommen sollen.

      Frage: Und warum sind Sie nicht schon früher gekommen?

      Antwort: Manchmal dachte ich, ich käme darüber hinweg. Aber da kam ich nicht drüber weg. Das kann man nicht einfach vergessen.

      Frage: Sie haben bis 1952 eine sehr ansprechende Entwicklung genommen. Sie haben die Volksschule, Hauptschule, dann die Oberschule besucht, haben einen Beruf erlernt …

      Antwort: Ich bin in Friedland zur Schule gegangen.

      Frage: 1952 wurden Sie erstmals in die Nervenheilanstalt Großschweidnitz eingeliefert. Was war der Anlass dafür?

      Antwort: Also, man kann sagen, 1952 bin ich das erste Mal hingekommen. Aber das war keine eigentliche Behandlung. Das war mehr zur Beobachtung. 1953 bin ich das erste Mal zur Behandlung hingekommen.

      Frage: Was hat man denn 1952 bei Ihnen beobachtet?

      Antwort: Das weiß ich nicht.

      Frage: Wer hat Sie denn nach Großschweidnitz geschickt? Sind Sie von allein hingegangen?

      Antwort: Nein. Herr Dr. Knoch-Weber hat mich überwiesen. Wegen meinem nervlichen Zustand. Erst bin ich depressiv gewesen, dann bin ich wieder lebhaft und unruhig gewesen. Das fing 1952 an.

      Frage: Warum hat das 1952 angefangen? Gab es einen Grund?

      Antwort: Vielleicht berufliche Anstrengungen. Es hat 1952 vor meiner Verlobung angefangen, da war ich beruflich überanstrengt. Da war ich niedergeschlagen. Vielleicht sollte ich mich nicht erst verloben …

      Frage: Worauf ist die Nervengeschichte zurückzuführen?

      Antwort: Vielleicht auch schon mit der ganzen Sache an der Weberkirche … Das hat schon etwas dazu beigetragen. Es steckte in mir, dass ich die Tat begangen habe.

      Frage: Haben Sie schon früher so etwas gehabt?

      Antwort: Nein.

      Frage: Was haben Sie in Großschweidnitz dem Arzt erzählt? Er wird Sie doch sicher gefragt haben, was Sie für Sorgen haben, für Nöte. Wie es Ihnen geht. Und Sie werden ihm ja eine Antwort gegeben haben. Können Sie sich daran erinnern? An das Aufnahmegespräch.

      Antwort: Wenn man in Großschweidnitz aufgenommen wird, dann wird man dem Arzt vorgestellt. Und der Arzt setzt sich mit der Frau in Verbindung, oder mit der Braut. Oder mit den Eltern setzt er sich auch in Verbindung. Der Arzt wird wahrscheinlich auch mit meinen Eltern gesprochen haben.

      Frage: Hat er auch mit Ihnen gesprochen?

      Antwort: Mit mir hat er auch gesprochen.

      Frage: Was haben Sie denn da gesagt?

      Antwort: Dem habe ich überhaupt nichts gesagt. Vielleicht habe ich es auf den Beruf geschoben, auch arbeitsmäßige Überlastung.

      Frage: Sie sagten vorhin: Vielleicht hat es schon in mir gefressen. Warum haben Sie ihm das nicht gesagt?

      Antwort: Über so etwas kann man nicht einfach sprechen. Da versucht man wieder drüber wegzukommen. Aber auf die Dauer ist das auch nichts Gutes.

      Frage: Herr Morche, wissen Sie nach so vielen Jahren, wie die Frau heißt, wo sie gewohnt hat, was sie gemacht hat, ob sie Angehörige oder Kinder hatte?

      Antwort: Welche Frau meinen Sie?

      Frage: Die Frau, die Sie niedergeschlagen haben.

      Antwort: Marianne Böhmer. Sie wohnte auf der Freudenhöhe gegenüber der Gaststätte. Früher war da die Fleischerei. Jetzt ist, glaube ich, ein Gemüseladen drin. Der Eingang zu diesem Haus ist von der Dresdner Straße. Unten, wenn man die Straße runtergeht … Ich weiß nicht, was da jetzt drin ist. Vor einiger Zeit ist der VEB Kohlehandel drin gewesen.

      Frage: Wie kommen Sie auf diese Frau und diesen Namen?

      Antwort: Die Frau hat auch einen Sohn. Der wohnt noch in diesem Haus.

      Frage: Woher wissen Sie, dass sie Böhmer hieß?

      Antwort: Es wurde damals doch viel davon gesprochen und erzählt.

      Frage: Haben Sie die Frau schon früher gekannt?

      Antwort: Nein, da habe ich sie nicht gekannt.

      Frage: Es ist also für Sie eine fremde, unbekannte Frau gewesen?

      Antwort: Eine ganz fremde Frau. Bloß später, wo das passiert war, erfuhr ich, dass sie auf der Freudenhöhe wohnte. Und der Junge war damals noch klein.

      Frage: Wie alt war denn der Junge damals?

      Antwort: Das weiß ich nicht. Jetzt ist er groß und erwachsen und arbeitet auch in der HO.

      Frage: Von wem haben Sie denn erfahren, dass die Frau auf der Freudenhöhe wohnt und Böhmer heißt?

      Antwort: