Am Samstagnachmittag wird eine weitere Ergänzungsmeldung erforderlich. Man habe, so tickern die Zittauer Ermittler nach Dresden, sowohl gegen den Selbstbezichtiger Morche ein Ermittlungsverfahren gemäß §211 Strafgesetzbuch eingeleitet als auch einen »Unterbringungsbefehl in die psychiatrische Spezialklinik Großschweidnitz« beantragt. In jener Klinik soll Morche seit 1952, wie die ersten Recherchen ergaben, bereits neun Mal zur Behandlung gewesen sein. Ferner lässt man die vorgesetzten Genossen an der Elbe wissen, dass Zittau den Fall an das Kommissariat II in Görlitz übergeben hat. Es sei bereits eine »Anleitung durch die MUK Dresden und durch Staatsanwalt Elsner von der Bezirksstaatsanwaltschaft Dresden« erfolgt. Vermutlich wurde dort entschieden, dass Görlitz den Fall Morche übernimmt.
Um 11.20 Uhr war Ursula Morche zur Zeugenvernehmung im VPKA Zittau erschienen. Bis 14.20 Uhr wurde Morches Ex-Frau von Oberleutnant Horstmann befragt. Die Quintessenz des sechsseitigen Protokolls führte offenkundig zu jener ersten Ergänzungsmeldung, die alsbald nach Dresden per Fernschreiber übermittelt worden war.
Ursula Morche leitet den HO-Laden für Molkereierzeugnisse in der Zittauer Geschwister-Scholl-Straße. Sie ist Jahrgang 1932 und Tochter eines Fleischermeisters. 1948 lernte sie in der Tanzstunde Karl Morche kennen. Natürlich kreisen Horstmanns Fragen alsbald um Morches geistige Auffälligkeiten im Mordjahr.
»Frage: Gab es zu dieser Zeit bereits Merkmale einer Nervenkrankheit?
Antwort: Nein. Ich fand Herrn Morche vollkommen normal, von einer nervlichen Krankheit waren keine Anzeichen vorhanden.
Frage: Auch im Jahre 1950 nicht?
Antwort: Ja, auch zu dieser Zeit nicht.
Frage: Wie drückte sich Ihr persönlicher Verkehr zu dieser Zeit aus, speziell im Jahre 1950?
Antwort: Ich weiß nur noch, dass ich im Jahr 1949 die Tanzstunde beendete. Danach sind wir bereits familiär verkehrt, wir haben uns wechselseitig in den Familien besucht.
Frage: Gab es zwischen Ihnen bereits in den ersten Jahren, so zwischen 1948 und 1950, intimen Verkehr?
Antwort: Zu Anfang auf keinen Fall. Es ist möglich, dass wir im Jahr 1950 bereits intim verkehrten. In jener Zeit waren wir hauptsächlich an den Wochenenden zusammen und weniger in der Woche. Wir besuchten Tanzveranstaltungen, gingen ins Theater oder ins Kino.
Frage: Wie war das Verhalten des Morche zu Ihnen?
Antwort: Es war auf jeden Fall so, dass ich spürte, dass mich Morche liebte und mich heiraten wollte.
Frage: Haben Sie sich verlobt?
Antwort: Wir verlobten uns erst 1952. Ich muss hierzu erklären, dass meine Eltern gegen die Verbindung waren. Dabei richtete sich die Abneigung meiner Eltern nicht direkt gegen Morche, es betraf mein Alter.
Frage: Ist Ihnen bekannt, dass im Jahr 1950 in Zittau an der Weberkirche ein Mord geschah?
Antwort: Mir ist erinnerlich, dass in Zittau ein Mord geschah, auch dass es an der Weberkirche war. Ich kann mich aber auf die Jahreszahl nicht festlegen.
Frage: Können Sie sich erinnern, ob Morche mit Ihnen darüber sprach?
Antwort: Nein, das ist mir nicht erinnerlich.
Frage: Wann haben Sie sich verlobt?
Antwort: Wir verlobten uns im Monat April 1952. Da war ich bereits schwanger von Morche. Unser Junge wurde am 4. September 1952 geboren.
Frage: Wo war Morche zu dieser Zeit beschäftigt?
Antwort: Morche war die gesamte Zeit über (während ihrer Beziehung – E. Sch.) im Geschäft seiner Eltern als Schneider beschäftigt. Es handelte sich dabei um die Schneiderei in der Inneren Oybiner Straße 28 in Zittau. Dort arbeiteten drei Angestellte und der Schneidermeister, Vater Morche.
Frage: Wann traten erstmals nervliche Krankheitsmerkmale auf?
Antwort: Zwischen der Verlobung und der Trauung am 7. April 1953.
Frage: Wie zeigte sich das, und was geschah darauf?
Antwort: Morche wohnte bei seinen Eltern. Er ging nicht arbeiten und blieb im Bett. Ich wurde geholt und sollte ihn umstimmen, doch auch mir gelang das nicht. Ein andermal wollten wir zu seinen Verwandten nach Plauen fahren, auch das fiel ins Wasser. Er war fast nicht ansprechbar. Dr. Knoch-Weber überwies ihn zur Behandlung in die Krankenheilanstalt Großschweidnitz.
Frage: Spielte Morche bereits zu dieser Zeit in der Kapelle? (Morche hatte in seiner Aussage erklärt, in seiner Freizeit als Pianist in einer Betriebskapelle zu musizieren. – E. Sch.)
Antwort: Nein. Damit hat er erst später begonnen.
Frage: Können Sie sich noch an die Einkünfte von Morche erinnern? Hatte er viel Geld?
Antwort: An die Höhe von Morches Lohn kann ich mich nicht erinnern. Besonders viel Geld hat er nie gehabt. Auch nicht vorübergehend.
Frage: Wenn Sie miteinander ausgingen: Was trank er da an Alkohol?
Antwort: Vor unserer Ehe trank er kaum. Wenn wir ausgingen, etwa zu Tanzveranstaltungen, blieb der Alkoholgenuss stets im Rahmen. Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals stark betrunken war.«
Nachdem Horstmann weitere Fragen zu Einnahmen und Anschaffungen vor und während der Ehe gestellt hatte, kommt er neuerlich auf Morches vermutliche Geisteskrankheit zu sprechen.
»Frage: Gab es zu Beginn der Ehe Auffälligkeiten?
Antwort: Bereits eine Woche nach der Trauung musste er in die Krankenheilanstalt Großschweidnitz eingeliefert werden. Schon am Polterabend hatte es erste Anzeichen gegeben. Zum Termin auf dem Standesamt erschien er zunächst nicht. Meine Schwiegereltern mussten ihn erst holen. Es war wohl die zweite oder gar dritte Einweisung.
Frage: War es eine Liebesheirat?
Antwort: Ich habe mich aus zwei Gründen zur Heirat entschieden. Erstens war unser Sohn bereits geboren, zweitens wollte Morche von zu Hause weg. Das war auch der Grund, weshalb mir seine Eltern laufend Vorhaltungen machten. Sie sagten sogar, ich sei schuld an seiner Nervenkrankheit.
Frage: Gab es während der Ehe Besonderheiten?
Antwort: Wir wohnten bei meinen Eltern. Es gab schon bald Auseinandersetzungen. Morche übernahm grundsätzlich keine Arbeiten im Haus. Er kehrte weder die Straße noch besorgte er Holz und Kohlen zum Heizen usw. Er begann auch zu trinken. Das ging damit einher, dass er als Laienmusiker auftrat.
Frage: Hat Morche Ihnen gegenüber irgendwann einmal erwähnt, dass er ein Verbrechen begangen hat?
Antwort: Nein. Darüber hat er niemals mit mir gesprochen.
Frage: Wie verhielt sich Morche zu Ihnen unter Alkoholeinfluss?
Antwort: In den sieben Jahren unserer Ehe, von 1953 bis 1960, hat Morche übermäßig Alkohol genossen und stark geraucht. Wenn er betrunken nach Hause kam, krakeelte er, brüllte herum und zerschlug Geschirr. In den ersten Jahren gingen wir mitunter noch zusammen aus. Doch weil er kein Maß beim Trinken kannte, ging ich nicht mehr mit ihm weg. Während der Ehe ist er mehrere Male in ärztlicher Behandlung in Großschweidnitz gewesen. Dort informierte mich ein Arzt, dass mein Mann zeitweise aggressiv werden könne, was ich ja schon selbst mehrmals erlebt hatte. Am Ende war auch ich nervlich kaputt und mein Sohn nervös. Ich zog den Schluss, die Ehe zu beenden und reichte die Scheidung ein.
Frage: Gab es Besonderheiten nach der Scheidung?
Antwort: Nein.
Frage: Haben Sie oder hat Ihr Sohn Verbindung zu Morche?
Antwort: Ich habe keinerlei Verbindungen. Mein Sohn Dietmar besucht manchmal seinen Vater. Zu Geburtstagen