Stille Donau. Hilde Artmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilde Artmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Anna di Santosa
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416302
Скачать книгу
erwirken.

      »Dann ist ja alles bestens«, sagte ich fröhlicher, als mir zumute war, und gab die angebratenen Auberginenscheiben in eine Auflaufform. »Du isst doch mit, oder?«

      »Nein, ich hab keinen Hunger.« Mit trüben Augen sah sie hinaus auf die Terrasse, vor der Vincenzos Fußball lag. »Weiß man schon was Genaues wegen Jakob?«

      Ich erklärte Mona, dass ich den ganzen Nachmittag über an einem neuen Auftrag gearbeitet hatte und den momentanen Stand der Dinge nicht kannte.

      »Wie hast du das eigentlich gemeint, vorhin am Telefon?«, fügte ich hinzu. »Dass Jakob Landauer jemandem auf die Füße getreten ist?«

      »Na ja, er hat hier recherchiert, was sonst? Bestimmt wollte er mal wieder einen Skandal aufdecken und den Pulitzerpreis dafür gewinnen. ›Bluthund‹ haben wir ihn genannt, früher an der Uni.« Ein winziges Lächeln glitt über ihre Züge. »Wenn wir anderen gefeiert haben, an den Sarchinger Weiher zum Baden gefahren sind oder zu einem geilen Konzert nach Nürnberg – der Jakob ist garantiert nie mitgekommen, jede noch so blöde Seminararbeit war ihm wichtiger. Aber genau aus diesem Grund ist er dann bei der ›SZ‹ gelandet.«

      Ich verteilte den geraspelten Parmesan und den in Scheiben geschnittenen Mozzarella über dem Gemüse und schob die Auflaufform in den Ofen.

      »Wann hast du Jakob Landauer zuletzt gesehen?«, fragte ich.

      »Schon ewig her, aber Bilder hat er immer fleißig geschickt. Er war ja lange Auslandskorrespondent. Früher, in seinen Anfangszeiten bei der ›SZ‹, da hat er mich immer angerufen, wenn er in der Nähe zu tun hatte. Wir haben dann irgendwo einen Cappuccino miteinander getrunken und über alte Zeiten geredet.«

      »Wo hat die ›Süddeutsche‹ ihn hingeschickt?«

      »Erst nach Ungarn, dann in die Schweiz. Die Fotos, die er da gepostet hat, die waren der Wahnsinn.« Auf ihren Wangen erschien endlich ein zarter rosa Schimmer. »Auch im Winter noch dieser irre blaue Himmel über dem Luganer See, die Promenade mit tausend Palmen, dahinter die Berge, echt zum Neidischwerden.« Schon wieder trübte ein Schleier ihren Blick. »Ehrlich gesagt, ich hatte keine Ahnung, dass er wieder da ist.«

      »Weißt du, für welches Ressort er zuständig war?«

      »Politik. Die Königsdisziplin, was sonst?«

      5

      Als ich mich am nächsten Morgen im Bett aufsetzte, schlief Maximilian neben mir selig wie ein Kind. Bis Mitternacht hatte ich auf ihn gewartet, leider umsonst. Ich hatte keine Ahnung, wann er endlich nach Hause gekommen war.

      Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es Viertel vor acht war. Ich zog den sonnengelben Schleier auf meiner Seite des Himmelbetts zurück und schlüpfte so leise wie möglich in meinen Frotteemantel. Dann schlich ich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.

      Am oberen Treppenabsatz sah ich, dass die Tür zum Gästezimmer nur angelehnt war. Auch wenn ich nicht sicher war, ob es eine gute Idee war, Benedetta noch vor meinem Morgentee zur Rede zu stellen, klopfte ich. Der Raum war jedoch leer, auch im Bad traf ich sie nicht an. War sie etwa schon wieder auf Tour?

      Der gestrige Abend war entspannt gewesen. Vincenzo, Mona und ich hatten lange auf der Terrasse gesessen, wo es so warm gewesen war, dass ich in meinem dünnen Trägerkleid selbst nach zehn Uhr nicht gefroren hatte. In der Ferne hatten wir immer wieder Wetterleuchten gesehen. Hin und wieder hatte es gegrummelt, das Gewitter war jedoch nicht näher gekommen.

      Ich hatte es genossen, mit meinem Sohn mehr als nur ein paar Worte zwischen Tür und Angel zu wechseln. Seit Mitte Juli, dem Tag des Notenschlusses, war er ständig irgendwo. Bei Schulfesten oder -ausflügen, auf Klimaschutzkundgebungen, beim Fußballspielen, bei Badenachmittagen an der Donau oder einem nahe gelegenen Weiher. Manchmal verlor ich den Überblick, wo er wann und mit wem unterwegs war.

      Natürlich begrüßte ich es, dass er so aktiv war, anstatt nur vor der Playstation oder dem Computer zu sitzen wie so manch andere seiner Altersgenossen. Aber manchmal dachte ich doch mit Wehmut an die Tage, als er seine Freizeit noch überwiegend zu Hause verbracht und mich vor allem detailliert in seine Pläne eingeweiht hatte.

      Auch an diesem Wochenende hatte er einiges vor. Gemeinsam mit Florian und der restlichen Fridays-for-Future-Hardcore-Gruppe ihrer Schule würde Vincenzo heute nach Kallmünz radeln, um dort das Wochenende zu verbringen. Auf einem Zeltplatz an der Naab wollten die Youngsters strategische Zukunftspläne für die Erde schmieden, Fußball spielen, am Lagerfeuer sitzen.

      Ich hoffte sehr, dass die Jungs sich zu keiner der allseits so beliebten Vergnügungen hinreißen ließen, zu denen ich nie mein Einverständnis gegeben hätte. Aber erstens waren auch zwei Lehrer und ein Elternpaar mit von der Partie, die ein Auge auf ihre Schützlinge haben würden. Und zweitens wusste ich zu gut, dass ich meinen Sohn nicht für alle Ewigkeit vor den Verführungen des Erwachsenwerdens bewahren konnte. Vor Alkohol oder was auch immer.

      In der Küche, sah ich, als ich die Tür aufstieß, war Benedetta ebenfalls nicht. Dann war sie wohl tatsächlich schon wieder unterwegs, um Kirchen zu besichtigen.

      Auf dem Tisch lag ein Zettel von Maximilian. Daneben stand die Weinflasche, die gestern Abend fast noch voll gewesen war – leer bis auf den letzten Tropfen. In der Spüle stapelten sich die Teller, auf denen ich sein Abendessen gerichtet hatte. Darauf eine Espressotasse, wahrscheinlich von Benedetta, und Monas riesige Kaffeetasse. Wie so häufig hatte sie ihren Morgencappuccino in meiner Küche getrunken und mir wieder einmal das Aufräumen überlassen.

      »Meine Anna«, las ich auf Maximilians Zettel, mein Name war von einem Herz eingerahmt, »deine Parmigiana ist die beste der Welt, und eine solche Pannacotta gibt es wohl im ganzen Universum kein zweites Mal. Es ist schon halb drei, Brunch bitte nicht vor zwölf. Tausend Küsse, M. PS: Ich liebe dich«.

      Das Postskriptum war groß geschrieben, mit fünf Ausrufezeichen. Ich musste lächeln – die Liebe ging eben doch auch durch den Magen.

      Ich schaltete den Wasserkocher an, füllte meinen geliebten Assam, stark und fast so schwarz wie die Nacht, in das Teesieb, holte Milch aus dem Kühlschrank und inspizierte mein Mobiltelefon. Keine Nachrichten. Weder von Paolo noch von Mona oder Benedetta.

      Dass Paolo sich so still verhielt, erstaunte mich nicht. Sein Urlaub war kein Urlaub im herkömmlichen Sinn. Er hatte sich in ein Kloster am Chiemsee zurückgezogen, um zu schweigen, zu meditieren, in sich zu gehen. Das Handy hatte er an der Pforte abgegeben, nicht einmal mit seinen Mitinsassen – wie sonst sollte man die anderen Schweigenden nennen? – durfte er sprechen. Ich hoffte sehr, dass ihm diese freiwillig auferlegte Prüfung guttat. Seit Lilo, seine langjährige Lebensgefährtin, sich von ihm getrennt hatte, war er nicht mehr der Alte.

      Ich räumte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine. Nach dem Tee und der Dusche würde ich zur Kripo fahren, zu einer weiteren Zeugenaussage hinsichtlich der gestrigen Vorfälle im Dom und um das Protokoll zu unterschreiben. Bis zum Brunch mit Maximilian blieb mir anschließend sicher noch genug Zeit, um in Straubing zu recherchieren, dieses Mal in der »Rossi-Immo-Service GmbH«. Vielleicht bekam ich in Vittorio Rossignolos Firma ja tatsächlich einen Hinweis auf die neue Besitzerin der Gemälde, die ich für meine Auftraggeber aufspüren sollte.

      Der Wasserkocher schaltete sich aus. Ich goss den Tee auf, öffnete die Verandatür und trat hinaus.

      In den Sträuchern und Laubkronen der alten Bäume zwitscherten Spatzen und Meisen, Amseln sangen ihre vielstimmigen Melodien. Die Rosen- und Lavendelbüsche waren eine einzige Pracht, und dank Maximilian leuchtete das Grün des Rasens, auf dem noch immer der Fußball lag, hell in der Morgensonne. Tief sog ich die schon jetzt heiße Luft ein. Ich freute mich auf das Wochenende mit meinem Hobbygärtner. Nur wir beide.

      Das Gespräch mit dem Anwalt und vielleicht auch Vincenzos Pläne hatten Mona gestern Abend davon überzeugt, dass sich etwas ändern musste. Schluss mit Trübsal, Schluss mit der Angst vor dem, was vielleicht, was hoffentlich nie auf sie zukommen würde. Spontan hatte sie beschlossen, das Wochenende nicht in Regensburg zu verbringen, sondern am Gardasee gemeinsam mit einer Kollegin aus