Stille Donau. Hilde Artmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilde Artmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Anna di Santosa
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416302
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hieß im richtigen Leben Paul Wolf.

      »Wunderbar. Darf ich Sie gleich in unsere Kundendatei aufnehmen, Frau Wolf?«

      »Das machen wir dann am Donnerstag.«

      Hoheitsvoll verabschiedete ich mich, warf einen letzten Blick auf die Lithografie über ihr, die ein drucksigniertes, vermutlich limitiertes Porträt Liza Minellis zeigte, und wandte mich zum Ausgang. Nach ein paar Schritten kehrte ich wieder um.

      »Der Warhol gefällt mir übrigens unglaublich gut. Was meinen Sie, würde Ihr Chef mir den vielleicht überlassen?«

      »Nun ja.« Ihr Profilächeln, das sie mit meinem vermeintlichen Abgang schon ausgeknipst hatte, erschien erneut. »Dazu kann ich Ihnen leider gar nichts sagen, Frau Wolf. Das besprechen Sie lieber direkt mit Herrn Rossignolo.«

      »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr Chef nicht nur ein sehr angesehener Sammler ist, sondern auch mal das eine oder andere Einzelstück verkauft. Das stimmt doch, oder?«

      »Wie gesagt, Frau Wolf, wenn Sie nächste Woche …«

      »Verschicken Sie die verkauften Bilder auch von hier? Das wäre für mich wirklich der einfachere Weg, ich bin ja ständig unterwegs.«

      Das Telefon läutete, ihr Blick flog wieder zum Display der Telefonanlage. »Das erledigt immer die Spedition.«

      Ich musterte sie fragend. Sie machte eine flüchtige Kopfbewegung in Richtung Innenhof.

      »Es wäre wirklich besser, wenn Sie das mit Herrn Rossignolo persönlich besprechen, und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.« Ein letztes warmes Lächeln, sie drückte den Knopf. »›Rossi-Immo-Service GmbH‹, ich bin Katinka, was kann ich für Sie tun?«

      Ein Gabelstapler holperte bald darauf an mir vorbei und auf den Lkw zu, dessen Seitenplane jemand zurückgeschlagen hatte. Auf einem Schild ein paar Meter neben der Rampe hieß es »New Transports GmbH«, darüber waren noch weitere Firmenschilder angebracht. Außer der Spedition residierten in dem Gebäudekomplex, das den Hof umgab, das Zahntechniklabor »Lohbichler und Huber«, eine Investmentfirma, zwei Arztpraxen und ein Copyshop.

      In weitem Bogen ging ich um den Mann mit Dampfstrahler herum, aus dem es blies und zischte. Die Lieferwagen standen noch da, jetzt mit geschlossenen Hecktüren, die einen Schriftzug mit dem Namen der Spedition trugen. Der Großteil der Arbeiter, die sie beladen hatten, war verschwunden. Nur einer lungerte noch in einer Ecke herum und rauchte.

      Der mit Kisten unterschiedlicher Größe beladene Gabelstapler hielt vor der Ladefläche des Lkws. Der Fahrer, ein untersetzter Schnurrbartträger, studierte das Klemmbrett, das vor seinem Sitz auf einer Ablage lag. Dann ging er nach vorn, packte die oberste Kiste, setzte sie aber sofort wieder ab und fluchte in derbstem Niederbayerisch.

      »Pete, mach mal rüber!«, rief er über die Schulter mit leicht osteuropäischem Akzent. »Das Packstück hier, das muss mit nach Ingolstadt, und allein heb ich mir einen Bruch.«

      Der mit der Zigarette tat einen letzten Zug und drückte den Stummel in einem an der Gebäudemauer angebrachten Aschenbecher aus. Gemeinsam trugen sie die Kiste zu den Lieferwagen, die in einiger Entfernung standen. Mich beachteten sie nicht.

      Auf der Ladefläche des Gabelstaplers, sah ich beim Näherkommen, befanden sich noch drei weitere Pakete, die von der obersten Kiste verdeckt worden waren. Sie waren allesamt länglich, zudem sehr flach. Etwa ein Meter auf anderthalb. Sollten in diesen Paketen etwa die Bilder der Kalterers sein? Die Abmessungen würden passen.

      Die beiden Männer rumorten im Inneren des weißen Lieferwagens. Schnell trat ich noch ein paar Schritte näher und warf einen Blick auf das Klemmbrett.

      Das oberste Blatt, ein Kommissionsbeleg der »New Transports«, war auf eine Adresse in Ingolstadt ausgestellt, ein Supermarkt, der mit einem Packstück beliefert wurde. Ich blätterte um, las: »Colli, drei«. Der Beleg, der mich interessierte. Als Versender war die »Rossi-Immo-Service GmbH« in Straubing eingetragen, als Empfänger: »Da Ernesta, Burg…«

      »Kann ich Ihnen helfen?«, rief jemand.

      Ich hob den Kopf. Der Schnurrbartträger marschierte auf mich zu und musterte mich misstrauisch.

      »Ich suche den Beleg für die Sendung nach Passau«, sagte ich ohne Zögern und trat einen Schritt zurück. »Die soll nämlich nicht in die Flussgasse, sondern in die Schiffergasse, unser neuer Assistent hat da was durcheinandergebracht.« Ich wies zu den Firmenschildern. »Zahnlabor Lohbichler, mein Mann ist einer der Geschäftsführer. Ich bin heute nur aushilfsweise da, Alfons hat ein Reitturnier, und der Neue ist im Freibad.«

      »Flussgasse, sagen Sie?« Der Mann, er war einen halben Kopf kleiner als ich, blätterte schon eifrig. »Passau, hm, finde ich nicht.« Sein Argwohn war verschwunden. »An welchen Empfänger soll das gleich noch mal gehen?«

      Ich nannte einen Phantasienamen. Die Gassen hingegen existierten tatsächlich, wie ich von einem früheren Auftrag wusste, bei dem mich eine Spur zu einem Donauschiff in die Drei-Flüsse-Stadt geführt hatte.

      »Komisch, kann ich mich gar nicht dran erinnern.« Der Schnurrbartträger kratzte sich am Kopf. »Und das soll heute raus?«

      »Wenn es am Montag ankommen soll, muss es ja heute raus, oder nicht?«

      »Aber bei uns doch nicht. Alles, was heute das Lager verlässt, landet noch heute beim Kunden, zumindest die Inlandslieferungen. Just in time, Sie verstehen? An sechs Tagen die Woche.«

      »Dass Sie so flott sind, war mir nicht klar. Der Beleg liegt bestimmt noch im Büro.« Ich verzog das Gesicht. »Das kommt davon, wenn man immer drei Sachen gleichzeitig macht. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie behelligt habe.«

      »Passt schon, Frau Lohbichler, passt schon.«

      Ich nickte ihm zu und wandte mich zum Gehen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er mich wieder eingehend betrachtete, dieses Mal jedoch mit anerkennender Miene.

      »Sie können mich gern jederzeit wieder behelligen«, rief er mir nach. »Oder darf man das zu Zeiten von MeToo gar nicht mehr sagen?«

      6

      Mein uralter und bildschöner Maserati Quattroporte zog immer und überall Blicke auf sich. Deshalb hatte ich ihn nicht in der Nähe von Vittorio Rossignolos Firma im Stadtwesten geparkt, sondern auf dem in einiger Entfernung gelegenen, aber zentralen Straubinger Theresienplatz mit seinen Läden. Für den Brunch mit Maximilian wollte ich ohnehin noch Croissants und frische Brötchen besorgen.

      Auf glutheißen Straßen ging ich stadteinwärts und ärgerte mich, dass ich den Rückweg unterschätzt hatte, auf dem Hinweg war es noch nicht so warm gewesen. Währenddessen überlegte ich in einem fort. »Da Ernesta«, der Empfänger der drei Pakete – das klang nach einem Restaurant, das von einer Italienerin geführt wurde. Gut möglich, dass sich dahinter die Freundin verbarg, an die Vittorio Rossignolo seine frisch erworbenen Gemälde verkauft hatte. Seltsam. Hatte er nicht gesagt, sie arbeite für ein Museum?

      Mit Tüten beladen, stand ich irgendwann dann doch vor meinem Wagen auf dem Theresienplatz, warf die Beute hinein und öffnete sämtliche Türen und Fenster des Autos, damit die aufgestaute Hitze entweichen konnte. Samstagsshopper schlenderten an mir vorbei, ein älterer Mann mit Kinderwagen und eisschleckende Mädels in Vincenzos Alter, die so laut quietschten, dass der Mann sich umdrehte.

      Ich setzte mich so auf den Fahrersitz, dass meine Füße nach draußen baumelten. Es brachte zwar kaum Abkühlung, aber ich musste den Gedanken an Ort und Stelle weiterverfolgen. Dann nahm ich das Smartphone zur Hand und suchte im Internet mit der Wortkombination »Da Ernesta« und »Burg«, dem Anfang der Adresse, die ich erspäht hatte.

      Tatsächlich, ein Restaurant. Und der Ort, in dem es lag, hieß Burghausen.

      Ein Blick auf die Website verriet mir, dass ich richtig geraten hatte. Auf den Fotos sah ich Wände voller Gemälde in Gold- und Silberrahmen: Landschaften, Stillleben, Porträts, auch abstrakte Bilder waren darunter. Bingo.

      Auch sonst war immer