Benedettas eilige Schritte rissen mich aus meinen Überlegungen. Ich legte das Salatsieb zur Seite und ging in die Diele. Sie kramte in der für sie reservierten Schublade des Vertikos und zog ihren kleinen Lederrucksack hervor.
»Wolltest du nicht zum Tangotanzen?«, fragte ich mit Blick auf ihr wieder einmal ziemlich burschikoses Outfit.
»Genau, und ich bin auch schon ziemlich spät dran.« Schlüssel und Handy verschwanden im Rucksack. »Ciao, Anna, a dopo – bis dann.«
Schon war sie bei der Haustür, die gerade aufging, stieß um ein Haar mit Vincenzo zusammen. Sie zerstrubbelte ihm das Haar, beide lachten. Er sah sofort wieder auf sein Smartphone und ließ die staubigen Fußballschuhe, die von seiner anderen Hand baumelten, einfach fallen. Florian, der hinter ihm aufgetaucht war, folgte seinem schlechten Beispiel.
»Bitte hebt das auf«, sagte ich zu den beiden. »Benedetta, nur eine Minute, wir wollten doch …«
»Später, okay?« Sie quetschte sich an den Jungs vorbei und war im nächsten Moment draußen.
Ich seufzte. Es hatte keinen Sinn, sie jetzt wegen der Boutique zur Rede zu stellen. Sie wäre ohnehin nicht bei der Sache gewesen.
»Da fällt mir ein«, rief ich ihr dann aber doch nach, »bist du heute im Dom gewesen?«
»Im Dom?« An dem Treppchen, das von der Veranda nach unten führte, blieb sie stehen. »Nein, wie kommst du darauf?«
»Ich dachte, ich hätte dich gesehen. So um Viertel nach eins.«
»Das war nicht ich. Um Viertel nach eins, da war ich gerade …« Sie wandte sich um, fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »In der Dreieinigkeitskirche. Echt schön, da oben auf dem Turm.«
Obwohl sie so in Eile war, fummelte sie ihr Smartphone aus der Hosentasche, wischte über das Display, kam ein paar Schritte zurück und hielt es mir unter die Nase. Der altbekannte Blick über die Dächer Regensburgs.
»Im Dom haben sie heute übrigens einen abgeknallt«, sagte Vincenzo. »Auf Insta gibt’s sogar Fotos von der Leiche, echt krass.«
»Einen Mann?« Benedettas Blick erstarrte.
»Einen Journalisten«, sagte ich.
Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht.
»Jakob Landauer«, ergänzte ich und betrachtete sie überrascht. »Kennst du ihn etwa?«
Langsam schüttelte sie den Kopf, vermied dabei jeden Blickkontakt. Mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten konnte, rief sie: »Ciao, ci vediamo«, und stürzte davon.
Eine Weile später saß Mona auf dem Küchentisch, ließ ihre langen Beine baumeln und informierte mich über den Tagesumsatz im Laden, der für einen Freitag ganz okay war.
Semiramis kam hereingehuscht und sah sich auffordernd maunzend um. Ausnahmsweise überließ Mona es heute nicht mir, ihre rabenschwarze Katzendame zu füttern. Sie sprang vom Tisch, häufte den Inhalt einer frisch geöffneten Dose in die Schüssel neben der Terrassentür und streichelte Semiramis schließlich sogar das dichte Fell, wenn auch mit etwas hektischen Bewegungen.
Die Pannacotta stand schon im Kühlschrank. Ich gab die in Scheiben geschnittenen Auberginen und einen Schuss Öl in eine Pfanne. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Mona unschlüssig an ihrem Engelslockenkopf herumzupfte – seit Wochen trug sie ihr Haar in Silberblond, ihrer natürlichen Haarfarbe. Schließlich ließ sie sich auf der Eckbank nieder und zog die Beine hoch. Wie sie nun so dasaß, mit den eng an den zierlichen Körper gepressten Beinen und das Gesicht so wächsern wie das einer Porzellanpuppe, hatte sie keinerlei Ähnlichkeit mehr mit der Elfe, die sie früher immer gewesen war.
»Wie war dein Termin?«, fragte ich. »Ist der Anwalt der richtige für dein Vorhaben?«
Mona zog ihr Handy aus der Gesäßtasche ihrer Jeans und zeigte mir kommentarlos seine Website. Mit Mitte vierzig konnte er auf eine lange Reihe erfolgreich abgeschlossener Verfahren am Familiengericht in genau der juristischen Sparte zurückblicken, die für Mona so wichtig war. Neben seinem Lebenslauf war ein Foto abgebildet. Er trug einen aparten Bart, hatte samtene Augen und passte auch sonst perfekt in Monas Beuteschema: in der richtigen Einkommensklasse und vermutlich verheiratet.
Normalerweise wäre sie an dieser Stelle ins Schwärmen gekommen, und nach höchstens vier Wochen hätte sie mir mit tränennassem Gesicht geschworen, sich nie, wirklich niemals mehr wieder mit einem Mann einzulassen, der schon in festen Händen war. Seit ihrer Episode mit Heiner Bach aber war alles anders.
»Was hat der Anwalt zu deinem Problem gesagt?«
»Anfang nächster Woche wird er den Antrag einreichen.« Ihre sonst so unbeschwerte Stimme flatterte, als wäre sie ein Geist, eine ruhelose Seele auf der Suche nach Erlösung. »Fünfzig Meter, hat er gesagt. Das ist wohl die übliche Entfernung in einem solchen Fall. Dann geht alles ganz schnell, vielleicht noch zwei Wochen, bis das Verfahren eröffnet wird.«
Vor anderthalb Monaten war Mona Heiner Bach begegnet. Als gut aussehender und noch besser verdienender Monteur Ende dreißig, der als Leiter eines mehrköpfigen Teams die Wartung und Reparatur von Abfüllanlagen für die Firma Krones im osteuropäischen Markt koordinierte, hatte er ihr Herz im Sturm erobert. Laut Mona war er ein erfindungsreicher Liebhaber. Außerdem verwöhnte er sie mit Einladungen in die angesagtesten Restaurants und überraschte sie mit kostspieligen Geschenken. Nach und nach legte er jedoch Eigenarten an den Tag, die sie anfangs nur irritierten, bald jedoch massiv störten und ihr irgendwann sogar Angst einjagten.
Während seiner Dienstreisen rief er sie ständig an, oft mitten in der Nacht und auch immer wieder in der »Mittelbayerischen Zeitung« oder im »BellaDonna«, und wollte alles wissen. Wo sie gerade stecke, welche Pläne sie für die nächsten Stunden habe, mit wem sie sich zu treffen beabsichtige. Bei jedem noch so flüchtigen Blick, den sie anderen Männern zuwarf, machte er ihr eine Szene. Da sie seinen Kontrollwahn bald nicht mehr ertrug, mündeten ihre Dates immer häufiger in Streitereien. Als er sie bei diesen Gelegenheiten zunehmend beschimpfte, mitunter sogar Dinge nach ihr warf – mal einen Stift, mal einen Löffel – und schließlich sogar die Hand gegen sie erhob, brach sie den Kontakt zu ihm ab.
Ab diesem Moment wurde alles nur noch schlimmer. Heiner Bach bedrängte sie in jeder erdenklichen Art und flehte sie an, sie möge doch wieder zu ihm zurückkommen – ohne sie habe sein Leben keinen Sinn. Er schickte ihr Endlos-Mails, lauerte ihr vor dem Redaktionsgebäude oder der Boutique auf, verfolgte sie bis zur Bushaltestelle oder zum Parkhaus. Längst hatte sie sich eine neue SIM-Karte besorgt, auch mein Pfefferspray trug sie immer bei sich, ging kaum noch aus. Ihre Kollegen bei der »MZ«, die Anwohner meines Ladens – an alle hatte Mona ein Foto mit dem Gesicht des Stalkers verteilt.
Bisher hatte Heiner Bach zum Glück noch nicht herausgefunden, wo Mona wohnte – einer inneren Eingebung folgend, hatte sie sich immer nur auswärts mit ihm verabredet. Wenn sie abends doch einmal unterwegs war, achteten Maximilian und ich darauf, dass bei ihrer Rückkehr einer von uns wach und die Villa hell erleuchtet war. Dennoch lebte sie in der ständigen Angst, Heiner Bach würde plötzlich vor ihr stehen und ihr Gewalt antun.
Seit einigen Tagen nun herrschte Funkstille. Unter einem Vorwand hatte ich bei Krones angerufen – Mona selbst hatte es nicht gewagt – und erfahren, dass Heiner Bach sich momentan im tschechischen Budweis aufhielt, wo eine Anlage ausgefallen war. Anfangs war sie so erleichtert gewesen, dass sie so unbekümmert wie früher durchs Haus wirbelte. Dann aber ergriff die Unruhe wieder von ihr Besitz, irgendwann nackte Panik. Ihrer Meinung nach war es nur eine Frage der Zeit, bis er ihr wieder nachstellte. Und vermutlich hatte sie damit leider recht.
Ich hatte Paolo davon erzählt. Er hatte versprochen, hin und wieder eine Streife vorbeizuschicken, konnte offiziell jedoch nichts unternehmen, solange er keine konkrete Handhabe gegen den Stalker hatte. Er