Stille Donau. Hilde Artmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilde Artmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Anna di Santosa
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416302
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sich vor dem stattlichen Gebäude. Im Treppenhaus roch es nach der Würde vergangener Jahrhunderte, die Stufen aus dunklem Holz knarzten angemessen.

      Mit seinen gedeckten Farben und edlen Stoffen passte auch unser Doppelzimmer ins Ambiente, bot jedoch allen Komfort der Gegenwart. Das Bett war breit, das Badezimmer modern und mit vergoldeter Spiegelpracht, die Aussicht ansprechend. Direkt gegenüber lag das leuchtend blaue Bürgerhaus unter dem nicht minder blauen Himmel, daneben die nicht ganz so pompöse Stadtbibliothek in Zinnoberrot.

      Maximilian stellte unser Gepäck neben dem Kleiderschrank ab. Das Rummstata der Blaskapelle schepperte so laut, dass die Fensterscheiben klirrten, auch Stimmen und Lachsalven drangen herein.

      »Ich nehme an«, sagte er, und obwohl er den halben Nachmittag verschlafen hatte, klang seine Stimme müde, »wir müssen bald los. Hast du einen Tisch reserviert?«

      Beim Brunch hatte ich ihm von meinem Auftrag und dem Grund unseres Besuches erzählt – selbstverständlich nur ein Randaspekt unseres verlängerten Wochenendes.

      »Hab ich vergessen.« Ich kickte meine Schuhe weit von mir und sank aufs Bett, im Moment zu erschöpft, um den Anruf im Restaurant gleich hier und jetzt nachzuholen. »Erst einmal brauche ich eine Verschnaufpause. Danach flitze ich unter die Dusche, und bestimmt ergattern wir trotzdem noch ein hübsches Plätzchen. Das Lokal ist ziemlich groß.«

      Maximilian setzte sich neben mich auf den Bettrand. Seine Bewegungen wirkten schwerfällig.

      »In den letzten Wochen«, er nahm meine Hand und sah mit umschatteten Augen zu mir herab, »habe ich dich ziemlich vernachlässigt, Anna, bitte sieh es mir nach. Die Zeit lässt sich ja bekanntlich nicht zurückdrehen, und je älter ich werde, umso klarer wird mir das. Trotzdem tappe ich immer wieder in dieselbe Falle, immer zählt ja nur die Arbeit, dabei gibt es doch so viel wichtigere Dinge.«

      Er seufzte tief, und ich gab ihm innerlich recht.

      »Es gelingt mir immer weniger, allem und jedem gerecht zu werden – leider auch dir nicht, und du hättest es doch am meisten verdient. Aber manchmal«, mit der Linken fuhr er sich durchs dunkle Haar, das nur über den Ohren ein paar graue Strähnen hatte, »manchmal fühle ich mich so ausgelaugt.«

      »Maximilian, ich …«

      Er machte eine abwehrende Geste. »Hör bitte zu. Weißt du, früher hat mir das nichts ausgemacht – die vielen Dienste, die unvorhergesehen OPs, die ständige Herumfahrerei. Nur, in letzter Zeit …«, seine Lider fielen zu, er seufzte erneut. »Manchmal habe ich das Gefühl, ich werde alt.«

      Er öffnete sie wieder, schaute mir ins Gesicht. Die lustigen gelben Pünktchen in seinen tiefbraunen Augen, in die ich mich schon bei unserer ersten Begegnung verliebt hatte, schienen im Vergleich zu damals ein wenig trüb geworden zu sein.

      »Wir alle werden älter«, sagte ich und setzte mich auf. »Aber bis wir richtig alt sind, wird noch einiges Wasser die Donau hinabfließen und die Salzach vermutlich auch.« Ich umarmte ihn, zärtlich und sehr innig, und küsste ihn auf die Stirn. »Wir haben noch so viel Zeit, amore, mach dir bitte keine Sorgen.«

      »Du bist mir nicht böse, wenn ich jetzt gleich wieder einschlafe, anstatt irrsinnigen Sex mit dir zu haben?«

      »Warum sollte ich dir böse sein?« Ich ging ein wenig auf Abstand, zwinkerte ihm zu. »Wenn du bei dem Getöse auch nur ein Auge schließen kannst, hast du sowieso einen Orden verdient.«

      Sein Blick veränderte sich, wurde erst weich, dann schelmisch. Er zog mich an sich, ich fühlte seine Hände über meinen Rücken gleiten.

      »Andererseits hat der Krach auch gewisse Vorteile«, murmelte er, während seine Finger tiefer und tiefer wanderten. »Du kannst so laut sein wie noch nie, und niemand wird dich hören.«

      Lachend fielen wir auf die Matratze, und bald war alles um uns vergessen. Das Kindergeschrei von draußen, das Lärmen der Erwachsenen, nicht einmal das Geschepper und die Täterätäs hörten wir noch.

      ***

      Im »Da Ernesta« waren auf den ersten Blick alle Tische besetzt. Der Ober, der nach unserer Reservierung fragte, maß uns mit sichtlichem Unverständnis. Mit der Bemerkung, dass man bei ihnen immer reservieren müsse, »veramente sempre, signora, capisce?«, organisierte er angesichts meiner italienischen Abstammung dann aber doch einen Tisch im überdachten Innenhof, in dem ein Marmorbrunnen vor sich hinplätscherte.

      Das Ristorante lag am nördlichen Ende des Stadtplatzes, in einem Eckhaus, und war auch in natura so nobel wie im World Wide Web. Die Einrichtung war in Türkis und Kakaofarben gehalten, die Tische waren so großzügig arrangiert wie in einem Sternerestaurant. Riesige Lampen schwebten an den Decken und tauchten alles darunter in einen kupfergoldenen Schimmer.

      Um uns herum wurde gespeist, geplaudert und getrunken, es duftete nach Knoblauch und den Gewürzen meiner alten Heimat. Die Kellner und Kellnerinnen eilten emsig hin und her, hatten aber dennoch für jeden Gast aufmerksame Blicke übrig. Am Tresen, wo zwei Barkeeperinnen routiniert Getränke ausschenkten, wurde italienisch gesprochen. Die anderen Angestellten unterhielten sich in einer Mischung aus Bayerisch und Italienisch.

      Wir bestellten gemischte Antipasti, als Primo spaghetti al pesto di noci, das Walnusspesto und die Nudeln natürlich aus eigener Herstellung, gefolgt von agnello al rosmarino, mit Rosmarin gewürzte Lammkoteletts, dazu wurde gegrilltes Saisongemüse serviert. Als aperitivo orderten wir einen Secco rosé, anschließend einen Primitivo aus Apulien und spritziges Wasser.

      Noch vor dem ersten Schluck Secco nahm ich die vielen Lithografien und Kunstdrucke in Augenschein, die uns umgaben. Schlösser und Burgen vor bewaldeten Landschaften, Holzhütten und Ruinen, die an steilen Felsen hoch über dem Meer klebten. Dazwischen Aktzeichnungen von verwirrender Intensität, die meisten davon mit Abbildungen weiblicher Körper.

      Die drei Gemälde, die ich aufspüren sollte, waren natürlich nicht darunter. Erstens waren sie viel zu wertvoll, um hier aufgehängt zu werden, und zweitens vermutlich erst heute geliefert worden. Ich hoffte jedoch, einen der Angestellten darauf ansprechen zu können. Aber darum würde ich mich später kümmern. Die gemeinsam verbrachte Zeit mit Maximilian tat mir gut, und noch immer war ich trunken von seiner Nähe, trunken von unserem neu erblühten Glück.

      Wir prosteten uns zu. Seine Augen, stellte ich zufrieden fest, als ich am Secco nippte – der aperitivo schmeckte einfach göttlich –, hatten ihren Glanz zurückgewonnen. Schon vor dem Aufbruch war uns nach Feiern zumute gewesen, wir hatten uns fein gemacht. Zu seinen obligatorischen, wie angegossen sitzenden Jeans hatte Maximilian sich für ein anthrazitfarbenes Hemd und ein edles Jackett entschieden. Auch ich hatte mich in Schale geworfen und trug ein kleines Schwarzes aus Wildseide.

      Bald kamen die Antipasti. Das vitello tonnato war das zarteste, das ich je gegessen hatte, und die dazu garnierten Oliven und Cocktailtomaten trugen die südliche Sonne, in der sie gereift waren, noch in sich. Der Wein war rubinrot und schmeckte so abgerundet und samten, als stammte er aus der cantina meines Onkels Marcello, der den besten Rotwein kreierte, den ich kannte. Mit jedem Schluck, mit jedem Bissen wurden wir ausgelassener.

      Auch an den Nachbartischen ging es launig zu. In einer Nische beim Brunnen, wo zwei Paare mittleren Alters saßen, war die Stimmung besonders angeregt. Immer wieder schnappten wir Gesprächsfetzen auf. Man lobte das Essen und unterhielt sich lautstark über die letzten Urlaubsreisen, alle ausnahmslos zu hörbar kostspieligen und, Klimakatastrophe hin oder her, exotischen Zielen. Champagner und Wein flossen in Strömen.

      Mir fiel auf, dass viele der anderen Gäste immer wieder zu dem Vierergespann hinübersahen, teilweise neugierig, teilweise ehrfurchtsvoll. Einer der Männer – er trug Hornbrille und Glatze und beides mit Stolz – schwadronierte ohne Unterlass. Seinem Kompagnon, wie er im Nobel-Anzuglook, gelang es nur selten, eine Bemerkung einzuwerfen. Die nicht minder elegant gekleideten und mit Edelsteinen geschmückten Damen – eine mollige, auffallend hübsche Schwarzhaarige und eine schmale Brünette mit schiefen Zähnen – beteiligten sich nur mit zustimmendem Nicken oder glockenhellem Lachen an der Konversation.

      »Schade, dass wir es so weit haben nach Burghausen«,