Stille Donau. Hilde Artmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilde Artmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Anna di Santosa
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416302
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waren. Meine Auftraggeber wollten aber jemanden aus der Gegend, hatten sie betont, mit gutem Leumund und Fingerspitzengefühl. Vermutlich war ihnen die Angelegenheit einfach nur peinlich.

      Die Tür ging auf. Der Mann, der hereintrat, passte ins Ambiente. Alles an ihm war blass, sein exquisiter Anzug in mattem Grau ebenso wie das Aussehen. Blick und Händedruck waren allerdings so euphorisch wie bei seiner Empfangsdame. Manfred Billich begrüßte mich wie eine langjährige Kundin, mit ausgesuchter Eloquenz und für meinen Geschmack ein wenig zu aufdringlich. Dann setzte er sich mir gegenüber und legte sein übergroßes Smartphone und ein Tablet vor sich hin.

      »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte er geschäftsmäßig. »Sind Sie an einer bestimmten Epoche interessiert?«

      Ich gab vor, eine Freundin hätte mir kürzlich von drei außergewöhnlichen Gemälden vorgeschwärmt, die ein ihr bekanntes Ehepaar verkaufen wolle. Als ich den Namen der Malerin – Agnes Vienna – nannte und die Bilder beschrieb, runzelte er die Stirn.

      »Tja, und heute rufe ich meine Freundin an und muss erfahren, dass die drei Werke nicht mehr zu haben sind.« Mit indignierter Miene zupfte ich an meiner eleganten Marlene-Hose herum, die mich zusammen mit der smaragdgrünen Seidenbluse – alles von Valentino und natürlich aus der Secondhandabteilung meiner Boutique – hoffentlich als zahlungskräftige Kundin erscheinen ließ. »Zum Glück wusste sie, wer den Zuschlag bekommen hat. Wie viel verlangen Sie dafür?«

      »Sie kommen leider zu spät.« Er faltete die für einen so schmal gebauten Mann erstaunlich derben Hände, nur um damit im nächsten Moment über das Display seines Tablets zu wischen. Er sprach reinstes Hochdeutsch mit norddeutscher Färbung. »Die Bilder sind schon weiterverkauft.«

      Ich verdrehte die Augen. »Aber, es ist doch noch keine halbe Woche her, dass …«

      »Ja, tatsächlich, der Verkauf ist sehr schnell über die Bühne gegangen. Vor zwei Tagen, an einen guten Kunden.« Seine Finger glitten in schnellem Rhythmus über den Bildschirm. »Aber ich habe sicherlich etwas Ähnliches für Sie.«

      »Das ist wirklich schade. Ich habe mich nämlich in die Bilder verliebt, buchstäblich, sie würden perfekt in das Entree unserer Villa passen. Wie heißt denn Ihr Kunde, wenn ich fragen darf?«

      »Das dürfen Sie. Nur, eine Antwort dürfen Sie nicht erwarten. Diskretion ist einer der wichtigsten Grundsätze in meiner Firma.«

      »Aber natürlich.« Ich nahm das Glas, das mir die Empfangsdame gebracht hatte, und trank einen Schluck. »Vielleicht kann ich Sie trotzdem noch erweichen? Glauben Sie mir, ich wäre genauso diskret wie Sie.«

      Manfred Billich entgegnete nichts, sondern legte das Tablet vor mich hin. Dann lachte er verlegen, schnappte es sich wieder und stand auf. Es war so schnell gegangen, dass ich nur einen flüchtigen Blick auf die Abbildungen hatte werfen können, beide so abstrakt wie die Bilder von Agnes Vienna.

      »Das ist jetzt dumm, die sind ja auch schon nicht mehr im Haus.« Mit kummervoller Stirn wiegte er den eckigen Kopf hin und her. »Hm … So auf die Schnelle ist das leider etwas schwierig.«

      Er ging zum Sideboard, legte das Tablet ab und blätterte in einem Katalog, wobei er immer wieder seufzte. Ich strich mir eine meiner langen tizianroten Strähnen aus der Stirn und wartete.

      Ein Piepston ertönte. Sein Seufzen wurde noch eine Spur intensiver. Er kam zum Tisch zurück und griff nach dem Mobiltelefon.

      »Der nächste Termin«, sagte er. »Es ist mir wirklich peinlich, aber ohne Voranmeldung ist es bei uns leider immer ein wenig schwierig. Ich bringe Sie nach vorn und sage meiner Assistentin, sie möchte einen Termin für Sie vereinbaren. Dann nehme ich mir alle Zeit der Welt – in Ordnung, Frau Weber?«

      Es blieb mir nichts anderes übrig, als mein Glas zu leeren und ihm zu folgen.

      ***

      »Buongiorno, Sandra Perugi. Le chiamo a causa dell’ultima consegna«, sagte ich bald darauf mit verstellter Stimme in das Mikrofon meines Handys. Auf Deutsch, aber mit übertrieben italienischem Akzent fuhr ich fort: »Sandra Perugi, von ›Rapid Transports‹. I Sie rufe an wegen Abholung von die letzte Lieferung. Bin i dock ricktig bei die Agentur Billich?«

      »Gerade noch, am Freitag machen wir immer früher Schluss«, antwortete Manfred Billichs Assistentin in scharfem Ton und zu meiner Überraschung in perfektem Italienisch. »Ich habe doch gerade mit einem Kollegen von Ihnen telefoniert – was gibt’s denn noch?«

      Als ich vor zehn Minuten an ihr vorbeigegangen war, hatte sie in einer slawisch klingenden Sprache telefoniert, offenbar war sie ein Sprachenmultitalent. Und die guten Umgangsformen reservierte sie wohl nur für die Kunden.

      »Perfetto«, sagte ich und fuhr auf Italienisch fort. »Das heißt, leider gar nicht gut, und eigentlich bin ich sowieso nicht zuständig. Ich rufe Sie nämlich aus Venezia an, unserer Filiale Italia-Nord.«

      Sie schien etwas einwerfen zu wollen, aber ich ließ ihr keine Zeit und sprach in derselben Geschwindigkeit weiter wie eben.

      »Gerade erhalte ich von einem unserer Fahrer nämlich die Info, dass er die falsche Ablieferadresse angefahren hat. Allora, und jetzt steht er vor dem Tor und weiß nicht weiter.«

      »Aha. Und was wollen Sie jetzt von mir?«

      »Die korrekte Zustelladresse.«

      Für meine kleine Inszenierung hatte ich eigens meine italienische SIM-Karte ins Mobiltelefon eingelegt, die ich bei meinen Aufenthalten im Süden benutzte. Wenn ich von meiner deutschen Handynummer mit unterdrückter Nummer angerufen hätte, hätte ich gewiss ihren Argwohn geweckt.

      »Das steht doch alles in den Frachtpapieren«, kam es genervt aus dem Hörer. »Kann Ihr Fahrer nicht lesen?«

      »Kann er und hat er«, behauptete ich. »Aber nichts stimmt, weder der Empfängername noch die Adresse, assolutamente niente. Irgendjemand muss das falsch ausgefüllt haben. Außerdem, er ist Bulgare, tut sich schwer mit Deutsch, Italienisch geht gar nicht, und …«

      Ungeduldiges Schnauben. »Um welche Sendung geht es denn?«

      Ein Lkw dröhnte in meinem Rücken vorbei. Ich war auf dem Weg zu meinem Wagen, für den ich vor dem Bürogebäude keinen Parkplatz gefunden hatte.

      »Einen Moment bitte.« Ich schirmte den Hörer gegen den Krach ab. »Die Abholung war vorgestern oder gestern. Wegen der Uhrzeit muss ich das Programm wechseln, das dauert leider immer ewig, aber …« Ich machte eine Kunstpause. »Aber gerade sehe ich den Namen des Vorbesitzers. Kalterer, Julius Kalterer.«

      »Wer hat denn das da reingeschrieben?« Dieses Mal pustete sie ins Telefon, hörbar genervt. »Die Bilder sind an Vittorio Rossignolo gegangen, das heißt an seine Firma, die ›Rossi-Immo-Service GmbH‹ in Straubing.« Sie hielt kurz inne. »Sicherheitshalber gebe ich Ihnen noch seine Privatadresse, am Freitagnachmittag haben die vielleicht schon zu. Die Sendung muss nämlich unbedingt heute noch zugestellt werden, verstanden?«

      3

      »Es tut mir wirklich leid, aber die Bilder befinden sich nicht mehr in meinem Besitz«, eröffnete Vittorio Rossignolo mir eine Stunde später auf Deutsch und nach der für einen Italiener ungewöhnlich knappen Begrüßung, jedoch mit ehrlichem Bedauern in der Stimme. »Ich habe sie verkauft.«

      Ich lächelte und ließ mir meine Überraschung nicht anmerken. »Ich denke, Sie sind Sammler?«

      »Das bin ich, und zwar mit Leidenschaft.«

      Auch er lächelte, auf eine offene, charmante Art. Regelmäßige, blendend weiße Zähne kamen zum Vorschein, nur die eisblauen Augen wirkten seltsam unbeteiligt.

      Bei der »Rossi-Immo-Service GmbH« schloss man die Bürotüren freitags tatsächlich schon früh. Dennoch war ich nach Straubing gefahren, einer etwa fünfzig Kilometer östlich von Regensburg gelegenen Kleinstadt in Niederbayern, in der Hoffnung, Vittorio Rossignolo in seinem Privathaus anzutreffen, das sich ebenfalls dort befand.

      Wie immer war so kurz vor dem Wochenende