Stille Donau. Hilde Artmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilde Artmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Anna di Santosa
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416302
Скачать книгу

      Für die Samstagsschicht im »BellaDonna«, für die eigentlich Mona eingeteilt war, sprang eine unserer verbliebenen Aushilfen ein. Da am Montag ohnehin Benedetta dran war, konnten Mona und ihre Kollegin sich für die Rückreise Zeit lassen.

      Ich holte den Fußball und legte ihn in eine Ecke der Terrasse. Zurück in der Küche goss ich den fertig gezogenen Tee in meine Lieblingstasse mit veilchenfarbenen Blümchen und gab Milch dazu. Beim ersten Schluck hörte ich die Tür von Vincenzos Zimmer oben zuknallen, ungewohnt früh. Der Ausflug mit seinen Freunden lockte.

      Welche Pläne Benedetta für heute und morgen hatte, wusste ich nicht. Von dem anstehenden Gespräch mit ihr würde ich mir das Wochenende jedoch nicht verderben lassen. Irgendwann würde ich sie schon noch erwischen.

      ***

      Das Entree der »Rossi-Immo-Service GmbH« war genauso nobel wie Vittorio Rossignolos Privathaus, wenn auch auf andere Weise. Über drei Stockwerke zog sich die Halle, bis unters mit Holzbalken abgestützte Dach. Die vorherrschende Farbe war asphaltgrau. Dazwischen gekonnt in Szene gesetzte Farbkleckse in Form von Blumenarrangements, sichtlich wertvollen Gemälden und Lithografien, die sogar an diesem sonnenhellen Vormittag per Lichtspot angestrahlt wurden.

      Der Besuch bei der Kripo in der Bajuwarenstraße war schon erledigt. Auf dem Weg nach Straubing hatte ich mit verstellter Stimme in Vittorio Rossignolos Firma angerufen und zu meiner Erleichterung erfahren, dass der Chef selbst nicht im Büro war, sondern wie immer an Samstagen im Homeoffice arbeitete. Gewiss wäre er nicht begeistert, wenn er wüsste, dass ich hier herumschnüffelte.

      Das Immobilienunternehmen befand sich in einem modernen Gebäude, in einem offenbar ziemlich neuen Industriegebiet im Westen der Stadt. Der gepflasterte Platz vor dem mit viel Glas versehenen Bauwerk führte in einen Hof. Dort schien außerdem eine Spedition untergebracht zu sein, vor einer Rampe wurde ein Lkw beladen.

      Ich ging auf die gläserne Eingangstür zu. In den oberen Stockwerken, die über eine Holztreppe zu erreichen waren, sah ich nur eine einzige gebeugte Gestalt vor einem Bildschirm sitzen. Hinter dem wuchtigen Tresen im Erdgeschoss trippelte eine Frau auf und ab, mit Headset, im eng anliegenden Hosenanzug und blutjung. Ich schätzte sie auf noch nicht einmal zwanzig.

      »Am Montag, ja, da ist er wieder im Haus«, sagte sie in höflichem, fast säuselndem Ton, als ich das Entree betrat. »Aber Sie könnten auch mit Herrn Sassi sprechen, Herr Schönbrinck. Er ist unsere Notbesetzung heute, außerdem voll im Thema und …«

      Sie schwieg, blieb vor einem Bildschirm stehen und tippte hektisch auf einer Tastatur herum, während ihr Telefonpartner augenscheinlich gerade explodierte. Immer wieder versuchte sie, etwas Beruhigendes einzuwerfen, jedoch vergebens, und ihr zarter Teint lief allmählich dunkelrot an.

      »Nun, wenn es so dringend ist, stelle ich Sie doch lieber an Herrn Rossignolo persönlich durch«, sagte sie schließlich. »Einen ganz kleinen Moment bitte, ich verbinde.«

      Sie drückte auf einen Knopf an ihrer Telefonanlage, ihr Blick streifte mich. Sofort erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht, wenn auch etwas schief. Mit bemüht entspannter Geste deutete sie auf eine Sitzgruppe aus Leder gegenüber dem Tresen.

      Ich setzte mich auf einen Sessel mit Sicht auf den Empfang, über dem ein riesiges Bild von Andy Warhol hing, eine handkolorierte Lithografie in den typischen knalligen Farben. Es roch nach Kaffee und einem kaum wahrnehmbaren Zitrusduft. Leise Klaviermusik perlte aus unsichtbaren Lautsprechern.

      »Emma hier«, hörte ich die Empfangsdame mit leiser Stimme sagen. »Ich soll dich ja nicht stören, Vittorio, tut mir auch echt leid. Aber es geht nicht anders.«

      Natürlich spitzte ich die Ohren. Berufskrankheit.

      »Ich hab wieder den Herrn von der Bank in der Leitung, der führt sich auf, sage ich dir.« Ein tiefer Seufzer. »Genau, den von gestern.«

      Die Sitzecke befand sich in einer komplett verglasten Nische, sodass ich den Innenhof einsehen konnte, den ich von draußen schon bemerkt hatte. Hinter dem Lkw standen zwei Lieferwagen, der eine schwarz, der andere weiß, mit geöffneten Heckklappen. Vom heutigen Samstag war dort draußen nichts zu spüren. Männer in Arbeitskleidung luden Kisten in die Transporter. Ein wesentlich jüngerer Mann säuberte mit einem Dampfstrahler die Bodenfliesen.

      »Ich hab echt alles versucht, Vittorio. Aber er will nur mit dir sprechen, natürlich jetzt sofort, und außerdem geht es um Leben und Tod und … Glaub mir, Vittorio, das hat er gesagt, wortwörtlich … Natürlich, ständig sagt er das, du hast ja recht. Aber ich weiß wirklich nicht, wie ich ihn …« Wieder seufzte sie, nun aber erleichtert. »Okay, danke, das ist echt lieb.«

      Erneut drückte sie auf ein Knöpfchen. Dann wandte sie sich mir zu, dieses Mal mit perfektem Empfangsdamenlächeln. Ich stand auf und erklärte im Näherkommen, ich sei auf der Suche nach einer Eigentumswohnung in Regensburg.

      »Fünf Zimmer, darunter auf keinen Fall, gern in der Altstadt, aber natürlich ruhig«, holte ich aus. »Neu oder renoviert, ganz egal, in jedem Fall aber mit Top-Ausstattung. Haben Sie so was?«

      »Da können wir Ihnen tatsächlich ein geeignetes Objekt anbieten«, flötete sie. »Ein wundervolles Appartement, sehr zentral, und die Ausstattung absolut hochwertig.«

      Mit ihren nudefarbenen Gelnägeln klickte sie ein paarmal auf die Maus. Sie trug einen vollen Bob unter einem akkurat geschnittenen Pony, wodurch ihr an und für sich schmales Mädchengesicht um einiges pausbäckiger wirkte, als es tatsächlich war.

      »Und das hier«, kurz hielt sie inne, »das hier hat sogar einen Traumblick auf die Donau, ganz in der Nähe vom Marina-Viertel übrigens, so was kriegen Sie sonst …« Sie stutzte. »Da gibt es wohl schon einen Interessenten, sehe ich gerade. Aber wenn wir uns beeilen, vielleicht … In welchem Preisrahmen, sagten Sie?«

      »Das spielt keine Rolle.«

      Ihr Lächeln wurde noch eine Spur umwerfender und das Klicken um einiges engagierter.

      Nach der Dusche hatte ich mich für eines der nobelsten Outfits entschieden, das ich besaß. Mit dem knapp sitzenden Kostüm von Giorgio Armani, so mein Gedanke, würde ich meiner kleinen Show die entsprechende Authentizität verleihen. Schließlich sah man dem farbenprächtigen Ensemble aus Seide und Leinen nicht an, dass es aus zweiter Hand stammte, wie so viele meiner besten Stücke. Dazu trug ich eine Handtasche aus jadegrünem Kalbsleder und Nonna Emilias prächtigste Perlenkette, die noch aus den goldenen Zwanzigern des letzten Jahrhunderts stammte.

      Ein Drucker surrte, das Empfangsdämchen zog einen Farbausdruck nach dem anderen heraus. Während ich die Lithografie an der Wand hinter ihr betrachtete, steckte sie alles in eine grüne Klarsichtfolie.

      »Hier haben Sie schon mal die Eckdaten.« Sie reichte mir die Unterlagen und wies wieder zur Sitzgruppe. »Ich informiere sofort einen unserer Berater.« Ihr Blick flog zum Display ihrer Telefonanlage. »Wenn Sie vielleicht fünf Minuten Zeit hätten, er spricht nämlich gerade. Darf ich Ihnen solange eine Tasse Kaffee …?«

      »Eigentlich wollte ich mit dem Chef persönlich sprechen«, unterbrach ich sie mit in die Hüfte gestemmter Hand und hochgezogenen Brauen.

      »Aber natürlich, entschuldigen Sie bitte.« Ihre Finger, die schon wieder über einem Knöpfchen flatterten, kamen zum Stillstand. »Leider ist er heute nicht im Haus. Ich könnte Ihnen aber gleich den ersten Termin für den kommenden Montag reservieren.«

      »Das geht nicht, lieber Donnerstag«, sagte ich mit Blick auf mein Handy. Bis dahin hatte sie meinen Besuch hier hoffentlich vergessen. »Und nach siebzehn Uhr, bitte.«

      »Ich hoffe wirklich sehr, dass das Objekt bis dahin nicht schon weg ist. Wie gesagt, der andere Interessent. Wie sieht’s denn am Dienstag bei Ihnen aus?«

      Ich rollte mit den Augen. »Da bin ich in Amsterdam.«

      »Verstehe. Gut, ich trage Sie sofort für Donnerstag ein, vielleicht haben wir ja Glück. Wie war der Name, sagten Sie?«

      Da ich mich in Manfred Billichs Kunstagentur schon als Mona ausgegeben hatte und selbstverständlich