Stille Donau. Hilde Artmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilde Artmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Anna di Santosa
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416302
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Einkunftsquelle war im Internet zwar mühelos in Erfahrung zu bringen, aber ich wollte Vittorio Rossignolo nicht mit der Nase darauf stoßen.

      Er nestelte am Kragen seines Hemds, als wollte er noch etwas sagen, erhob sich dann aber ebenfalls. Sein Blick fiel auf meine Tasse, die noch halb voll war.

      »Trinken Sie bitte in Ruhe aus, kein Grund zur Eile.« Er reichte mir eine kühle Hand und machte eine Kopfbewegung zu dem Blonden, der sich nicht von der Stelle bewegt hatte. »Massimo bringt Sie zum Ausgang. Ja, dann bleibt mir nur noch, Ihnen einen schönen Tag zu wünschen – buona giornata, signora di Santosa.«

      Als ich bald darauf auf das Tor zufuhr, das von Kameras überwacht wurde und fast zwei Meter hoch war, trat der Pförtner aus seinem Glashäuschen. Mit unmissverständlicher Geste bedeutete er mir zu warten, während das Tor zur Seite glitt. Dann ging er hinaus auf die Zufahrtsstraße, warf einen Blick nach rechts und links und winkte mich hinaus. Ich bedankte mich mit einem Kopfnicken und gab Gas.

      Am Himmel zeigte sich kaum ein Wölkchen. Ich kurbelte das Fenster herunter, trockene Sommerhitze drang in das ohnehin bis zur Unerträglichkeit aufgeheizte Auto. Wie so oft wünschte ich mir eine Klimaanlage für meinen Uralt-Maserati, der um diese Jahreszeit nur mit seinen wuchtigen Formen in sattem Bordeauxrot, den cognacbraunen Lederbezügen und dem vollklingenden Motor punkten konnte.

      Mein Weg führte mich an der Mauer entlang, die an die drei Meter hoch war und das komplette Grundstück einfasste. Auf der anderen Straßenseite reihten sich lange verblühte Holunderhecken aneinander. Die Getreidefelder dahinter, an deren Begrenzungsstreifen kaum eine Kornblume wuchs, geschweige denn grünes Gras, waren schon abgeerntet. Seit Anfang Mai hatte es keine drei Mal geregnet. Angesichts der monatelangen Dürre fühlte ich mich fast wie in meiner alten Heimat, wo zu dieser Zeit auch alles auf irgendeine Art braun war. Der Klimawandel machte eben auch vor dem beschaulichen Niederbayern nicht halt.

      Vittorio Rossignolos Anwesen lag auf einer Anhöhe und zwei, drei Kilometer außerhalb von Straubing. Es gab nur wenige Nachbarhäuser, die meisten davon einsam gelegene, große Bauernhöfe, die typisch waren für den Gäuboden, wie man die im Donautal gelegene Gegend hier nannte. Das Wohnhaus hinter der schier endlosen Mauer, ein ultramoderner, zweistöckiger Flachbau riesigen Ausmaßes in sorgsam aufeinander abgestimmten Rottönen, war von der Straße aus nicht zu sehen.

      Als ich am Fuß des Hügels angelangt war und auf die Stadt zuhielt, dachte ich über Manfred Billich und seine Agentur nach. Ich verstand nicht, warum er die drei Bilder an Vittorio Rossignolos Firma geschickt hatte, ein Immobilienunternehmen, wie ich im Internet gesehen hatte. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, sie direkt an die Privatadresse liefern zu lassen?

      Vittorio Rossignolos Firma schien gut zu laufen. Vielleicht stammte er auch aus reichem Hause. Wie sonst hätte er sich eine zweihundert Stück umfassende Gemäldesammlung und ein so luxuriöses wie gut bewachtes Domizil leisten können?

      Ich überlegte, wie ich weiter vorgehen sollte. Wenn der smarte Unternehmer mir nichts über die neue Eigentümerin der drei Bilder verraten wollte, würde ich mich wohl am besten in seiner Firma umhören, natürlich inkognito. Es war jedoch schon Viertel nach fünf und das Büro ohnehin längst geschlossen. Meine Ermittlungen hatten Zeit bis Montag, mein Privatleben nicht.

      Ich hatte noch die Einkäufe zu erledigen, für die ich tagsüber wieder einmal keine Gelegenheit gehabt hatte, und zu Hause den üblichen Kleinkram. Anschließend würde ich mir einen entspannten Abend gönnen. Maximilian hatte versprochen, spätestens um acht zu Hause zu sein.

      Benedetta fiel mir ein. Im Zuge der Aufregung im Dom und meiner anschließenden Nachforschungen hatte ich sie ganz vergessen. Ich musste dringend ein ernstes Wort mit ihr reden.

      Seit bald vier Jahren bezog ich zwar mein Haupteinkommen aus meinem kleinen Büro für private Ermittlungen, aber dennoch war die Boutique nach wie vor ein wichtiges finanzielles Standbein für mich. Wenn Mona, meine einzige feste Angestellte, zu einem dringenden Termin musste und keine unserer Aushilfen verfügbar war, blieb mir nichts anderes übrig, als selbst einzuspringen. Und Benedetta wusste genau, was es für mich bedeutete, wenn sie sich nicht an ihren Dienstplan hielt.

      4

      Mein Zuhause befand sich am Ende der Prebrunnallee, am äußersten Rand der westlichen Altstadt, in einer ruhigen Gegend mit stilvollen Mehrfamilienhäusern und prächtig renovierten Villen aus lange vergangenen Tagen. Gegenüber lag der Herzogspark, wo um diese Uhrzeit höchstens noch ein paar Spaziergänger die Abendsonne genossen oder Jogger ihre Runden drehten. Dahinter floss die Donau, die jedoch nur aus dem obersten Stockwerk zu sehen war.

      Als ich meinen Wagen an den hinteren Teil der rückwärtigen Einfahrt quetschte, was angesichts seiner Größe nicht einfach war, hörte ich Gelächter und übermütiges Geschrei aus dem Garten. Vincenzos Stimme war darunter, auch Benedettas rauchige Stimme konnte ich ausmachen. Ihr Miet-Golf in unauffälligem Dunkelblau stand auf der Straße, Maximilians Alfa war noch nicht zu sehen. Monas knallroter Mini hingegen belegte wieder einmal den vorderen Teil der Zufahrt, was aber nicht bedeutete, dass sie schon zu Hause war. Seit es so warm war, war sie oft mit dem Rad unterwegs.

      Mona war nicht nur die stellvertretende Geschäftsführerin des »BellaDonna«, sondern hatte auch die oberste Etage meines Hauses gemietet. Sie wohnte nun schon so lange bei mir, dass ich es mir längst abgewöhnt hatte, mich wegen ihrer rücksichtslosen Parkerei mit ihr zu streiten.

      Ich klemmte mir die Tasche unter den Arm, holte den Korb mit den Einkäufen aus dem Kofferraum und umrundete das Gebäude, eine dreistöckige Jugendstilvilla mit allerhand Erkern, Gauben, Treppchen und verschnörkelten Balkonen, die ich wie den Maserati von meiner italienischen Großmutter geerbt hatte und mir nicht wirklich leisten konnte.

      Das Haus mit Garten, angesichts seiner riesigen Ausmaße und der vielen alten Eichen, Ahornbäume, Linden und Buchen schon fast ein Park, war ein Juwel und nicht zuletzt der Grund, warum ich neben der Boutique schließlich eine Detektei eröffnet hatte. Die Instandhaltung des Bauwerks und die Pflege der Außenanlagen hatten schon vor Jahren den Großteil meiner finanziellen Reserven verschlungen, die mir ebenfalls Nonna Emilia hinterlassen hatte.

      Trotz der anhaltenden Hitze quollen die Rosenbüsche, die den gekiesten Weg säumten, über vor Knospen und duftenden Blüten, wahre Farbkaskaden in Lachs und tiefem Rot leuchteten im Abendlicht. Sämtliche Zweige waren sauber gestutzt, und auf dem Weg selbst entdeckte ich keinen einzigen Halm Unkraut.

      Allein den Garten nicht zu sehr verwildern zu lassen war bisher eine schier unlösbare Aufgabe gewesen. Seit Maximilian im April bei mir eingezogen war, hatte sich das jedoch grundlegend geändert. Sobald er nach Hause kam, warf er alles, was nach Klinik roch, weit von sich, packte Harken, Schaufeln, Rechen und stürzte nach draußen. Ein Ausgleich zu seinem Job als Arzt, pflegte er zu sagen, wo er stets von absoluter Sterilität umgeben war. Ich nahm mir vor, mich später bei ihm zu bedanken.

      »Tor, Tor, Tor!«, brüllte Vincenzo begeistert, als ich die frisch gemähte Rasenfläche vor der Terrasse erreichte. »Brava, Benedetta, sei bravissima!«

      Sie waren zu sechst: Vincenzo, sein Freund Florian, drei Nachbarsjungen und Benedetta, die auf dem zu einem Fußballfeld umfunktionierten Grasstück wie ein Wiesel auf meinen Sohn zuschoss. Dieser, außer sich vor Freude über das eben geschossene Tor, umarmte sie stürmisch. Florian hingegen warf ihr grimmige Blicke zu, offenbar gehörte er zur Gegenmannschaft. Am Rand des Spielfelds, das von zwei wackeligen Toren begrenzt war, lag ein Haufen Trinkflaschen und City-Turnschuhe.

      Ich hatte Vincenzo zweisprachig erzogen, aber normalerweise weigerte er sich, mehr als das absolut Nötigste in seiner zweiten Muttersprache zu artikulieren. In aller Regel, wenn er mehr Taschengeld wollte oder fragte, wann das Essen fertig sei. Seit aber Benedetta eines der Gästezimmer im ersten Stock bewohnte, war alles anders.

      Gleichgültig, ob die beiden gemeinsam dem Fußball hinterherjagten, die neuesten Instagram-Fotos auf ihren Notebooks und Smartphones begutachteten, sich über Sitcoms oder Youtube-Videos amüsierten – alles zwischen ihnen spielte sich auf Italienisch ab. An zwei Vormittagen in der Woche besuchte Benedetta einen Deutsch-Sprachkurs, auch in Italien hatte sie schon