Stille Donau. Hilde Artmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilde Artmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Anna di Santosa
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416302
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Umstand, den ich begrüßte. Sonst hätte ich mir gewiss wieder einmal anhören müssen, wie unfassbar es sei, dass er ausgerechnet seine geschiedene Frau an seinem Tatort antreffe.

      »Bei der ›SZ‹?«, fragte Mona. Sie war nebenberuflich als freie Mitarbeiterin für die hiesige »Mittelbayerische Zeitung« tätig. »Da kenne ich jemanden, ziemlich gut sogar. Der Jakob, der hat nämlich mit mir studiert, und …«

      »Jakob?«, unterbrach ich sie alarmiert. »Und wie noch?«

      »Landauer.« Sie lachte. »Aber das wird ja wohl nicht der Tote im Dom sein, oder?«

      »Doch. Genau so heißt er.«

      Mona schnappte nach Luft. Dann murmelte sie etwas, offenbar stand sie vor der Tür des Anwalts, die gerade aufgegangen war. Sie versprach, sich später noch einmal bei mir zu melden, und legte auf.

      »Sie können hier nicht durch«, quäkte eine aufgeregte Stimme neben mir. »Ich nehme die Personalien auf und … Oh, verzeihen Sie, Herr Pfarrer.«

      Der Angesprochene, seiner Kleidung nach ein hochgestellter Würdenträger der Diözese, quetschte sich durch die Lücke, die sich gerade zwischen mir und einer jungen Streifenpolizistin auftat, einer mittelgroßen Blondine mit Pickeln auf dem Kinn. Ich beneidete sie und ihre Kollegen nicht um ihre Arbeit. Sie mussten den Tatort sichern, mögliche Zeugen ausfindig machen, die Neugierigen ringsum in ihre Grenzen weisen – immer bemüht um den richtigen Ton.

      Die Frau, die die Leiche gefunden hatte, wusste ich mittlerweile, hieß Karin Haavestedt und war Anfang fünfzig. Der Schock stand ihr noch ins Gesicht geschrieben. Sie war umringt von aufgeregt durcheinandersprechenden Menschen, vermutlich ihre Reisegruppe, ein Kegelverein aus Mönchengladbach.

      Inzwischen kannte ich den Ablauf: Karin Haavestedt, fasziniert von der Pracht und ehrfurchteinflößenden Architektur des Doms, hatte ihre Kegelgefährten aus den Augen verloren. Beim Anblick des Mannes hinter der Säule, der eine ähnliche Hose wie ihr Sitznachbar im Bus trug, eilte sie erleichtert auf ihn zu. Dann aber starrte sie auf sein blutverschmiertes Hemd und verlor fast schon an Ort und Stelle das Bewusstsein.

      Bisher gab es keinen Hinweis auf den Täter. Niemand hatte etwas beobachtet, niemandem war etwas aufgefallen. Karin Haavestedt hatte zwar gemeint, einen leisen Knall gehört zu haben, in der Nähe des Hochaltars und kurz bevor sie den Toten entdeckte. Möglich, dass es sich dabei um einen Schuss handelte, aber die Orgelmusik habe das Geräusch fast übertönt. Auf meine Frage, ob jemand aus der Sailer-Kapelle gekommen sei, hatte sie nur mit den Schultern gezuckt.

      Die junge Polizistin sprach nun auch mich an. Meine Aussage, wurde ich belehrt, solle ich so schnell wie möglich zu Protokoll geben, »am besten sofort, also gleich im Anschluss, jedes Detail ist für uns wichtig, das haben Sie schon verstanden, oder?« Es schien ihr erster Einsatz bei einem Kapitalverbrechen zu sein.

      Wenn wirklich Benedetta die Frau mit Pferdeschwanz und Käppi vor dem Dom gewesen war, überlegte ich, als die Polizistin sich entfernte, hatte sie nur wenige Minuten Zeit gehabt, um in die Pfarrergasse zu meinem Laden zu sausen und Mona abzulösen. Das hätte sie mühelos geschafft. So unzuverlässig Benedetta in vielerlei Hinsicht war, so sportlich war sie doch. Wenn sie vielleicht sogar im Dom auf ihrer Kirchenbesichtigungstour gewesen war – die Frau, die ich gesehen hatte, musste aus Richtung der Seitentür gekommen sein –, hatte sie vielleicht etwas Verdächtiges bemerkt.

      Ich nahm mir vor, sie später darauf anzusprechen. Ich wollte ohnehin ein ernstes Wörtchen mit meiner flatterhaften Praktikantin aus Rom wechseln.

      ***

      Das Firmenschild, vor dem ich eine Stunde später stand, war so unauffällig, dass ich fast daran vorbeigelaufen wäre. »Manfred Billich, Agency«, las ich auf einem nicht einmal handtellergroßen silbernen Schildchen. Von meinen Auftraggebern wusste ich jedoch, dass sich hinter der nichtssagenden Bezeichnung ein Kunsthändler verbarg, der mit Gemälden aller Art und Preisklassen handelte, ein ungewöhnlicher Umstand. Die meisten Händler spezialisierten sich auf eine oder mehrere Epochen.

      Ich läutete.

      Das vierstöckige Bürogebäude in einer Seitenstraße nahe beim Stobäusplatz, in dessen oberster Etage die Agentur residierte, war schlicht. Hinter der sandgelben Fassade verbargen sich ein Übersetzungsbüro für slawische Sprachen, eine Investmentfirma und zwei Bürogemeinschaften.

      Der Türöffner surrte. Ich drückte gegen die Milchglastür und ging zum Aufzug.

      An einem steingrau lackierten Empfangstresen begrüßte mich kurz darauf eine unerträglich dünne Frau, die mich mit ihrem spitzen Näschen und dem kurzen Haar in Rotblond an eine Spitzmaus erinnerte. Ihr Mienenspiel passte allerdings nicht zu diesem Bild. Ihr Lächeln war so herzlich, dass ich dachte, sie würde mir jeden Moment um den Hals fallen.

      Mit einer einladenden Bewegung deutete sie auf die mit hellgrauem Stoff bespannte Sitzecke gegenüber dem Tresen, doch ich blieb stehen. Sie trug ein Headset und telefonierte gerade. Ihr Gesprächspartner war offenbar der Mitarbeiter einer Spedition namens »Rapid Transports«. In fließendem Englisch informierte sie ihn über die baldige Abholung einer Sendung aus dem firmeneigenen Lager außerhalb der Stadt.

      »Mona Weber«, stellte ich mich vor, als sie auflegte.

      Wenn ich nicht als Privatermittlerin in Erscheinung treten wollte, benutzte ich meist Monas Namen. Ihren alten Presseausweis, den sie mir zuliebe vor einiger Zeit als verloren gemeldet hatte, ließ ich heute allerdings in meiner Handtasche. Nur kein Aufsehen erregen, lautete ja die Devise meiner Auftraggeber.

      Ich erklärte, ich sei am Erwerb von Gemälden interessiert und wünsche, mit dem Inhaber der Agentur zu sprechen, was der Empfangsdame ein noch wärmeres Lächeln entlockte. Sie informierte ihren Chef telefonisch über mein Anliegen, führte mich in einen Besprechungsraum und bot mir Kaffee, Tee und Wasser an. Ich entschied mich für Letzteres.

      Auch hier war die puristische Einrichtung vollständig in Grau gehalten, was wohl Exklusivität vermitteln sollte. Vier Stühle, ein runder Tisch, alles aus Designer-Plastik, dazu Flipchart und ein Sideboard mit Katalogen. An der Wand hingen moderne Drucke, die meisten mit kubistischen Darstellungen. Ein Geruch nach Orange lag in der Luft. Durch zwei gekippte Fenster drangen Verkehrsrauschen und das Geratter eines Presslufthammers herein. Der Ausblick auf die Jugendstilvillen mit ihren grünen Gärten und all dem architektonischen Charme, der typisch war für die Gegend am östlichen Rand der Innenstadt, entschädigte mich jedoch.

      Die Mail, die Julius Kalterer mir versprochen hatte, war längst angekommen, inklusive Anhang. Die drei Gemälde, die ich für ihn und seine Frau ausfindig machen sollte, waren abstrakt und alle nach demselben Muster konzipiert: zwei Farbblöcke, die in der Mitte der Leinwand aufeinandertrafen, in Rot-Grün, Gelb-Blau, Lila-Orange. Die Farben waren frisch, die Konturen klar, die Gesamtwirkung ansprechend. Wenn mir jemand eines dieser jeweils einen auf anderthalb Meter großen Bilder geschenkt hätte, hätte ich es vielleicht sogar in meinem Zuhause aufgehängt. Das dafür nötige Kleingeld hatte ich allerdings nicht übrig. Meine Auftraggeber hatten mich ermächtigt, bis hunderttausend Euro zu bieten, ein Betrag, der mich nun, da ich die Fotos gesehen hatte, in Erstaunen versetzte.

      Mein Honorar lag weit über meinem üblichen Satz. Dazu kamen die Spesen, die ich laut Julius Kalterers Worten gern großzügig berechnen durfte. Im Gegenzug hatte ich ihm und seiner Frau versprechen müssen, ihren Namen aus allen Verhandlungen und dem hoffentlich baldigen Kaufabschluss herauszuhalten. Die Sache war nämlich die: Ich sollte keine fremden Bilder für sie erwerben, sondern diejenigen, die ihnen bis vor Kurzem noch gehört hatten.

      Vor wenigen Tagen hatten sie die drei Gemälde an den Kunsthändler verkauft, in dessen Agentur ich jetzt saß. Rosina Kalterer, der die Werke nie so richtig gefallen hatten, hatte den Stein ins Rollen gebracht. Inzwischen aber, hatte mein Auftraggeber mir erklärt, bereue auch sie die übereilte Transaktion. Er hatte versucht, den Kunsthändler zu einem Rückkauf zu bewegen. Dieser hatte sich jedoch nicht darauf eingelassen.

      Ich war keine Kunstkennerin, und natürlich wusste ich, dass es in der Sammlerszene einige schräge Vögel gab. Dennoch war mir der Umstand, dass das ehemalige Architektenpaar ausgerechnet