„Der wird schon aufbegehren! Aber das geht uns nichts an! Mit dem werden wir schon fertig!“
„Denkst du, daß man uns nimmt? Bin ich nicht zu jung?“
„Keinesfalls! Auf das Körpermaß kommt es an, und das hast du! Ich weiß außerdem, daß man uns will!“
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„Ganz gewiß?“
„Ganz bestimmt! Gestern, als wir uns von den Husaren trennten und nach dem Gasthof galoppierten, da sagte der Hauptmann zu Diercks: ‚Die beiden Jungen hole ich mir noch! Sie reiten ja wie die Deibel!‘ Und er mußte ihm versprechen, uns morgen zu ihm nach Bergen zu bringen! Ich gehe auf alle Fälle hin!“
Gebhard sagte nichts. Er ging anscheinend ruhig zu Bett. Aber er vermochte kein Auge zuzutun. Er war jetzt am Scheideweg, wo es galt, entweder den breiten gesicherten Weg zu wählen, den ihm der Schwager wies, oder den Weg seiner Träume, deren Ziel er noch nicht sah, auf den es ihn aber mit aller Macht hintrieb. Lange lag er da und sann. Plötzlich setzte er sich im Bett auf. „Was ist aus dem Adler geworden?“ fragte er.
„Der Adler?“ antwortete der Bruder halb im Schlaf. „Den wollte Diercks mit einer Kette an einem Pfahl im Garten anschließen, bis sein Käfig fertig wird!“ Und damit schlief er ein.
Als Gebhard aber den Bruder fest schlafen hörte, stand er auf, zog sich rasch an, schlich leise aus der Kammer hinaus, die Treppe hinunter, durch den Garten und auf den Weg nach Gagern. Dort schwang er sich über den Gartenzaun und fand schnell den Pfahl, an den der Adler gefesselt war. Mit einer mitgeführten Kneifzange hatte er bald das Fußeisen durchschnitten, ergriff den Vogel, warf ihn in die Luft und sah, wie er auf mächtigen Schwingen durch die Nacht davonschwebte. Unbemerkt, wie er gekommen, ging er dann wieder nach Hause, schlüpfte rasch ins Bett und schlief bald ebenso fest wie der Bruder – jetzt aber ohne zu träumen.
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2
Erster Flugversuch
„Blitz und Donner!“ fluchte der Wachposten am Eingang zum Zeltlager, das sich am Waldessaum breitete. „Hier kann einer tagaus, tagein sich mit dem saudummen Postenstehen die Beine in den Leib treten! Himmeldonnerwetter! Wer endlich einmal dreinhauen dürfte! Zu denken, was ich alles an Beute gemacht hätte – von den Gefangenen nicht zu reden! Leutnant hätte ich schon sein können – Rittmeister sogar – wer weiß, vielleicht bald General! Man hat’s gesehen!“
„Sachte, sachte!“ mahnte ein alter Graubart, der am Schilderhaus lehnte, nahm die Pfeife aus dem Mund und klopfte sie an der Stiefelsohle aus. „Als ich dereinst ins Feld zog, da hatte ich wohl auch wie du den Marschallsstab im Tornister, obwohl ich bloß ein Trommlerjunge war. Und so muß es sein. Die wenigsten erwischen ihn aber! Mir gelang’s schon! Daß ich aber auf meinen alten Tag nur Futtermarschall beim Regiment werden sollte – darauf hätte ich damals nicht schwören mögen!“
Er schwieg plötzlich, hielt die Hand vors Auge und blickte über die Felder hinaus, zwischen denen sich die Landstraße heranschlängelte. Ein plötzliches Klappern von eilenden Hufen hatte seine Aufmerksamkeit geweckt.
Der Wachposten hielt in seinem Hin- und Hertrotten inne und blickte auch hin.
„Ein durchgegangenes Pferd!“
„Wenn der sich nicht das Genick bricht!“
„Himmelsakra! Hecke und Graben im Flug genommen! Ratsch über die Wiese!“
„Jetzt klabastert’s schon auf der Landstraße! Das weiß den Weg nach deiner Futterkiste!“
„Dann wird’s auch wissen, wie leer sie ist! Heißa! Hussassah!“ schrie der Alte und trat zur Seite. Denn jetzt sauste es heran mit rasender Schnelligkeit. Dann: ein Ruck [pg 19]– alle viere in die Erde gestemmt – den Reiter in elegantem Bogen abgeschleudert und – war’s Zufall, war’s Instinkt – still stand es gerade vor dem Futtermarschall, zitternd, schaumbedeckt und leise wiehernd, als ahne es dessen nahe Beziehung zum Hafertrog.
Die beiden Husaren hielten sich die Seiten vor Lachen.
„Habt Ihr’s aber eilig, junger Herr!“ sagte der Alte.
„Ich habe nur Eure Fahne gegrüßt!“ sagte Gebhard, der schon wieder auf den Beinen war, und zeigte auf das blaugelbe Tuch, das über ihren Häuptern flatterte. Denn er und kein anderer war’s, der in dieser übereilten Weise das schwedische Lager gestürmt hatte. „Die anderen sind aber gehörig nachgeblieben!“ fügte er hinzu und blickte über den Weg hinaus. „Sie haben’s nicht gemerkt, als ich ihnen ausgerückt bin. Der Adebar auf der Wiese, der paßte aber auf, ließ dicht hinter mir ein Klappern steigen, und mein Brauner legte gleich los wie gestochen!“
Er versetzte dem Pferd einen Klaps auf die Lende, ging dann herum, faßte es beim Kopf und blies ihm beruhigend in die Nüstern.
„Ein Angsthuhn bist du“, gab er ihm kosend seinen Denkzettel und wandte sich dann an den Alten mit einer Frage nach der Regimentsschreiberei.
„Ihr wollt Euch als Rekrut bei uns eintragen lassen?“
„Das stimmt! Zeige mir nur den Weg!“
„Kehrt lieber um! Oder, meinetwegen, geht zu den Preußen! Bei uns ist für Euch kein Fortkommen! Das heißt, wenn Ihr vorwärts wollt! Rückwärts reiten wir schon!“
„Halt’s Maul!“ rief der junge Husar ärgerlich. „Und paß auf, was du redest! Wer wird sein eigenes Nest beschmutzen!“
„Ich nicht! Durch mich wurde es nicht beschmutzt! Durch dich auch nicht, obwohl du auch weidlich schimpfst!“
„Ich?!“
„Eben du! Und solange ich dich kenne! Bist Husar, bist ein Reitersmann und hast kein Pferd, wie so viele [pg 20]vom Regiment! Und du kriegst auch keins, wie brav du auch schimpfst! Und – wie schaut’s mit der Montierung aus?“
„Kann ich dafür, daß die Offiziere das Geld für die Ausrüstung am Spieltisch vertun?“
„Nein! Aber du kannst deinen Schnabel halten, statt von deinen Vorgesetzten schlecht zu reden!“
„Wie redest denn du?!“
„Mein Reden ist eines Mannes Rede! Aber du, Lausbub, hast das Maul nicht so weit aufzureißen! Erst etwas mitmachen und dann reden! Ich,“ – der Alte richtete sich auf und schlug sich auf die Brust, „ich war mit bei Narwa, bei Riga, bei Clissow und Holofzin – leider aber auch bei Pultawa! Als Trommlerjunge zog ich aus mit König Karl dem Zwölften, Gott hab’ ihn selig“ – er zog ehrfurchtsvoll den Hut bei Nennung des Königs. „Mit ihm zog ich aus, um den Moskowiter zu verprügeln, und machte das ganze tolle Abenteuer mit bis zum Kalabalik in Bender. Der große Krieg mit dem Moskowiter und dann mit den Polacken, das war der Anfang vom Ende. Dir wünsche ich, daß du den Schluß nicht sehen mußt. Denn er wird uns wenig Ehre bringen!“
Der Wachtposten machte achselzuckend kehrt und fing wieder sein Hin- und Herwandeln an.
„Kann ich dafür, daß die Offiziere das Geld für die Ausrüstung am Spieltisch vertun?“
Gerhard stand da, das Pferd am Zügel, und fragte nochmals ungeduldig:
„Der Weg nach der Regimentsschreiberei?“
Der Alte beachtete die Frage kaum, setzte sich gemächlich auf einem Feldstein zurecht, zog den Tabaksbeutel, stopfte die Pfeife, schlug Feuer, setzte sie in Brand und zeigte auf die Fahne, deren tiefblaues Tuch sich in wogenden Wellenlinien warf. Sie breitete sich aus, ließ ihr gelbes Kreuz in der Sonne aufleuchten und sank dann in sanft weichenden Buchten zurück, um wieder Wind zu fangen und von neuem das Spiel zu beginnen.
„Die