Das heilige Donnerwetter. Adolf Paul. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Paul
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116316
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„Darf ich bitten, die Rose!“ Er reichte dem Prinzen die Blume. „Sie hat sich als Wegweiser vortrefflich bewährt!“

      Der Prinz machte eine abwehrende Handbewegung.

      „Machen wir uns nicht lächerlich!“

      „Ich sorge nur für mich“, sagte Blücher und steckte sich in aller Seelenruhe die Rose ins Knopfloch.

      „Guten Abend, General!“ sagte der Prinz kurz, machte kehrt und verschwand mit raschen Schritten in dem immer mehr zunehmenden Dunkel des Abends.

      Blücher wandte sich zu seiner Frau, die jetzt herauskam und ihre Hand auf seinen Arm legte.

      „Hier hast du die prinzliche Rose, Malchen“, sagte er launig und steckte sie ihr an den Busen. „Behalt’ sie nur. Ich nehm’s dir nicht krumm, wenn dir ihr Duft ein wenig zu Kopfe steigt. So muß es ja sein: alles muß dir zu Füßen liegen, alles in dich verrückt sein. Fürsten und Könige müssen um deine Gunst buhlen und ihre Knochen riskieren um einen Blick deiner Augen. Nimm du’s ruhig an. Daß [pg 85]sie dir nicht zu nahe kommen – dafür sorge ich schon, wie du siehst! In dem Kriegshandwerk nehme ich’s auch mit jedem auf. Ich war selbst kein Kostverächter, als ich jung war!“

      Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und blickte zu ihm auf.

      „Du hättest das von dem Kinde nicht vor ihm sagen müssen“, sagte sie leise vorwurfsvoll.

      „Werd’ nur nicht sentimental, Malchen“, sagte er und gab ihr einen herzhaften Kuß. „Das steht dir nicht, und ich mag’s nicht leiden. Meine Tochter nehme ich jetzt ins Haus, da bist du nicht allein. Viel jünger wie du ist sie nicht, ihr werdet euch gut anfreunden, denke ich! Und so kriege ich sie von ihren Großeltern fort. Die verziehen sie mir nur. Und ich kann für meinen Tod nicht all diese welsche Erziehung der jungen Weiber leiden, wie sie nur Französisch parlieren und sich mythologisch vorschwärmen lassen können.

      Die Rike mußt du in Behandlung nehmen, Malchen, wenn sie kommt, und ihr das Welsche gehörig wieder austreiben! Versprich mir das! Und wenn sie auch französisch frisiert sein sollte, wofür sie der Deibel holen soll, so kämm’s ihr nur schleunigst aus! Kämm’s aus, Malchen, sonst lasse ich mich von dir scheiden!“

      Damit nahm er sie unter den Arm und ging mit ihr ins Haus hinein.

       „Prüske Dickköppe“

       Inhaltsverzeichnis

      Franz Joseph Gall, Anatom und Phrenolog, war auf seiner Rundreise durch die größeren Städte Deutschlands auch nach Münster gekommen, wo Blücher, nach der Besetzung des Münsterlandes, als preußischer Gouverneur residierte.

      Er las dort Gläubigen und Ungläubigen ein Kolleg über Dickschädel, Hohlschädel und andere kraniologische Kuriosa [pg 86]vor. An der Hand eines menschlichen Kraniums entwickelte er seine ebenso neue wie aufsehenerregende Lehre, in der er es unternahm, nach der Gestaltung der Schädeldecke auf das Geistesvermögen eines Menschen zu schließen.

      Das war im „Staate der Heiligen“, wie Blücher sie nannte, nichts denn ein tollkühnes Beginnen und ein Greuel vor dem Herrn! Zum Entsetzen aller Strenggläubigen unternahm der Herr Physikus ja nichts mehr und nichts weniger als die Seele – die bis jetzt alleinige Domäne der heiligen Kirche – zum Objekt einer profanen Wissenschaft erniedrigen zu wollen!

      Man hatte sich wohl, durch die vor kurzem begonnenen Säkularisationen, an vieles gewöhnen müssen! Man hatte gesehen, wie der Kirche Ländereien und Viehherden entzogen worden waren! Man staunte über nichts mehr!

      Aber eine Lehre, die die Decke eines ehrsamen Bürgerschädels und bisherige bevorzugte Abladestelle kirchlichen Segens auf die Geheimnisse des darunter gehorsamst schlafenden Seelenlebens untersuchen wollte – die dessen Hügel und Talmulden zum Forschungsgebiet einer ganz gemeinen Neugier erniedrigte und den Geist sozusagen mit den Fingern betasten wollte, die ginge doch, und nicht nur figürlich, über die Hutschnur!

      Für Blücher war die Phrenologie ein gefundenes Fressen und eine Belustigung besonderer Art.

      Als alter Husar hatte er wohl stets seinen Kopf für sich gehabt und sich wenig darum gekümmert, ob oder inwiefern er ins System der anderen hineinpaßte.

      Als Gouverneur mußte er ihn aber von Amts wegen täglich mit so vielen andersgearteten Querköpfen karambolieren lassen, daß er freudig jeden Versuch begrüßte, eine Art Topographie des menschlichen Schädelgeländes zu schaffen.

      Es brachte immerhin ein bißchen Ordnung in die Sache hinein und würde am Ende doch noch dazu beitragen, den amtlichen Geschäftsgang zu vereinfachen! Wenn der Herr Gouverneur sich auch nicht verhehlen konnte, daß amtliche Konfusionen mit überflüssigen „Rückfragen“ und anderem [pg 87]verfänglichen Geschreibsel, als Ausfluß höchster Beschränktheit, durch nichts mehr zu beschränken seien! –

      Immerhin verdiente der Versuch behördliche Beachtung!

      Der Herr Gouverneur zählte also zu den eifrigsten und aufmerksamsten Besuchern der Gallschen Vorlesungen, was in der guten Stiftsstadt sehr bemerkt wurde und zu allerlei Vermutungen und Auslegungen Anlaß gab.

      Mit ehrfürchtigem Staunen blickten die guten Münsterianer scheu zu seiner hohen Gestalt hinüber, die, in der ersten Stuhlreihe sitzend, alle überragte, und mindestens ebensosehr die Aufmerksamkeit auf sich zog wie die ketzerischen Ausführungen des gelahrten Herrn Physikus.

      Weder das noch die wortlose Entrüstung eines ehrsamen Auditoriums entgingen seiner Aufmerksamkeit.

      Mit liebkosender Schärfe musterten seine Blicke die Sammlung erlesener Schädel, die sich hier ein Stelldichein gegeben hatten, wie um als unfreiwillige Demonstrationsobjekte zu dienen. Seine Augen leuchteten vor diebischer Freude auf, und es zuckte spitzbübisch schlau um die Mundwinkel hinter dem herabhängenden Schnauzbart, wenn er einen besonders leckeren „Ball“ entdeckte.

      Am häufigsten schielte er zum Nachbar links hin, dessen kurze stämmige Gestalt den geraden Gegensatz zu ihm selbst ausmachte. Wie Raubvögel umkreisten seine Adlerblicke den gewaltigen Kopf, aus dessen Gesicht, unter buschigen Brauen, eine mächtige Hakennase gebietend hervorsprang.

      Schmunzelnd wie ein Gourmet, dem sein Leibgericht aufgetragen wird, saß er mausestill da, stellte aus nächster Nähe seine Untersuchungen an und schien zu ganz merkwürdigen Schlüssen zu kommen. Indessen sein Opfer, in Gedanken versunken, den Vorlesungen kaum zuzuhören schien und noch weniger die Aufmerksamkeit beachtete, deren Gegenstand es war.

      Endlich war der Anatomus mit seinen Ausführungen zu Ende, nahm sein Kranium unter den Arm, rollte sein Manuskript zusammen, verneigte sich würdevoll, ging und ließ sein kopfschüttelndes Auditorium sitzen.

      [pg 88]

      Blücher stand auf, und sein Nachbar ebenso, den er jetzt, im Stehen, um Haupteslänge überragte.

      „Wissen Sie was, Baron?“ fragte er lächelnd und strich seinen langen Schnurrbart hoch. „Als der Physikus soeben den Totenschädel aufhob, da dachte ich: ‚Nun geht das Kegelschieben los! Nun schmeißt er ihn nach den anderen Köpfen!‘ Die wackelten auch schon bedenklich! Die wären durcheinandergekollert, daß es eine Lust wäre! An seiner Stelle hätte ich den Wurf getan! So ’ne Sammlung Dösköppe war noch nicht da! Sehen Sie sie nur an!“ flüsterte er. „Ausschaun tun sie wie ein Haufen ‚Marterln‘ von allen möglichen Stoppelfeldern hierherverpflanzt! Und statt der gewohnten Krähen und Dohlen schwirren ihnen lauter funkelnagelneue Gedanken um die Köpfe, daß sie nicht mehr wissen, woran sie sind, und der Herr Physikus noch weniger.

      Keine Ahnung hat er – keine Ahnung! Was er da schwefelt, mag vor die Franzosen gut genug sein, ihnen die Würmer aus der Nase und das Geld aus den Taschen zu ziehen – was ich übrigens den Geizhälsen gönne! Aber so’n richtiger preußischer Dickkopp, wie ich einer bin, und Sie erst recht, Baron, der wird nimmermehr zugeben, daß man den Schädel erst befühlen muß, um zu wissen,