Das heilige Donnerwetter. Adolf Paul. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Paul
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116316
Скачать книгу
würde mich der Sache wegen freuen“, antwortete Stein ruhig. „Nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe und nach dem, was ich zu meinem Erstaunen soeben auch von Ihnen hören mußte, glaube ich aber nicht recht daran.“

      Blücher lächelte.

      „Sehen Sie sich nur die jungen Leute an, wenn Sie nach Berlin kommen! Da werden Sie gleich am Hofe einen finden, der nach Ihrem Sinne ist – ein junger Kerl, der beim Prinzen August Adjutant ist –, Clausewitz heißt er – kein Windhund, leider, aber sonst ganz mein Fall! Ein Gesicht hat er, das nach sehr gutem Rotspon aussieht – geht nicht aus sich heraus, außer wenn’s eine Sache gilt, dann aber auch gehörig! Den nehmen Sie sich vor! Sagen Sie ihm weiter nichts als das eine Wort: ‚Scharnhorst‘, da sollen Sie sehen, wie er wie eine Pulvermine auffliegt und gleich Feuer und Flamme ist. Auf den Scharnhorst schwören sie, all die jungen Leute, die er bei der Kriegsschule ausgebildet hat. Und recht haben sie. Denn er taugt was, er kann was, und er weiß, was er will. Aber ehe es so weit ist, daß man allerhöchsten Ortes auf ihn hört, da wird er wohl auch steinalt sein und nichts mehr wollen können! Es ist leider Gottes nicht allen gegeben, ihr Leben lang siebzehn Jahre alt zu bleiben.“

      „Deshalb sollen die, denen es gegeben wird,“ sagte der Baron mit Betonung, „sich nicht dagegen sträuben, vorzugehen, wo es not tut!“

      [pg 98]

      „Sträube ich mich etwa?“ rief Blücher lebhaft. „Wissen Sie, ob ich nicht schon eine Denkschrift in der Sache fertig habe?“

      „Bei Ihrer Aversion gegen alles Geschreibsel?“ lächelte der Baron.

      „Nun – wenn die Armee so heruntergekommen ist, wie Sie sagen, warum sollten die Generäle dann nicht auch zur Feder greifen und Tinte verspritzen statt Blut? Taugen wir weiter nichts – dazu taugen wir sicher! Da stehen wir auch unseren Mann, besser als die meisten von den Herren Diplomatikern!“

      Und ohne die Entgegnung des Barons abzuwarten, zeigte er auf das Rathaus, an dem sie jetzt vorbeigingen, und fragte plötzlich:

      „Waren Sie drin?“

      „Wiederholt!“

      „Haben Sie den Friedenssaal gesehen, wo der Westfälische Friede gemacht wurde?“

      „Ich war drin!“

      „Haben Sie sich die Bilder von all den Gesandten genau angesehen, die jenen sauberen Frieden gemacht haben, deren Namen längst vergessen sind? Die hängen da mit Recht zur ewigen Schande der Zunft. Weil sie unser armes, verwüstetes, entvölkertes und ausgeplündertes Deutschland beim Friedensschluß noch mehr zerstückelten und dem Fremden verschacherten, damit er es auf Jahrhunderte hinaus als Tummelplatz für seine Kriegsvölker gebrauchen konnte. Haben Sie sie gesehen?“

      „Man zeigte sie mir!“

      „Nun – haben Sie jemals so ’ne Sammlung Schafsköpfe beisammen gesehen? Diplomatiker, wie nur wir sie noch heute haben – Schlauberger ihrer eigenen Meinung nach, die so gut wissen, wie alles verkehrt gemacht werden muß, nachdem die Welt sich verblutet hat! Und nachher müssen wir wiederum bluten – weil die so überschlau waren, so saudumm zu sein! Sehen Sie sich die noch einmal an! Und nachher gehen Sie nach Berlin, und lassen Sie sich [pg 99]zum Minister machen! – Räumen Sie mit dem Gesindel auf, rotten Sie’s mit Stumpf und Stiel aus! Da rennen Sie mit Ihrem harten Verbrecherschädel das ein, was zuerst herunter soll! Da haben Sie morsches Gemäuer genug für Ihren Bedarf! Kreuzelement, was die Leute bloß alles anrichten! Was die an guten Gelegenheiten vorübergehen lassen – wie die uns allmählich von allen Freunden trennen und die ganze Welt gegen uns aufbringen! – Weil das Schlappschwänze sind, müssen wir auch dafür gelten! Ihretwegen wagt man sich an uns heran! Da müßte schleunigst einer an die Spitze – ein ganzer Kerl, der nichts versteht als nur das eine: die Wut loszulassen, die in uns allen kocht, daß wir endlich einmal wie das heilige Donnerwetter dreinsausen können und reinen Tisch machen! Wie würden wir dann in der Welt dastehen! Ich müßte da vierundzwanzig Stunden zu befehlen haben! Vierundzwanzig Stunden nur!“

      „Ja, wenn Sie nur nicht zu jung wären“, sagte der Baron, über den Eifer Blüchers schmunzelnd.

      „Zu jung?! Sechzig durch!“

      „Werden Sie erst siebzig – toben Sie sich erst aus! Sonst werden Sie uns mit Ihrem jugendlichen Ungestüm alles kaputt machen, wenn Sie das Heft in die Hand bekommen!“

      „Davor brauchen Sie keine Angst zu haben. Man ist allerhöchsten Ortes nicht so schlau, mich als Berater zu nehmen! Sonst würden wir nicht alle Tage Sachen erleben, bei denen einem Dutzende von Läusen über die Leber kriechen! Schwerenot, wenn ich bloß an das Letzte denke, wie wir nun glücklich nach vielem Hin und Her die Franzosen doch in Hannover stehen haben – alles, weil unsere klugen Herren da oben wieder so schlau waren und so gerne möchten und doch nicht zuzugreifen wagten! Himmeldonnerwetter, wie war’s mir, als ich davon Wind bekam! Ich bin kopfüber nach Berlin gereist, ich habe gefleht, ich habe geflucht – nichts hat geholfen! ‚Gehen Sie nach Münster, General‘, war alles, was man mir antwortete. ‚Dort haben [pg 100]Sie Ihr Kommando!‘ Und ich ging – und – an der hannoverschen Grenze in Diepholz, da empfingen mich schon französische Gendarmen und scharwenzelten und parlierten und machten die Honneurs, als wären sie dort zu Hause! Und Herr Mortier troff von Freundlichkeit und falschem gallischen Gemüt über! Hol’ ihn der Teufel! Wenn ich den nur wieder herausschmeißen darf! Jetzt sieht’s der König schon ein! Jetzt möchte er auch gern die Parlezvous wieder heraus haben! Aber statt mir den Befehl zu geben, sie zum Teufel zu jagen, betraut er seine Diplomatiker damit, und da wird’s noch gute Weile haben. Die Leute müßte man dem Physikus Gall in Behandlung geben. Der müßte ihnen die Schädel ordentlich befingern!“

      „Ich möchte gern,“ sagte Stein und lachte in sich hinein, „ich möchte gern wissen, was Sie sagen würden, wenn Sie, als ganz Unbeteiligter, Ihren eigenen Kopf in die Finger bekämen, um ihn auf seine Fähigkeiten zu untersuchen! Ob Sie wohl wie ich denken würden?“

      „Wie denn?“

      „Lauter Gegensätze! Schlau und gerissen – und ein Dickkopf erster Güte! Feuer und Flamme für alles lebensfähige Neue – und doch zäh am Althergebrachten festhaltend! Allen voranstürmend, wenn es eine Sache gilt, aber mit einem Ungestüm, das Sie oft aus dem Sattel wirft! Pech im Kleinen, Glück im Großen – nicht wahr, so würde die Rechnung lauten?“

      „Wie sie lauten würde, weiß ich nicht. Das weiß ich aber: ich gäbe gern meinen Kopf darum, daß da oben, auf der entscheidenden Stelle, der richtige Kopf zwischen den richtigen Schultern säße!“

      Der Baron schwieg. Er blickte zum Residenzschloß auf, vor dem sie jetzt standen und in dessen einem Flügel er residierte, in dem anderen Blücher.

      „Hier trennen sich unsere Wege, General“, sagte er. „Sie sind die militäre Macht – ich die zivile. Wir wollen voneinander nichts wissen – wir wohnen jeder in seinem [pg 101]eigenen Flügel des gemeinsamen Baues. In der Mitte sind die Räume der Krone!“

      „Und da,“ sagte Blücher gallig, „da drin können Sie vor leeren Wänden reden! Denn da wohnt für gewöhnlich – niemand! Statt einem, der einigend über uns beiden steht und uns manchmal zu gemeinsamer Beratung zu sich einlädt – ein leerer Raum, der uns trennt!“

      „Das stimmt“, sagte der Baron. „Dafür einigen wir uns aber – im Küchengarten! Den haben wir gemeinsam, trotz der getrennten Magen!“

      „Die Jagd habe ich allein“, nickte Blücher.

      „Und geben mir doch manchen Braten ab!“

      „Nun, in der Magenfrage begegnen sich eben verständige Leute!“

      Stein antwortete nicht. Er bückte sich nur, nahm ein paar Falläpfel auf und reichte Blücher einen.

      „Da – beißen Sie in den sauren Apfel, General!“

      „Det ist von Ihren Appelbäumen, Baron! Drüben stehen meine – dort gibt’s saure Äpfel genug.“

      „Ich