Das heilige Donnerwetter. Adolf Paul. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Paul
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116316
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Rechte und Pflichten der Bürger und der Landbevölkerung festlegen, ihnen Selbstverwaltung [pg 93]geben, das Gewerbe frei machen, den Besitz ebenso, die Fessel des Handels beseitigen, die Armee neuordnen auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht, so daß das Werbesystem abgeschafft würde und ein jeder es als eine Ehre statt als einen Zwang empfände, das Vaterland zu verteidigen. Zuletzt eine Volksvertretung einsetzen, mit gesetzgebender Gewalt, die die Haushaltung des ganzen Staates zu regeln haben würde – –“

      „Das ist schlau von Ihnen, Baron, die Volksvertretung zuletzt zu nennen“, sagte Blücher. „Ich hatte schon Angst, Sie würden damit den Anfang machen wollen! Die Jakobiner und ihr Gequassel hätten wir sowieso früh genug! Wenn die bei Ihren Reformplänen mitreden sollten – Sie würden sich wundern, was dabei alles herauskäme! – Sie würden Ihr eigenes Kind nicht mehr wiedererkennen und all Ihre schönen Pläne ins Wasser fallen sehen! Am besten lassen Sie die Redebude ganz fahren. Die vertrödelt bloß die Zeit, weiter nichts! Wozu denn! Machen Sie’s lieber ganz allein! Machen Sie’s mit der königlichen Verordnung – die schafft’s, wenn der richtige Mann sie handhabt. Das sah man beim Alten Fritzen! Beschließen – befehlen, und die Sache ist da! Und ist sie gut und ist sie richtig gemacht, dann erst lassen Sie die Leute reden, wenn’s durchaus sein muß! Da ändert an einer rechten Sache auch ein ganzes Parlament von Hohlköpfen nichts!“

      „Das Volk muß,“ sagte der Freiherr energisch, „und das ist das allerwichtigste und davon gehe ich nicht ab – das Volk muß wissen, daß es in seinen eigenen Lebensangelegenheiten mitzureden hat! – Es muß fühlen, daß es nicht nur dazu da ist, um ausgebeutet zu werden. So wie jetzt, ist es ganz teilnahmlos. Wenn heute alles zugrunde ginge – es würde sich nicht im geringsten dafür interessieren. Denn der Staat ist sein Feind – oder er ist ihm zum mindesten gleichgültig! Das Volk empfindet nicht, daß es selbst der Staat ist! Gelingt es nicht, ihm das zum Bewußtsein zu Dingen, so sind wir als Staat verloren und als Volk erst recht.“

      [pg 94]

      „Verehrter Freund,“ antwortete Blücher, „es kann sein, daß Sie recht haben! Wir haben aber keine Zeit, kostspielige Versuche zu machen. Die Welt brennt jetzt an allen Ecken und Enden – sollen wir da Kinder und unerfahrene Leute mit dem Feuer spielen und unser eigenes Dach in Brand setzen lassen? Was sagte ich vorhin – den reinen Verbrecherkopf, den reinen Verbrecherkopf haben Sie!“

      Stein lachte. Aber Blücher faßte ihn beim Arm und zeigte auf den Turm der Lambertikirche.

      „Sehen Sie da hinauf“, sagte er. „Da oben baumelten vor etlichen Jahrhunderten – wie viele ist mir Wurst – zwischen Himmel und Erde, in den drei eisernen Käfigen, je ein solcher Neuerer wie Sie! Sie wissen: der Schneidermeister und König vom ‚Neuen Zion‘, Johann von Leiden, Knipperdolling, sein Kanzler und Henker, und Krechting – denn so hieß wohl der Dritte im Bunde! Die hingen da, bis die Vögel des Himmels ihnen das Fleisch von den Knochen gerissen hatten. Und das waren Leute, die auch – in ihrer Weise – das Volk ‚frei‘ machten, das Alte, Bewährte in Trümmer schlugen, mit Feuer und Schwert vertilgten und ‚das Neue Reich‘ auf dem Schutthaufen aufrichteten. Vergessen Sie nicht: wir stehen hier auf dem klassischen Boden solcher Revolutionen, mitten im ehemaligen Reiche der Wiedertäufer.“

      „Für blutige Revolutionen,“ sagte der Baron ruhig, „wie damals die der Wiedertäufer und heute die Französische, ist hier bei uns kein dauernder Boden. Die Methode führt bei uns zu weiter nichts, als zu stärkster Gegenwirkung. Wir müssen das anders machen, wenn wir uns verbessern wollen – und das möchte ich eben versuchen.“

      „Das tun Sie nur, Baron. Gehen Sie nach Berlin! Ich behielte Sie wohl am liebsten hier, aber da sind Sie uns viel nötiger! Gehen Sie nach Berlin – – seien Sie frech –!“

      „Frech nicht, aber entschieden!“ lächelte der Baron.

      „Das ist bei mir ein und dieselbe Chose!“ sagte Blücher, nahm ihn beim Arm und zog ihn weiter mit.

      [pg 95]

      „Eins bitte ich nur aber aus“, sagte er dann im Gehen. „Wenn Sie dabei sind, alles neu zu machen – von der Armee lassen Sie die Finger! Die besorgen wir vom Bau besser!“

      „Ihr vom Bau hängt zu sehr am Althergebrachten, um Neuerungen die rechte Unbefangenheit entgegenzubringen!“

      „Man muß wohl, wie Sie, unabhängiger Reichsritter gewesen sein, keine Armee zu kommandieren und kein Land zu regieren gehabt haben, um beides besser zu verstehen – nicht wahr?“ lachte Blücher.

      „Ganz gewiß. Da behält man eben den Kopf frei, hat keine Scheuklappen vor den Augen und ist an nichts gebunden als an sein gesundes, natürliches Urteil!“

      „Sehen Sie – das gefällt mir bei Ihnen, Baron! Aber trotzdem mag ich nicht, daß die Zivilisten an der preußischen Armee herummäkeln! Es ist ja viel daran zu bessern, das stimmt. Aber es steckt ein guter Kern darin, der erhalten zu werden verdient –“

      „Eben weil der Kern in der preußischen Volkskraft ruht“, sagte der Freiherr. „Aber nur wir Eingeweihte empfinden das. Das Volk müßte sich dessen auch bewußt werden, damit es an unserer Wehr mitschafft und so seine Kraft verdoppelt!“

      „Wer würde das nicht wünschen? Sie wollen aber alles wegwerfen und von Grund aus neu aufbauen.“

      „Auf altem Grund neu – –“

      „Das geht zu weit. Was gut und wertvoll ist vom alten Gemäuer, das müssen wir mit hinübernehmen – wie unsere Vorfahren bei ihren Kirchenbauten. Die fingen oft romanisch an – sehen Sie nur die alten Kirchen im Lande an – und bauten ruhig gotisch weiter, sobald die Zeit es verlangte, und schlugen so in einem Bau Brücken von Zeitalter zu Zeitalter. So eine Brücke ist unsere Armee. Werft sie ab – und drüben bleibt der Geist der Ordnung, der Tapferkeit und des unbeugsamen Mutes, der sie immer auszeichnete, und kann nicht zu uns herüber.“

      „Der braucht nicht herüberzukommen, denn er ist da, [pg 96]wie er immer in unserem Volke da war. Er wird uns täglich neu geboren!“

      „Aber auch täglich wieder totgeschlagen“, erwiderte Blücher ernst. „Und das eben möchte ich vermieden wissen! Solch einen Totschlag am Geist der Ordnung und Tapferkeit wollt ihr Herren vom Zivil eben begehen, wenn ihr die Hände nach dem preußischen Heere ausstreckt! Ihr sollt mir aber die preußische Armee nicht kaputt machen wollen. Ich habe mit in ihren Reihen gekämpft im Siebenjährigen Kriege – ich war mit ihr in Polen, in den Niederlanden, am Rhein Anno dreiundneunzig und vierundneunzig –, ich habe gesehen, was der preußische Soldat kann, wenn die Führung taugt. Ich verstehe etwas von der Sache und weiß, solch eine Waffe wirft man nicht ohne weiteres fort! Schwerenot! Wenn ich einen guten, scharfgeschliffenen Säbel habe, der mir gut in der Hand liegt und mir vertraut ist, den werf’ ich nicht zum alten Eisen und hole mir einen neuen, der mir am Ende weniger zusagt, sondern ich hau’ feste zu! Aufs Dreinhauen kommt’s heute noch an wie immer! Der richtige Kerl muß nur da sein, der die Waffe der Väter zu führen versteht, dann taugt sie auch!“

      „Das weiß ich ebensogut wie Sie!“ versetzte der Freiherr ein wenig gereizt.

      „Nun, was wollen Sie denn!“ rief Blücher nicht weniger heftig. „Wenn Sie das wissen, da müßten Sie sich auch sagen, daß unsere Waffe nicht verrosten kann! Da müßten Sie doch sehen, daß heute, wie immer, Leute genug dabei sind, sie frisch zu polieren, den Geist und die Bildung beim Offizier zu heben, das Untaugliche hinauszuwerfen und mit dem Schlendrian reinen Tisch zu machen! Und auch, daß uns nichts fehlt als der Befehl zu rascher Tat!“

      „Das alles sehe ich wohl!“ sagte der Baron. „Aber auch das viele Überlebte, das leider Gottes die Macht hat, jede Entwicklung zum Besten aufzuhalten. Da hilft nicht allein der Mann, der befehlen kann – denn was nützen mir Befehle, wo der Gehorsam fehlt?! Der Geist, der sich bereitwillig dem Ganzen unterordnet, der fehlt oben wie unten! [pg 97]Erst muß da Wandel geschaffen – erst muß von Grund aus alles neu geordnet werden. Und der Grund kann nur die allgemeine Wehrpflicht sein, die jedem Staatsbürger das Recht, aber auch die Ehrenpflicht gibt, das Land zu verteidigen, und jede Anwerbung von ausländischem Gesindel ausschließt! Da müßten