Das heilige Donnerwetter. Adolf Paul. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Paul
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116316
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an den Spieltisch und verlieren Sie und weisen es so – negativ nach!“

      „Ich gewinne auch, mein Verehrtester, und nicht zu knapp! Und das liegt bei den Karten und hat mit dem Schädel nichts zu tun!“

      „Soweit ich ihn verstanden habe,“ sagte der Baron, „gingen seine Ausführungen auch nicht so weit auf das Gebiet des praktischen Lebens ein. Er wollte, meines Erachtens, nur rein theoretisch dartun, wie eine geistige Fähigkeit mit den Hirnpartien, in denen sie ihren Sitz hat, ab- oder zunimmt, [pg 89]und nachher durch die dadurch entstehenden Unebenheiten des Schädels nachzuweisen ist.“

      „Das ist eben falsch“, sagte Blücher bestimmt. „Die Erhöhungen des Schädels besagen gar nichts – bei den meisten Menschen jedenfalls nicht mehr als: ‚Hier ist beim gewöhnlichen Rindvieh der Platz für die Hörner!‘ – Da können Sie sich auf mich, als alten Landwirt, verlassen! Sehen Sie sich nur in den Spiegel, Baron!“

      Der Baron blickte ihn an.

      „Ich möchte doch sehr bitten!“ sagte er scharf.

      „Sehen Sie sich nur in den Spiegel!“ lachte Blücher. „Nach den Theorien Galls müßten Sie ein gutmütiger, braver Spießer sein – sanft, fromm und nachgiebig – das Muster eines Familienvaters! Nach meinen dagegen – und ich verstehe etwas von Köppen – ich habe mein Lebtag so ville eingeseift – nach meinen Theorien also, und wenn ich nicht wüßte, daß Sie der Reichsfreiherr vom Stein sind und Oberpräsident der Westfälischen Domänenkammer – da würde ich sagen: das ist ein Raufbold schlimmster Sorte!“

      „Um Gottes willen!“

      „Oder zum mindesten ein geheimer Raubmörder!“

      „Das auch noch!“

      „Gestehen Sie’s nur, Sie haben so etwas auf dem Kerbholz!“

      „Nicht einmal im Traum!“

      „Sie werden doch unter Ihren reichsritterlichen Ahnen wenigstens einen von der Sorte haben?“

      „Kann schon sein!“

      „Nun, sehen Sie! Da werden Sie von ihm ebensoviel geerbt haben, wie ich von dem meinigen, und mit mir eines Sinnes sein und eine Schädellehre haben, und die ist nun die nämliche: wenn all die Dickköppe und Strohköppe und Hohlköppe und Dösköppe und Schafsköppe und Quasselköppe, von denen der Schädelgelehrte da nichts wußte, obwohl wir hier im Lande einen Überfluß daran haben – wenn die alle im Staate mitreden sollten, wie Sie es wollen, oder [pg 90]sich gar zu einem Parlament zusammentun dürften, um Geschrei und allerlei Konfusion zu machen – wie drüben in Paris –, das wäre weit schlimmer als eine allgemeine Kopflosigkeit! Da hilft nur ein Mittel dagegen, und das ist nun das nämliche, was die Jakobiner so gut zu handhaben wußten, nämlich: die Guillotine! Aber auf die richtige Art angewandt – an den Jakobinern selbst. Runter mit dem Salat, das hilft! Nachher wird kein unnütz Stroh gedroschen!“

      „Der Meinung bin ich nun nicht!“ antwortete der Baron energisch. „Es schadet nicht, daß die Leute ihr Stroh dreschen, wenn sie nur mittun und mitempfinden lernen. Nur wenn sie sich auch verantwortlich fühlen, nur dann wird das eingeschlafene Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Vaterland wieder wachgerüttelt. Und kein Fremder darf dann wagen, an deutsche Gaue Hand legen zu wollen, wie er es jetzt wieder versucht!“

      Sie waren inzwischen aus der Akademie herausgekommen und gingen langsam durch die Straßen der alten Stadt nach Hause.

      Auf dem Domhof kam ihnen eine goldstrotzende Prozession entgegen mit wehenden Fahnen, Blumen und Weihrauch und der gesamten Geistlichkeit in prachtvollen Gewändern.

      „Was nützt uns das Wachrütteln,“ sagte Blücher, „wenn die da die Macht haben, die Geister wieder einzuschläfern?“

      Der Freiherr zog seinen Hut, und Blücher salutierte, bis die Prozession vorbei war.

      „Haben Sie gesehen, wie bös die Kerle mich anschielten?“ fragte er dann den Baron. „Die giften sich gewaltig, weil ich hier die Freimaurerloge wieder aufgemacht habe. Een ‚prüsken Windbüdel‘ – een ‚lutherschen Dickkopp‘ haben sie mich genannt. Der Windbüdel setzt ihnen aber noch ganz was anderes als die Loge auf die Nase!“

      „Da drüben hält eine andere Prozession“, sagte der Freiherr und zeigte auf drei Soldaten, die einen gefangenen Deserteur transportierten und ebenfalls von der Prozession [pg 91]aufgehalten worden waren. Sie blieben noch stehen, um den General zu salutieren.

      „Antreten! Melden!“ rief Blücher sogleich, als er sie sah. Und die Leute kamen über die Straße, grüßten ihn nochmals und gaben ihren Rapport ab.

      Blücher blickte den Gefangenen unwillig an. Er war ein junger, kräftiger Bursche. Die Hände waren ihm auf dem Rücken gefesselt.

      „Schämst du dich nicht, Bursche?“ rief Blücher ihm zu. „Siehst, wie der Franzos überall in der Welt haust und wie er seine langen Finger nach immer mehr deutscher Erde ausstreckt – hast zwei kräftige Arme zum Dreschen und willst dich drücken, willst nicht helfen, deine Heimat von den Schuften zu säubern?! Abführen!“ rief er, und die Leute salutierten und zogen mit ihrem Gefangenen ab.

      „Vaterlandsloser Gesell!“ kam es noch verdrießlich aus dem Gehege seiner Zähne hervor.

      „Das ist er wohl. Aber nicht durch eigene Schuld!“ sagte Stein energisch. „Und das dürfen Sie ihm darum auch nicht vorwerfen!“

      „Das wäre wohl auch!“

      „Der, wie die meisten seinesgleichen, hat kein Vaterland! Der hat nur einen Herrn, der von ihm möglichst viel Steuern herauspreßt und ihn womöglich noch zum Kriegsdienst aushebt. Und hat er nicht den einen Herrn, so hat er den andern. Wer’s ist, ist ihm gleich – ob Preuße, ob Franzose, was schert das ihn, wenn er ihn nur möglichst wenig bedrückt! Das vaterländische Gefühl ist eben überall bei uns im Aussterben. Ich sagte es ja schon, und auch, wie es zu bessern wäre, wenn nicht zu spät damit angefangen wird!“

      „Ein Glück, daß die Fahnenflüchtigen unter meine Gerichtsbarkeit fallen! Denn wenn Sie, Herr Präsident, ihn abzuurteilen hätten –“

      „Ich würde in dem Falle versucht sein, Milde walten zu lassen – ich gestehe es! Übrigens werde ich bald hier nichts mehr zu richten haben!“

      [pg 92]

      „Sie sind schon amtsmüde? Nach kaum zwei Jahren?“

      „Das nicht! Man hat mich nach Berlin in die Regierung berufen. Ich soll Minister werden.“

      „Und Sie? Haben Sie angenommen?“

      „Ich habe – bedingt angenommen. Ich möchte mir wohl die Gelegenheit nicht entgehen lassen, zum Besten meines Vaterlandes tätig zu sein. Aber – ich möchte sie auch gehörig ausnutzen können!“

      „Das traue ich Ihnen schon zu. Der König liebt es aber nicht, wenn man ihm Bedingungen stellt!“

      „Ist mir gleich!“

      „Was hat er denn geantwortet?“

      „Er hat – bedingt zugestimmt!“

      „Das ist bei ihm schon viel! Mehr erreichen Sie sicher nicht!“

      „Das genügt mir aber nicht. Entweder ich bekomme die Befugnisse, die ich brauche, um etwas leisten zu können, oder ich gebe mich mit dem ganzen Kram nicht ab!“

      „Was haben Sie denn verlangt?“

      Der Freiherr blieb stehen, faßte Blücher an einem Rockknopf und zwang ihn so, auch stehenzubleiben. Ohne sich um die Blicke der Vorübergehenden zu kümmern, fing er dann an, seine Pläne zu entwickeln, durch die er dem alten Schlendrian den Garaus zu machen gedachte und das alte Preußen von Grund aus umgestalten wollte.

      Erst den Beamtenkörper neuordnen, die ganze Verwaltung vereinfachen, die eigene Jurisdiktion und Finanzverwaltung der Provinzen aufheben und einschlägige Fachminister für das ganze Land einsetzen, so dem Reich den fast föderativen Charakter