KALLIOPE. Arthur Gordon Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arthur Gordon Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351776
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das wär ja klasse“, sagte Reuther. „Hast du denn schon was Konkretes gehört?“

      Stern schüttelte sein Gorgonen-Haupt. „Nee, noch nicht, aber ein Vögelchen hat mir was gezwitschert.“

      „Dann drück ich dir mal fest die Daumen.“

      „Wird schon.“ Stern wickelte sein letztes Fleischstück mit der Gabel geschickt in ein Pak-Choi-Blatt und wischte damit den Teller sauber. Noch genüsslich kauend, winkte er nach der Kellnerin. Da er die Geste in etwa so zurückhaltend wie ein Ertrinkender mit Epilepsie ausführte, wurde die Bedienung schnell auf ihn aufmerksam.

      „Ja bitte, der Herr?“

      „Haben sie Caffè in ghiaccio?“

      Die junge Frau schaute ihn nur fragend an.

      „Gesüßter Kaffee über Eiswürfeln serviert“, erklärte Stern daraufhin.

      „Bedauere, mein Herr. Wir haben nur Espresso, Cappuccino, Caffè Latte …“

      „Schade“, unterbrach er ihre Aufzählung. „Dann nehme ich eben einen Espresso. Einen doppelten, bitte.“ Er warf seinem Tischnachbarn einen Blick zu. „Für dich auch?“

      Reuther schüttelte den Kopf und wies auf sein fast leeres Glas. „Ich hätte aber gerne noch eine Schorle.“

      Als die Kellnerin wieder verschwunden war, schüttelte Reuther lächelnd den Kopf. „Du mit deinen extravaganten Sonderwünschen. Caffè in was war das da eben?“

      „Caffè in ghiaccio“, entgegnete Stern. „Was soll denn daran extravagant sein? Das Rezept kommt ursprünglich aus Spanien, hat sich dann aber auch in Süditalien durchgesetzt. In Salento vor allem.“

      „Salento?“, fragte Reuther.

      „Die Gegend, die den Absatz von Italiens Stiefel formt.“ Stern machte eine abwertende Geste. „Wie auch immer, es ist letztendlich nur ein Kaffee, der eiskalt in einem Glas und nicht in einer Tasse getrunken wird. Statt der Eiswürfel kann man natürlich auch feinen Eisschnee verwenden.“

       „Natürlich.“

      „Verfeinert wird das Ganze noch mit einer grünen Zitronenscheibe oder Pfefferminz.“

      „Was auch sonst.“

      Stern schob sich die Sonnenbrille weit auf die Nasenspitze und betrachtete seinen Freund argwöhnisch. „Ich habe das dumpfe Gefühl, das du dich über mich lustig machst, Marky-Boy.“

      „Ich?“ Reuther riss die Augen weit auf, konnte dabei jedoch ein Grinsen nicht unterdrücken. „Niemals! Du kennst mich doch!“

      „Eben!“

      „Na, jetzt hast du mich aber schwer getroffen“, erwiderte Reuther. „Ich dachte doch nur …“

      „Ja? Was bitte schön dachtest du denn?“

      „Nun …“ Reuther zögerte. „Dass deine Ansprüche zuweilen vielleicht nicht ganz konform gehen mit deinen … nun ja, mit deinen Lebensumständen.“

      Stern drückte sich seine Blues Brothers-Brille wieder zurück auf die Nasenwurzel. „Und was genau willst du mir damit sagen? Dass ich meinen guten Geschmack auf dem Altar des Kapitalismus opfern soll? Dass ich besser nur Brot und Wasser trinke und mich in Sackleinen kleide, nur weil ich momentan eine kleine finanzielle Durststrecke durchmachen muss?“

      Sein Freund schüttelte energisch den Kopf. „Nein, natürlich nicht!“

      Auch wenn die kleine finanzielle Durststrecke jetzt schon länger als drei Jahre andauerte und Stern selbst in der Zeit davor alles andere als umsichtig mit seinem Geld umgegangen war, verzichtete Reuther auf eine dementsprechende Bemerkung. Schotti war halt Schotti. „Nein, so habe ich das nicht gemeint“, beteuerte er. „Es ist nur …“

      „Jahaah?“

      „Nun ja, ich finde nur, man kann auch sehr gut zurechtkommen, ohne besonderen Luxus.“

      Stern stieß einen tiefen Seufzer aus. „Sagt Mr. Eremit höchstpersönlich. Weißt du, Marky, es gibt aber noch einige Leute, die diesen Luxus, wie du es bezeichnest, als durchaus angenehm und notwendig betrachten und die in diesen vielleicht unnützen Dingen den wahren Sinn des Lebens sehen. Schau dir doch mal die Welt an! Überall nur Hass, Gier, Blut und Tod. Da braucht es einfach winzige Oasen der Freude, an denen man sich für einige Minuten aus diesem ganzen Mist zurückziehen kann.“

      „Unter diesem Aspekt habe ich die Sache bislang noch gar nicht betrachtet“, gestand Reuther. „Da könnte tatsächlich etwas Wahres dran sein.“

      „Könnte!“, schnaubte Stern. „Probier's doch einfach mal selbst aus! Ich meine jetzt nicht gleich sechs Wochen Bahamas oder einen Privatjet … nein, Luxus muss wohl dosiert genossen werden. Zuweilen genügt eine teure Zigarre oder ein fünfzigjähriger Brandy.“

      „Oder ein Mittagessen auf der schattigen Terrasse der Orangerie“, warf Reuther ein.

      Sein Freund nickte grinsend. „Genau. So was solltest du viel öfter mal machen!“

      „Ist notiert.“

      Als die Bedienung die Getränke brachte, begann Stern augenblicklich mit seiner Espresso-Zeremonie. Reuther zählte mindestens fünf gehäufte Löffel Zucker, die sein Freund nach und nach in der kleinen Tasse verschwinden ließ. Dann rührte er die schwarze Flüssigkeit in schon beinahe hypnotisch langsamen Kreisbewegungen um.

      „Genau so muss ein Espresso sein“, murmelte er dabei. „Heiß wie Lava und süß wie die Liebe.“

      Reuther grinste. „Oh, der Herr durcheilt den Weltenraum heute auf Pegasus' Rücken? Welch seltene Gnade für uns Sterbliche!“

      Stern antwortete nicht; stattdessen nahm er einen großen Schluck Espresso und schloss dabei genießerisch die Augen.

      „Apropos“, fuhr Reuther im Plauderton fort, „schreibst du eigentlich noch?“

      Stern setzte die fast leere Tasse ab und sagte: „Wann immer man meine Dienste verlangt. Sei es für den Kaninchenzüchterverein, bei Verkehrsunfällen oder Schulsanierungen, der rasende Reporter Thorsten Stern ist stets zur Stelle.“

      „Nein, nicht dein Journalistenzeug. Du weißt genau, was ich meine. Freie Sachen.“

      „Ach, du sprichst von belletristischem Zeugs, von den Sachen, mit denen du dein Geld verdienst?“

      Reuther nickte nur stumm.

      Sein Freund leerte erst seine Tasse, bevor er antwortete: „Nein. Damit habe ich bereits vor vielen Jahren abgeschlossen. Ich hätte auch gar nicht die Zeit dafür. Allerhöchstens wäre mal eine kleine Kurzgeschichte drin. Doch da ich mir dafür und für noch zwei Euro extra eine Tasse Kaffee leisten könnte, lasse ich lieber die Finger davon. Du hast dich bei mir ja schließlich oft genug darüber beklagt, wie schlecht sich heutzutage noch Kurzprosa verkaufen lässt. Was lange Erzählungen betrifft, so fehlt mir dafür ohnehin die Ausdauer und wahrscheinlich auch das Talent.“

      „Das ist sehr schade“, sagte Reuther. „Ich kann mich nämlich noch gut an die eine oder andere Story von dir erinnern. Damals, vor tausend Jahren. Du warst echt gut, Mann!“

      „Ach, hör' schon auf! Das war doch alles nur pubertärer Horror-Kram. Sozusagen John Sinclair für Arme.“

      Reuther entnahm seinem Etui eine weitere Zigarette und zündete sie an. Als er schließlich antwortete, blies er gleichzeitig blaue Nikotinwolken in Sterns Richtung. „Von wegen Sinclair! Du warst tausend Mal besser als dieses Pulp-Geschreibsel. Du hattest eine ganz eigene Stimme, einen unverkennbaren Stil. Noch etwas roh vielleicht, etwas holprig, aber eindeutig mit Potenzial. Deine Storys waren so richtig schön deftig und böse, und zwar schon lange, bevor es hierzulande einen Splatter-Hype gab.“

      Stern machte eine abwertende Handbewegung. „Wenn du es sagst.“ Er starrte noch eine Weile auf den Grund der Tasse, als ob er dort seine Zukunft ablesen könnte. „Nun,