KALLIOPE. Arthur Gordon Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arthur Gordon Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351776
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glitzernde Schwarz. „Das habe ich anfangs auch gedacht“, war sein einziger Kommentar.

      Es war auch jene Nacht, als Miri auf die dumme Idee kam, den alten Lieferwagen seines Vaters für eine Spritztour auszuborgen. Stokan Adamczyk war selbstständiger Klempner und fuhr einen verbeulten Kia-Kleinlaster mit offener Ladefläche. Irgendwelche dubiosen Rohre und Halterungen schepperten und rosteten dort schon seit Jahren vor sich hin. Seitlich am Wagen zog sich ein blauer Schriftzug entlang: INSTALLATIONEN ADAMCZYK – SANITÄR – HEIZUNG – KLIMA. Die teilweise abblätternde Farbe und die rostigen Beulen an der Karosserie stärkten nicht gerade mein Vertrauen in den Betrieb. Man musste allerdings auch schon große Todessehnsucht verspüren, wenn man das Wort Klempner in Hörweite von Adamczyk Senior laut aussprach. Miris Vater war nämlich ein Hüne von Mann und nicht gerade jemand, den man als 'umgänglich' bezeichnen würde. Nicht selten verlor er die Nerven und ließ seine Fäuste sprechen. Verschärft wurde dieses ungestüme Wesen noch durch den Umstand, dass er ein Quartalssäufer war. In schöner Regelmäßigkeit gab er sich an den Wochenenden die Kante. Er versumpfte dann freitagnachts in irgendeiner Kneipe und ließ sich erst frühestens am Samstagnachmittag wieder zu Hause blicken. Den Sonntag (und zuweilen auch den Montag) verbrachte er dann laut schnarchend damit, den Alkoholgehalt in seinem Blut wieder abzubauen. 'Mein Alter ist wieder im Sonntags-Koma', lautete Miris Standardspruch. Auch wenn er es nie direkt aussprach, so wussten wir doch alle, wie sehr unser Anführer unter der Sucht seines Vaters litt. Viele der blauen Flecken, die er wiederholt im Gesicht oder auf den Armen hatte, verdankte er mit Sicherheit seinem alten Herrn und nicht – wie er uns weismachen wollte – Raufereien mit irgendwelchen Idioten. Ich kannte sowieso niemanden in der Gegend, der verrückt genug gewesen wäre, es mit Miri aufzunehmen.

      „Wart ihr schon mal am Bistersee?“ Miris Frage verhallte, ohne dass jemand reagiert hätte. Wir anderen überlegten alle fieberhaft, was genau es wohl mit diesem See auf sich hatte, denn Miri war nicht der Typ, der einfach nur so 'plauderte'. Wenn er etwas sagte, steckte fast immer ein bestimmtes Motiv oder ein Plan dahinter. Ich kam aber beim besten Willen nicht darauf, was er für den Bistersee ausgeheckt hatte.

      „Man kann dort verdammt gut schwimmen“, fuhr er seltsam entspannt fort, so, als hätten wir bereits geantwortet. „Besonders nachts. Ist wesentlich cooler als im Freibad oder hier im mickrigen Bach. Da glaubt man echt, man wär am Meer.“

      „Ich kenne den See“, sagte ich schließlich. „Ich bin dort aber noch nie geschwommen.“

      Ein oder zweimal bin ich mit meinen Eltern dort entlang gekommen. Auf der Fahrt zu meiner Tante. Je nachdem welche Route mein Vater gewählt hatte, lag der See etwa auf der Hälfte des Weges. Ich schätzte die Entfernung von unserem Zuhause auf etwas über vierzig Kilometer. Der See war also kein Ort, an den man mal eben nachmittags mit dem Fahrrad zum Abhängen hinfuhr.

      „Wie soll'n wir denn da hinkommen?“, fragte Mattes daher auch folgerichtig.

      Miri zog an seiner Kippe und gab sie dann an Moppel weiter. „Na, wie wohl? Mit der Karre von meinem Alten natürlich.“

      Moppel hustete plötzlich wie ein asthmakranker Greis. Es blieb unklar, ob es als Reaktion auf Miris Antwort geschah oder einfach an seiner amateurhaften Rauchertechnik lag.

      „Was?“, keuchte er zwischen zwei Anfällen. „Mit der rostigen Klapperkiste? Ich glaube nicht, dass dein Vater große Lust darauf hat, uns bis zum Bistersee hinauszufahren.“

      „Hat ja auch niemand behauptet“, erwiderte Miri. „Ich würde mir den Wagen ganz einfach von ihm ausborgen.“

      Erneut kehrte absolute Stille im Baumhaus ein. Ich glaubte sogar, die Insekten über die Äste krabbeln zu hören. Wir alle wussten, dass Miri wegen seines Alters natürlich keinen Führerschein besaß. Hinzu kam noch das Problem mit seinem cholerischen und trunksüchtigen Vater. Was sollte also das ganze Gerede über eine Fahrt zum Bistersee? Wenn der alte Adamczyk hinter diese Sache käme, würde er seinen Sohn vierteilen. Mindestens. War das etwa Miris Art, uns alle auf den Arm zu nehmen?

      Immer noch grübelnd lehnte ich mich halb über Miri, um mir von Moppel die Kippe zu holen. Ich brauchte unbedingt etwas Nikotin, um meine grauen Zellen auf Vordermann bringen zu können.

      Es war aber Mattes, der sich zuerst zu Wort meldete: „Netter Gag, Alter. Selten so gelacht. Sollen wir gleich los?“

      Adamczyk Junior blieb auch jetzt ruhig. Viel zu ruhig für meinen Geschmack. Unser heimlicher Anführer fluchte zuweilen vielleicht lauter als ein Rudel zugedröhnter Hooligans, wirklich aufpassen musste man aber erst, wenn er leise wurde oder gar schwieg.

      In dieser Nacht war jedoch alles anders.

      Er ließ sogar ein leises Lachen ertönen. „An einem Mittwoch?“, fragte er in die Runde. „Ganz schlechte Idee. Mein alter Herr ist heute Abend so trocken wie die Sahara. Ich käme mit dem Laster nicht mal die Auffahrt runter, bevor er mir im Nacken hängen würde.“ Er stibitzte sich die Zigarette aus meinen Fingern und nahm dann einen knisternden Zug bis zum Filter. „Nein. Ich hatte eher an Samstagnacht gedacht. Wer ist dabei?“

      Erst jetzt begannen wir zu begreifen, wie ernst es ihm tatsächlich mit dem Schwimmausflug war.

      „Du willst echt …?“, begann Moppel ungläubig. „Und was ist, wenn uns die Bullen anhalten?“

      „Auf dieser entlegenen Straße? Da ist doch schon an normalen Tagen kaum Verkehr, am Wochenende haben wir die Strecke garantiert fast für uns.“ Offenbar hatte sich Miri die Sache bereits gründlich überlegt.

      „Und wie kommst du bitteschön an die Schlüssel?“, wollte Mattes wissen.

      Miri drückte die Zigarette am Boden aus und schnippte sie dann in die Nacht hinaus. „Nichts einfacher als das. Wenn mein Alter freitags wie gewöhnlich auf Sauftour geht, kommt er erst irgendwann im Laufe des Samstags zurück. Die Schlüssel liegen dann meist im Flur rum. Aber selbst wenn er sie in der Hosentasche vergessen sollte, wäre das kein Problem. Ist der erst einmal eingedöst, könnte ihn nicht mal mehr ne Atombombe wecken.“ Er setzte sich auf und fixierte uns der Reihe nach. „Na, was ist? Macht ihr mit? Oder seid ihr nur ein Haufen ängstlich winselnder Pussybären?“

      „Kannst du … kannst du überhaupt einen Laster fahren?“, wagte Moppel vorsichtig anzufragen.

      „Jedenfalls besser als mein besoffener Alter“, entgegnete Miri. „Er hat mich drüben auf dem Schrottplatz schon unzählige Runden damit drehen lassen. Ich fahr' dir das Ding mit verbundenen Augen und High Heels an den Füßen.“

      „Hey!“, rief Mattes. „Ich wusste ja gar nicht, dass du auf solche Sachen stehst!“

      „Blödsack!“ Miri warf eine Streichholzschachtel nach ihm, verfehlte ihn jedoch knapp. Das allgemeine Kichern konnte er ohnehin nicht mehr verhindern.

      Da wir aber natürlich nicht als Feiglinge dastehen wollten und durchaus Interesse an einem nächtlichen Badeausflug hatten, stimmten wir schließlich alle Miris Vorschlag zu. Wir vereinbarten, uns kurz vor Mitternacht hinter dem Haus der Adamczyks zu treffen. Unseren Eltern würden wir einfach etwas von einer weiteren Nacht im Baumhaus erzählen. Die Sache war im Grunde narrensicher, wir hatten schließlich Ferien.

      Die drei Tage bis zum Wochenende zogen sich gefühlt unendlich in die Länge. Nur einmal trafen sich die 4M noch im Golderbachtal, doch nur, um eiskalte Cola zu trinken, während alle lässig die Füße im Bach baumeln ließen. Niemand erwähnte den geplanten Ausflug auch nur mit einem Wort. Wahrscheinlich wartete jeder von uns darauf, dass Miri plötzlich „Buh!“ rufen würde. „Alles nur ein Scherz, ihr torfnasigen Pussybären!“

      Aber es gab keine derartige Entwarnung. Miri benahm sich so cool und einsilbig wie immer. Erst als wir uns voneinander verabschiedeten, fragte er beiläufig: „Kann jemand ein bisschen Alk fürs Wochenende besorgen?“

      „Nun … also … ich könnte vielleicht etwas Rum aus der Mini-Bar meines Vaters abzapfen“, sagte Moppel nach kurzem Zögern. „Er öffnet sie immer nur, wenn wir Besuch haben und dann allerhöchstens für einen Scotch. Wenn etwas Rum fehlt, wird es bestimmt keinem auffallen.“

      Miri