KALLIOPE. Arthur Gordon Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arthur Gordon Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351776
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Sie, aber wären Sie bitte so freundlich, ihre Zigarette auszumachen? Der Rauch stört meine empfindliche Nase.“ Die tiefe Stimme besaß etwas widerlich Oberlehrerhaftes. Da machte es jemandem offenbar großen Spaß, andere zurechtzuweisen. Genervt stieß Reuther zuerst eine blaue Wolke aus und öffnete dann die Augen.

      „Hör mal gut zu, Freundchen“, begann er in scharfem Ton. „Wenn du glaubst, du …“ Das breite Grinsen seines Gegenüber irritierte ihn. Der Nörgler sah außerdem nicht gerade wie ein Studienrat aus. Eher wie ein 1,75m großer stark untersetzter Big Lebowski aus Unterbarmen. Er trug ausgebeulte sandfarbene Cargohosen und ein weites Hemd mit Karomuster. Sein schulterlanges rotblondes Haar hing ihm in dicken Strähnen ins Gesicht und überdeckte teilweise eine Sonnenbrille im 50er Jahre Retro-Look. Big-Blues-Brother-Lebowski im Karo-Look. Karos waren schon immer sein Markenzeichen gewesen, weshalb man ihm in der Schule auch diesen besonderen Spitznamen verpasst hatte. Ein Schotte, der sein Clanmuster stets über der Gürtellinie trug.

      Hätte es noch einen Zweifel an der Identität des Dicken gegeben, so wurden die letzten Bedenken nun durch sein dröhnendes Gelächter ausgelöscht. Niemand lachte derart ungehemmt in der Öffentlichkeit wie Thorsten Schotti Stern.

      „Blödmann“, kommentierte Reuther das Auftreten seines Freundes.

      „Ich freue mich auch, dich zu sehen“, sagte sein alter Schulfreund, der immer noch Mühe hatte, ein Kichern zu unterdrücken. „Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen! Hach, immer wieder schön, jemanden auf den Arm zu nehmen. Von null auf hundertachtzig in zwei Sekunden.“

      Stern zog geräuschvoll einen Stuhl zurück und nahm ihm gegenüber Platz. „Hast du schon was bestellt?“

      „Nein, nur eine Schorle.“

      Wie aufs Stichwort erschien jetzt die Kellnerin mit seinem Getränk.

      „Du trinkst an einem so schönen Tag Wasser mit Geschmack?“ Stern verzog angewidert das Gesicht. Er wartete ab, bis die junge Dame das Glas abgestellt hatte, und sagte dann: „Für mich bitte eine Hopfen-Kaltschale vom Fass.“

      Die Bedienung war offenbar derartige Bezeichnungen gewohnt. „Sehr gern, der Herr. Da hätten wir Warsteiner oder Frankenheim Alt.“

      „Ein Warsteiner wäre perfekt.“

      Er schob sich die Sonnenbrille in die Stirn und blickte dann verträumt den schlanken Beinen der Angestellten hinterher. Durch ihren wiegenden Gang pendelte die weiße mit Spitze verzierte Schleife der Schürze hin und her und betonte dabei aufreizend die Rundungen, die sich unter dem engen Rock abzeichneten.

      „Vergiss es“, murmelte Reuther. „Die spielt in einer ganz anderen Liga. Außerdem könntest du fast ihr Vater sein.“

      „Das sagt gerade der Richtige.“ Stern kratzte sich achtlos über einen Pickel auf seiner Wange. Seine teigige Haut war von den Narben einer nur schlecht verheilten Akne überzogen. Die kleinen Gesichtskrater verliehen ihm trotz seiner äußeren Teddybär-Erscheinung etwas brutal Verwegenes. Sterns Vorliebe für alles Süße sorgte jedoch auch für jede Menge neuer Pickel, denen er ständig blutig zu Leibe rückte.

      „Ich steh halt auf Uniformen jeglicher Art. Ist ja wohl kein Verbrechen, oder?“

      Ein feucht glänzender roter Fleck verriet, dass er soeben erneut einen Feind besiegt hatte. Obwohl Reuther diese unappetitliche Marotte seit Langem kannte, studierte er lieber die Mauerverzierungen der Orangerie. Die nächste Frage zwang ihn allerdings dazu, die Freskenbewunderung abrupt zu beenden.

      „Wie läuft's eigentlich mit euch? Mit Evie und dir?“

      Ein weiteres von Schottis zahllosen Talenten bestand darin, wie ein Trüffelschwein zielsicher auch jedes noch so kleine Fettnäpfchen zu entdecken. Ähnlich dem Borstenvieh kannte auch er keinerlei Scham und genoss es geradezu, sich in allen Schlammpfützen zu suhlen.

      „Evie?“ Reuther tat so, als müsste er erst einmal nachdenken, von wem überhaupt die Rede war. „Eher durchwachsen würde ich sagen.“

      „Durchwachsen? Was soll das denn heißen?“

      „Nun ja, wir haben momentan eine kleine Pause eingelegt.“

      Stern schnaufte. „Oh, Mann! Wem machst du hier eigentlich was vor? Eine Pause einlegen heißt doch nichts anderes, als dass es aus ist. Vorbei! Adios muchachos!“

      „So eindeutig würde ich die Sache aber nicht sehen. Ich …“

      „Wie lange dauert eure kleine Pause denn schon an?“, unterbrach er Reuthers Erklärungsversuche.

      „Zwei Monate. Oder vielleicht auch drei. Keine Ahnung. Ich führe nicht Buch darüber.“

      „Oder vielleicht auch schon vier?“ Er schob sich die Sonnenbrille auf die Nasenspitze und fixierte seinen Tischnachbarn über den Rand hinweg. „Und wie oft habt ihr seitdem schon miteinander telefoniert?“

      „Du kennst mich doch“, sagte Reuther. „Ich hab's nicht so mit Anrufen …“

      Stern schüttelte heftig den Kopf. Einige seiner schweißverklebten Haarsträhnen wirbelten dabei um ihn herum wie die Schlangen eines Gorgonenhauptes. „Du bist echt ein hoffnungsloser Fall, Marky-Boy! Du verbarrikadierst dich dort oben in deiner Luxus-Villa, schreibst deine komischen Geschichten und lässt in der Zwischenzeit das Leben einfach so an dir vorüberziehen. Mein Gott, wenn ich deine Kohle hätte, ich wär' ständig unterwegs! Heute New York, morgen Hawaii. Und ständig die schärfsten Weiber um mich herum, verstehst du?“

      Reuther gönnte sich erst einmal einen großen Schluck Schorle, bevor er antwortete: „Da du gerade davon sprichst, wie sieht eigentlich dein Harem aktuell aus?“

      „Kann mich nicht beschweren.“ Er hielt kurz inne, als sein Bier gebracht wurde. Während die Bedienung das Glas abstellte, verschlang Schotti den schlanken Körper der Frau mit seinen Blicken. „Na, hast du gesehen?“, grinste er, nachdem sie wieder alleine waren.

      „Was?“

      „Was? Na, wie tief sie sich zu mir hinabgebeugt hat und wie extra-langsam sie das Bier auf den Tisch gestellt hat, natürlich! Die Tussi steht auf mich.“

      Nun war es an Reuther, die Augen zu verdrehen. „Na aber sicher doch. Das war ja direkt peinlich, wie sie sich dir an den Hals geworfen hat. Das grenzte schon an sexuelle Belästigung.“

      Sterns Grinsen wurde deutlich schmaler. Offenbar war er sich unsicher darüber, ob ihn sein Freund gerade verulkte.

      „Wie dem auch sei“, sagte er schließlich, „richtige Männer leben nicht nur allein von Luft und Liebe.“ Mit diesen Worten nahm er sich die Menükarte und begann sie eingehend zu studieren. Reuther folgte seinem Beispiel. Ihre Unterhaltung würde wohl bis zur Bestellung ruhen müssen, denn Thorsten Stern gehörte zu den Leuten, die das Speisenangebot eines Restaurants mit ähnlich heiligem Ernst begutachteten wie ein Börsenmakler das Wall-Street-Journal.

      Die Wahl fiel schließlich auf eine Gurken-Limonenrahm-Suppe und glasierte Perlhuhnbrust, während Reuther sich für Schweinemedaillons auf Violett-Kartoffelpürree, Pak-Choi und Malzbier-Jus entschied.

      „Was? Heute kein italienisches Gericht?“, wunderte sich Stern. „Du wirst doch dem Land, wo die Zitronen blüh'n, nicht etwa untreu werden?“

      „Keine Angst“, sagte Reuther, „aber wer ständig glücklich sein möchte, muss sich eben oft verändern.“

      „Behauptet wer? Lady Gaga?“

      „Nein, Konfuzius.“

      „Ach, komm mir nicht mit den ollen Japanern. Davon abgesehen bist du so veränderlich wie das Gesetz der Schwerkraft.“

      „Was die Schwerkraft betrifft, dürftest du mir ja einiges voraushaben“, meinte Reuther schmunzelnd. „Tja, zugegeben … ich bin wohl tatsächlich etwas … nun ja … also ein Gewohnheitstier. Aber jeder fängt doch mal klein an, oder etwa nicht? Und Konfuzius war übrigens Chinese.“

      Während des Essens plauderten sie