KALLIOPE. Arthur Gordon Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arthur Gordon Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351776
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für 'ne Horror-Story.“ Seine Hand spielte nervös mit der leeren Tasse. „Na ja, und jetzt ist auch noch passend der Auspuff durchgerostet. Das Endrohr hängt nur noch an einem Stück Draht und Kaugummi.“ Er seufzte. „Also, was ich eigentlich sagen wollte …“

      „Du wolltest mich bestimmt fragen, ob ich dir in deiner Zwangslage vielleicht kurzfristig mit einem Kredit aushelfen könnte“, sprang ihm Reuther zur Hilfe. „Gar kein Problem, Schotti. Wozu hat man denn schließlich Freunde.“

      Stern hielt seinen Blick auch weiterhin gesenkt. „Oh Mann, das ist mir jetzt aber echt peinlich …“

      „Das muss es nicht“, entgegnete Reuther, „auch wenn ich finanziell recht abgesichert bin, bedeutet das nicht, dass ich nicht wüsste, wie dreckig es vielen in unserem Land geht. Allein wenn ich schon das Wort „kalte Progression“ höre, könnte ich das Kotzen kriegen. Der DAX klettert von einem Allzeithoch zum nächsten, aber mit ehrlicher Arbeit kann man sich kaum noch die Miete leisten. Willkommen in good old Germany!“

      Stern nahm die Brille ab und betrachtete sein Gegenüber mit weit aufgerissenen Augen. „Wow! Ich wusste ja gar nicht, dass du unter die Sozialisten gegangen bist.“

      „Bin ich auch nicht!“, antwortete Reuther. „Ich gehe nur mit einigen ihrer Ideen konform. Das, was gewisse Parteien aber damit angestellt haben, steht auf einem ganz anderen Blatt.“ Er drehte sich zu seinem Jackett um, das über der Stuhllehne hing, und zog einen blauen Umschlag aus der Innentasche. Kommentarlos schob er ihn seinem Freund zu.

      Der Journalist beäugte den unbeschrifteten Brief, als ob sich Rauschgift oder Sprengstoff darin befände. „Was … was ist das?“, fragte er verwirrt.

      „Ein kleiner Kredit für deinen Auspuff“, entgegnete Reuther. „Steck's einfach ein und vergiss es.“

      Aber Stern tat nichts dergleichen. Noch immer starrte er verwirrt auf den Umschlag. Sein Gesichtsausdruck erinnerte an den Zuschauer einer Zaubervorführung, der vergeblich versuchte, hinter den Trick zu kommen.

      „Soll das etwa heißen …?“, begann er schließlich. „Hast du das Geld bereits eingesteckt, weil ich dich zum Essen eingeladen habe? Dachtest du etwa, der einzige Grund, mich mit dir zu treffen, sei es, dich anzupumpen? Hältst du mich wirklich für einen derart berechnenden Nassauer?“ Sterns Empörung ließ den letzten Satz dröhnend laut über die Terrasse hallen.

      Reuther hob abwehrend die Hände. „Hey! Hey! Natürlich nicht! Nun komm mal wieder runter. Das Geld war eigentlich für einen Fotoapparat eingeplant, den ich mir kaufen wollte.“

      Stern öffnete den Umschlag und begutachtete den Inhalt. „Das hier sind fünf grüne Scheine. Muss aber ein verdammt teurer Apparat sein.“

      „Teuer ist relativ“, entgegnete Reuther. „Ich hatte mit einer Nikon Coolpix geliebäugelt. Zwölf Megapixel und siebenfacher optischer Zoom. Aber so wichtig war die Angelegenheit nun auch wieder nicht. Ich schätze, dein Corsa braucht seinen Auspuff dringender.“ Glücklicherweise hatte er sich in der letzten Zeit tatsächlich für Digital-Fotografie interessiert, weshalb ihm diese Lüge recht locker über die Lippen kam.

      Stern fixierte ihn aber weiterhin skeptisch. „Wieso nimmst du dafür nicht deine Kreditkarte? Kaum jemand schleppt heutzutage noch so viel Bares mit sich herum.“

      „Ach, du kennst mich doch, Schotti!“, meinte Reuther seufzend. „Wir Schreiberlinge sind eben hoffnungslos Old School.“

      Das Argument traf offenbar mitten ins Schwarze. Stern steckte das Geld zwar auch jetzt noch nicht ein, dafür schlug er aber die Umschlagkante stakkatoartig auf den Tisch. Ein deutliches Anzeichen für Nervosität. Immer wieder wanderte sein Blick zwischen dem Geld und seinem Freund hin und her. Schließlich zog er sein Portemonnaie hervor und verstaute den Umschlag darin. „Das ist das Kreuz mit euch Autoren“, grummelte er. „Lügen ist für euch so selbstverständlich wie Atmen. Nie weiß man, ob ihr euch soeben eine neue Geschichte ausgedacht oder ausnahmsweise doch mal die Wahrheit gesagt habt.“

      Reuther quittierte diese Bemerkung nur mit einem süffisanten Lächeln.

      „Danke, Marky-Boy! Ich werd's dir sofort zurückzahlen, wenn ich wieder etwas flüssiger bin.“

      „Nicht der Rede wert. Mach dir deshalb bloß keinen Stress. Ich nage ja nicht gerade am Hungertuch.“

      Sie wurden vom dumpf dröhnenden Signalhorn eines Schiffes und Möwengeschrei unterbrochen. Sofort zog Stern sein Handy aus einer der vielen Taschen der Cargo-Hose und las die eingegangene SMS.

      „Pferdekacke!“, lautete sein kurzer aber vielsagender Kommentar.

      „Bist du etwa schon wieder beim Pulitzerpreis übergangen worden?“, stichelte Reuther.

      Stern schüttelte seinen rotblonden Schopf. „Viel schlimmer. Das war die Redaktion. Sie brauchen für morgen noch einen Achtzeiler über einen Bauern in Sprockhövel, der angeblich Kobe-Rinder züchtet. Was auch immer das sein mag.“ Er stöhnte laut auf. „Das Los eines Freelance-Sklaven, der bei jedem Kindergeburtstag antanzen darf.“

      „Na ja“, sagte Reuther, „sei doch froh, dass man dich überhaupt anfordert. Du weißt ja, wie mies es vielen kleinen Zeitungen geht.“

      Stern erhob sich und klappte sein Portemonnaie auf. „Nicht nur den kleinen“, sagte er. „Die tolle digitale Revolution macht sie alle nach und nach platt.“ Er fischte einen Fünfziger heraus und legte ihn auf den Tisch. „Hier. Ich hoffe, das reicht.“

      Sofort schob Reuther den Schein wieder zurück. „Lass bloß dein Geld stecken, Schotti! Ich übernehme das schon. Du kannst mich ja beim nächsten Mal einladen.“

      Dieses Mal kostete es den Journalisten schon deutlich weniger Überwindung, den Schein wieder einzustecken. „Danke Kumpel. Und abgemacht: Beim nächsten Mal übernehme ich die Zeche.“ Er zögerte kurz. „Tut mir echt leid wegen des abrupten Aufbruchs, aber mein Redakteur will den Bericht am besten gestern auf seinem Schreibtisch haben. Du kennst das ja mit den verdammten Deadlines.“

      Reuther winkte beschwichtigend ab. „Kein Grund zur Entschuldigung. Der Job geht immer vor.“ Sein Freund drehte sich schon halb um, als ihm noch etwas einfiel: „Ach, was ich dich noch fragen wollte …“

      Stern schob sich seine Sonnenbrille gefährlich nahe auf die Nasenspitze. „Ja-haah?“

      „Du kennst dich doch auch mit Comics und dergleichen aus, nicht wahr? Auch mit diesem japanischen Manga-Zeugs, oder?“

      „Kommt drauf an. Was willst du denn wissen?“

      „Nun ja“, druckste Reuther herum“, es gibt doch diese Jugendlichen, die auf Cons immer so kostümiert und geschminkt herumlaufen … meistens junge Mädchen.“

      „Cosplayer?“

      „Keine Ahnung.“

      „Cosplayer kleiden und schminken sich so wie Manga- oder Computerspiel-Figuren. Meinst du die vielleicht?“

      „Wahrscheinlich ja“, erwiderte Reuther. „Kennst du hier in Wuppertal irgendwelche Gruppen, die sich derartig verkleiden?“

      Stern rieb sich sein schlecht rasiertes Kinn. „Solche Leute dürfte es wohl in jeder großen Stadt geben. Ich kenne jetzt aber nur Gruppen in Köln und Düsseldorf. Wieso?“

      „Ach, nicht so wichtig.“ Reuther nahm einen letzten Apnoe-Zug und drückte seine Kippe dann im Aschenbecher aus. „Ich dachte nur, ich hätte heute Mittag hier auf der Hardt eines dieser Manga-Mädchen gesehen. Mit Rüschenrock und so.“

      „Durchaus möglich“, bestätigte Stern. „Wir sind in Wuppertal zwar nicht gerade Trendsetter in Sachen Popkultur, aber hinter dem Mond leben wir auch nicht.“ Er warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. „So, jetzt muss ich aber los. Meine Kobe-Rindviecher warten auf mich.“ Stern tippte sich mit dem Zeigefinger an eine imaginäre Hutkrempe. „Danke nochmals fürs Essen. Du hast eine Einladung bei mir gut. See you later alligator.“

      Dieses Mal verpasste