KALLIOPE. Arthur Gordon Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arthur Gordon Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351776
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Unsere ganze geheime Tour verlief bislang 'Zapp-Zapp'.

      Bislang zumindest.

      Wir nahmen alle einen kräftigen Schluck des lauwarmen Gebräus und wie immer war Moppel der Erste, der einen lang gezogenen Rülpser von sich gab. Wie in derart erlauchten Kreisen üblich, versuchte nun jeder von uns den anderen mit seinem Können zu übertrumpfen. Mir gelang nur ein kurzes klägliches Aufstoßen, doch Mattes fabrizierte ein Röhren, das schon eine Sieben oder Acht auf der nach oben offenen Moppel-Skala erreichte. Doch dann kam unser Fahrer. Miri lehnte sich weit im Sitz zurück, schloss die Augen, und stieß dann etwas aus, das eine komplette Elch-Herde in die Flucht getrieben hätte.

      Doch plötzlich geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.

      Ein Schatten tauchte auf einmal rechts vor uns auf der Straße auf, ein dumpfes Knirschen ertönte und gleichzeitig riss Miri das Steuer heftig nach links, während die Bremsen laut aufheulten.

      Der Laster beschrieb einen wirbelnden Halbkreis und kam schließlich mit der Schnauze in der Gegenrichtung zum Stehen. Nur mit viel Glück und Miris geschicktem Lenken wurde ein seitlicher Überschlag verhindert. Ich war heftig mit Mattes Kopf zusammengeprallt und rieb mir verwirrt die betroffene Stelle. Bierschaum tropfte wie schmelzender Schnee von der Windschutzscheibe und behinderte unsere Sicht nach draußen.

      „Was … was war das?“, fragte ich zitternd in die Stille hinein. „Was zum Teufel ist passiert?“

      Um mich herum gab es nur leises Stöhnen. Dann hörte ich, wie Miri die Fahrertür aufstieß und nach draußen torkelte.

      „Fucksinn!“, schrie er. „Gottverfluchter Fucksinn!“

      Ich wischte einen Teil des Schaums zur Seite und sah, wie er vorne um den Laster herumging und sich neben die linke Seite hockte.

      „Ist was kaputt?“, fragte ich nach draußen. Miri antwortete nicht; stattdessen wanderte sein Blick immer wieder vom Kotflügel zu einer Stelle schräg hinter ihm.

      „Haben wir etwa ein Tier angefahren?“ Diese Frage kam von Mattes.

      Miri schlug hart gegen die Seite des Wagens. „Woher verflucht noch mal soll ich das wissen? Es … es ging alles so fucksinnig schnell!“ Im Licht der Scheinwerfer wirkte sein verzerrtes Gesicht wie eine Dämonenfratze.

      Endlich erwachte auch Moppel aus seiner Starre. Schwach grunzend schob er sich auf den Fahrerplatz und stieg aus. Mattes und ich nahmen stattdessen die Beifahrertür.

      Wir umringten Miri und starrten auf den Laster, als ob sich dort eine Marienerscheinung manifestiert hätte. Doch außer einer matten Lackschicht mit gesprenkelten rostigen Stellen war nichts zu erkennen. Keine Beule … keine Spuren von Haaren, Federn oder Fell … kein Blut … nichts.

      „Na, da haben wir aber noch mal großen Dusel gehabt“, kommentierte Mattes die Situation. Eine vorschnelle Diagnose, wie wir bald feststellen sollten.

      Moppels Aufschrei ließ uns alle zusammenzucken. „Kommt mal schnell her, Leute. Hier liegt was.“ Er war einige Meter die Straße entlanggegangen und zeigte nun auf etwas neben der Böschung.

      Ich erkannte sofort, um was es sich handelte. Schräg am abfallenden Hang lag ein Fahrrad. Das Hinterrad war verbogen und fast aus dem Rahmen gedrückt worden. In den tiefen Schatten konnte man kaum mehr erkennen. Mir fiel nur noch die gerissene Kette auf, die wie eine tote Schlange im Gras lag.

      „Scheiße!“, war alles, was mir spontan durch den Kopf ging.

      Miri sprang sofort in den Abhang und begutachtete das Rad genauer. Er schob es weiter in Richtung Straße, damit es vom Fernlicht des Lasters angestrahlt wurde. Vorderrad und Lenker sahen unversehrt aus.

      Neben der Klingel flatterte sogar ein blau-weißer Schalke 04-Wimpel. Ich hätte nicht sagen können, warum, aber dieses kleine blaue Dreieck bereitete mir eine üble Gänsehaut. Das und die Stille um uns herum.

      Für eine unbestimmte Zeit drangen nur Miris raschelnde Schritte zu uns hinauf.

      „Was macht er denn da unten?“, fragte Moppel.

      „Na was wohl, Einstein?“, fuhr ihn Mattes gereizt an. „Glaubst du etwa, das Rad ist alleine hier in den Graben gefahren?“

      Wir starrten weiter den Hang hinab, bis Miri plötzlich „Taschenlampe!“, schrie. „Verdammt! Holt mir sofort eine Taschenlampe! Schnell!“ Seine Stimme war nun mehr ein heiseres Keuchen, so, als hätte er Mühe, Luft zu bekommen. Während Mattes vor Ort blieb, rannten Moppel und ich zum Laster zurück, um in unseren Rucksäcken nach dem gewünschten Gegenstand zu suchen. Da die Lampen in den Seitentaschen steckten, wurden wir schnell fündig. Wie üblich hatte ich meine robuste alte Varta mitgenommen; Moppel hingegen besaß eine große Maglite, die über dreihundert Meter weit strahlte.

      Mit eingeschaltetem Licht stürmten wir an Mattes vorbei den Hang hinab. Miri befand sich etwa sechs Meter unter uns, vor einer mit dichten Büschen bewachsenen Senke.

      Das Erste, was die wandernden Lichtstrahlen erfassten, war ein Fuß.

      Er steckte in einem weißen Leinenturnschuh. Der Rest des Beins und der übrige Körper wurden von den Büschen verdeckt.

      „Hier herüber!“, krächzte Miri aufgeregt.

      Wir bahnten uns einen Weg um das Gestrüpp herum und erreichten schließlich den Standort unseres Anführers.

      Miri kniete neben dem Körper einer Frau. Ich konnte das Gesicht der Fremden nicht sehen, da sie auf dem Bauch lag, doch schulterlanges rotbraunes Haar und eine geschwungene Hüfte legten diese Vermutung nahe. Durch den Sturz hatte sich ihr T-Shirt nach oben verschoben, weshalb Teile ihres nackten Rückens sichtbar waren. Zwei breite Kratzer zogen sich schräg darüber.

      Miri hielt sich die Hand schützend vor die Augen. „Nicht auf mich, ihr Idioten!“, schrie er uns an. „Nach unten damit!“ Gehorsam senkten wir sofort unsere Lampen.

      Vorsichtig drehte Miri den Körper auf die Seite und befreite das Gesicht von wirren Haarsträhnen und Blättern. Wie es aussah, war die Unbekannte noch sehr jung. Eher ein Mädchen, kaum älter als wir. Ich schätzte sie auf sechzehn, höchstens siebzehn Jahre. Ihre schlaffen entspannten Züge verliehen ihr etwas seltsam Puppenhaftes. Es sah beinahe so aus, als ob Miri neben einer bleichen Marmorstatue kniete.

      „Ist sie … ist sie tot?“ Die Frage kam von Mattes, der uns den Hang hinab gefolgt war.

      Ich zuckte heftig zusammen. Erst dadurch, dass das Undenkbare laut ausgesprochen worden war, wurde es Teil der Wirklichkeit.

      Unbemerkt hatte sich der Tod angeschlichen und schaute uns nun grinsend über die Schulter.

      Miri tastete mit zwei Fingern am Hals nach einem Puls, dann beugte er sich vor und legte sein Ohr auf die Brust des Mädchens. Zuweilen glaubte ich ein schwaches Zucken des Körpers wahrnehmen zu können, doch es erwies sich wohl als optische Täuschung. Die vermeintliche Bewegung entstand lediglich durch den zittrigen Schein unserer Taschenlampen.

      „Was ist?“, fragte nun auch Moppel.

      Unendlich langsam wandte sich Miri unserer Gruppe zu und schüttelte den Kopf.

      Nun war es an mir, die unvermeidliche Frage zu stellen. „Und was sollen wir jetzt tun?“

      Alle starrten auf den leblosen Körper, als ob dort irgendwo die Antwort zu finden wäre.

      „Wir müssen natürlich die Bullen verständigen“, sagte Mattes schließlich. „Einen Krankenwagen holen. Wir …“

      „Was willst du denn noch mit einem verdammten Krankenwagen?“, fuhr Miri dazwischen. „Das Mädchen ist tot, kapierst du? TOT! Da helfen auch keine Spritzen oder Elektroschocks mehr. Und die Bullen? Was sollen die verfluchten Bullen hier? Das ist doch kompletter Fucksinn! Willst du etwa, dass ich in den Knast wandere? Geklauter Laster, kein Führerschein, sogar Alkohol am Steuer! Und – BANG! – als Sahnehäubchen noch ein totes Mädel obendrauf. Wow! Super! Da kommt ja einiges zusammen.“

      Er wies drohend