Treffpunkt Hexeneiche. Claus Karst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claus Karst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738051018
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dafür sorgen, dass unsere Mediziner den Leichnam baldmöglichst freigeben.“

      „Danke, Herr Hauptkommissar, damit würden Sie mir einen großen Gefallen erweisen.“

      „Ferner bitte ich Sie, möglichst heute noch Ihren Mann der Ordnung halber zu identifizieren.“

      „Wenn sich das nicht verhindern lässt …“

      „Ach, ja, ich werde mir noch die Arbeitsplätze ihres Mannes im Unternehmen und auch zu Hause ansehen müssen, um möglicherweise Anhaltspunkte für ein Verbrechen aufzuspüren.“

      „Ich werde Ihrer Arbeit keinen Stein in den Weg legen, denn ich werde nicht eher Ruhe finden, bis ich weiß, wie und vor allem warum mein Mann zu Tode gekommen ist. Ich muss auch an meine Familie und das Unternehmen denken.“

      „Wer wird das Unternehmen jetzt leiten, wenn ich fragen darf?“

      Frau von Saersbeck stand ebenfalls auf, eine bemerkenswerte Frau, jedoch von einer selbst erbauten Mauer umgeben, die – trotz ihrer unverbindlichen Freundlichkeit – schwerer zu durchdringen schien als Brunhildes Feuerwall in der Nibelungensage.

      „Mein jüngerer Bruder Hagen. Er war bisher zusammen mit Frieder geschäftsführender Gesellschafter unserer Unternehmungen. Vorläufig wird er wohl alleine das Unternehmen leiten müssen.“

      „Fast hätte ich’s vergessen, und nehmen Sie die Frage bitte ernst, auch wenn Sie Ihnen merkwürdig vorkommen mag. Sagen Ihnen die Musketiere etwas?“

      Selbst bei dieser Frage behielt Frau von Saersbeck ihre Haltung und ließ sich keinerlei Verwunderung anmerken, obwohl ihr die Frage recht eigenartig vorkam. Sie schien ein wenig nachzugrübeln, so als wollte sie hinter dieser Frage den Sinn entdecken. Schließlich erwiderte sie ernsthaft, ohne jeden weiteren Kommentar: „Ich kenne welche aus dem Buch von Dumas und aus Filmen, wie wahrscheinlich jeder andere Mensch auch.“

      „Nochmals vielen Dank, gnädige Frau, Sie werden von mir hören.“

      Der Kommissar dachte angestrengt nach, spürte, etwas vergessen zu haben.

      „Oh, noch eine Frage, bitte. Wann haben Sie Ihren Mann zuletzt lebend gesehen?“

      „Gestern Morgen beim Frühstück. Abends kam er spät heim. Ich hatte mich bereits zurückgezogen. Wir benutzten getrennte Schlafräume.“

      „Ich danke Ihnen für die Zeit, die Sie mir – trotz der Umstände – gewidmet haben. Bemühen Sie sich nicht, ich finde schon alleine hinaus.“

      Frau von Saersbeck hatte jedoch bereits eine kleine Glocke in der Hand und läutete nach dem Butler.

      „Der Herr Hauptkommissar möchte gehen, Albert.“

      Sie nickte Cernik grüßend zu und entfernte sich lautlos, wie sie gekommen war, durch eine Tür in der Regalwand.

      „Wenn Sie mir bitte folgen wollen, mein Herr“, forderte der Butler ihn auf.

      „Sagen Sie, wann haben Sie Herrn von Saersbeck zuletzt gesehen?“, fragte Cernik auf der Schwelle des Portals.

      „Er kam gegen 23 Uhr nach Hause und bat mich, ihm einen Drink zu servieren. Mir schien er ein wenig nervös. Er stürzte den Whisky ziemlich hastig hinunter und sagte: ‚Ich gehe noch eine halbe Stunde spazieren, frische Luft schnappen, mein Tag war sehr anstrengend. Sie können für heute Schluss machen, Albert‘.“

      „Und Sie haben Schluss gemacht?“

      „Ich habe noch ein wenig gelesen, bin dann aber eingedöst. Als ich – es muss gegen 3 Uhr in der Frühe gewesen sein – wach geworden bin, beschlich mich ein ungutes Gefühl, und ich habe nachgeschaut, ob der Herr zurück war. Als um 7 Uhr von ihm immer noch nichts von ihm zu sehen war, habe ich die gnädige Frau geweckt und sie informiert.“

      „Ist Herr von Saersbeck öfter abends im Park spazieren gegangen?“

      „Das kann ich nicht bestätigen.“

      „Haben Sie irgendeine Vermutung, was vorgefallen sein könnte, oder ist Ihnen etwas Außergewöhnliches gestern Nacht oder in den letzten Tagen aufgefallen?“

      „Mir steht nicht zu, etwas zu vermuten. Ich sehe nur die Arbeit, die zu verrichten mir aufgetragen wird, mein Herr.“

      „Wie lange sind Sie schon bei den Saersbecks beschäftigt?“

      „Von Saersbeck, bitte! Seit Ewigkeiten, mein Herr.“

      „Geht’s auch genauer?“

      „Ich habe nie versucht, die unzählbaren Stunden der Ewigkeit zu zählen, mein Herr.“

      Bei dieser Antwort schien es dem Kommissar, als würden ein paar Falten in der ansonsten undurchsichtigen Miene des Butlers den Versuch eines Schmunzelns wagen. Der Butler konnte ihm offensichtlich nicht weiterhelfen. Daher beendete er das Gespräch mit der Aufforderung: „Bitte informieren Sie mich, falls Ihnen noch etwas ein- oder auch auffallen sollte.“

      Mit diesen Worten überreichte Cernik dem Butler seine Visitenkarte. Albert hielt ihm die Tür auf, verabschiedete ihn mit einem distanzierten Kopfnicken, und der Kommissar stieg, in Gedanken versunken, die Treppe hinab.

      An seinem Wagen angekommen, holte er erst einmal tief Luft. Er war an diesem Morgen unvermittelt in eine Welt geraten, die nicht die Seine war und die er aus zutiefst verwurzelter Gesinnung verabscheute. Er kannte zwar keine Berührungsängste im Umgang mit den sogenannten hohen Tieren. Sein Beruf hatte ihn mit aller Deutlichkeit gelehrt, dass auch diese Spezies zur menschlichen Rasse zählt – mit all den Schwächen wie auch die der Normalsterblichen. Sein Besuch in der Villa Saersbeck, insbesondere das Auftreten der Dame des Hauses, hatte Spuren in seiner Vorstellungswelt hinterlassen.

      Cernik startete seinen Wagen und fuhr los. Seine Gedanken wirbelten wild und ungeordnet durch seinen Kopf, darunter Gedanken, die er vorläufig noch für sich behalten wollte, sogar musste. Er hielt es für angezeigt, erst einmal Ordnung in die bisher gewonnen Erkenntnisse zu bringen. Um seine Gedanken sacken zu lassen, suchte er nach einer Parkgelegenheit, schaltete den Motor seines Wagens ab, kurbelte das Fenster hinunter, um frische Luft in das Innere des Wagen gelangen zu lassen, drehte die Rücklehne des Fahrersitzes in eine bequeme Liegestellung und überließ sich voll und ganz seinen Eindrücken. Er wollte sich nicht von Fiktionen leiten lassen, die sich bei ihm einzuschleichen begannen, kam aber nicht umhin, sich zuzugestehen, dass der offenkundige Reichtum der Saersbecks ihn mehr beeindruckt hatte, als ihm lieb war. Allerdings hatte dieses Vermögen Saersbeck nicht vor seinem bitteren Ende schützen können, vielleicht lag gar ein Tatmotiv vor.

      Wann immer Cernik auf diese unnahbaren Kreise stieß, brodelten Kindheits- und Jugenderinnerungen hoch, die ansonsten verblasst oder verdrängt waren, und mahnten ihn, sich stets seiner Wurzeln eingedenk zu bleiben.

      Er war als einziges Kind einer Arbeiterfamilie groß geworden. Seine Eltern hatten sich für ihn aufgeopfert, hatten ihm eine ordentliche Schulbildung ermöglicht, um ihm die Chance zu eröffnen, dem Dunstkreis der kleinen Leute zu entkommen.

      Sein Vater, ein Fabrikarbeiter, wenn er denn überhaupt Arbeit hatte, war ein überzeugter Sozialdemokrat, der sich für die Interessen der Arbeiterschaft engagiert und auch als Aktivist in der Gewerkschaft hervorgetan hatte. Sein Standesbewusstsein, Genosse der Arbeiterklasse zu sein, hatte ihn geformt, und er war immer stolz darauf gewesen, ihr anzugehören. Die Vorstellung, mehr zu sein als ein Malocher, hatte nie seiner kleinen Welt entsprochen. Dennoch erhoffte er für seinen einzigen Sohn ein besseres Leben, als ihm selbst beschieden war.

      Sein allzu schlichtes Gemüt hatte ihn, und damit begannen seine Probleme, die Zeichen der Zeit nicht erkennen lassen, denn er weigerte sich zu realisieren, dass Sozialdemokraten und Nationalsozialisten nicht dieselbe Sprache sprachen. Lange Zeit hatte auch er an ein neues klassenloses Deutschland unter der Führung eines Mannes aus seiner Gesellschaftsschicht geglaubt, bis ihm klar wurde, dass die neue Führungselite Deutschland in eine Lage hineinsteuerte, die er als überzeugter Pazifist nicht gutheißen konnte. Bei einer Arbeiter-Versammlung wurde er eines Tages in einer Kneipe von einer SA-Schlägergruppe