Treffpunkt Hexeneiche. Claus Karst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claus Karst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738051018
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seinen Kollegen Klein, der wie ein Hund um die Eiche herumschnüffelte, herbei.

      „Fällt dir hier was auf?“

      Die Blässe in Kleins Gesicht war trotz der schummrigen Umgebung nicht zu übersehen. Er hatte gelegentlich Probleme, mit einem Toten konfrontiert zu werden, und starrte gebannt auf den Hängenden. Als sein Chef ihn ansprach, fuhr er zusammen, als wäre er auf frischer Tat bei etwas Verbotenem erwischt worden.

      „Na, was meinst du? Kannst du dir vorstellen, wie dieser Mann den Baum hochgeklettert ist, sich an die Stelle gehangelt hat, wo er jetzt baumelt, sich fachmännisch die Schlinge umgelegt und sich schließlich fallen gelassen hat, damit ihn Gevatter Tod freundlicherweise ins Jenseits beförderte?“

      Cernik grinste ihn bei seiner Frage unverschämt an.

      „Wenn du mich so fragst …“

      „Willy, ich frage dich! Reiß dich mal zusammen! Wo bist du mit deinen Gedanken? Was hier passiert sein muss, das sieht doch sogar ein Blinder!“

      Cernik hatte hin und wieder ein gespaltenes Verhältnis zu seinem engsten Mitarbeiter, den er aber dennoch sehr schätzte. Klein zeichnete sich als hervorragender Schnüffler aus. Wenn er auf jemanden angesetzt wurde, so verfolgte er mit Zähigkeit und Ausdauer sein Ziel. Nur seine Sicht- und Denkweise war häufig zu sehr eingeschränkt, um die Ergebnisse seiner Ermittlungen, die auf der Hand lagen, zu erkennen und, wie bei einem Puzzle, zusammenzufügen. Bei Verhören mimte er gewöhnlich erfolgreich den Bösen, und manchem Befragten fiel unerwartet schnell etwas ein, wenn er mit Klein ein paar Minuten allein gelassen wurde. Cernik wusste jedenfalls die besonderen Fähigkeiten seines Partners stets geschickt einzusetzen und deckte dessen Schwächen. Er sah sich in der Runde um.

      „Ist der Arzt immer noch nicht da?“

      Ein Beamter rief ihm zu: „Er ist auf dem Weg zu uns hoch.“

      „Dann gönnen wir dem Guten dort oben noch einen Moment frische Luft, obwohl ihm das Atmen schwerfallen dürfe. Und bitte unter dem Baum da weg, oder hat die Spurensicherung schon alle Fußabtritte abgenommen?“

      Kommissar Brüggemann von der Spurensicherung, der auf einer Leiter stand, um das Astwerk zu untersuchen, fühlte sich angesprochen und winkte ihm zu.

      „Du sprühst aber heute Morgen schon vor Galgenhumor, Kollege – im wahrsten Sinne des Wortes. Im Ernst: Es gibt so gut wie keine Spuren. Alle, so scheint mir, sind sorgfältig verwischt worden. Das kann der da oben kaum noch selbst bewerkstelligt haben. Aber merkwürdig ist’s schon, dass rein gar nichts zu entdecken ist. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Profis am Werk waren.“

      Cernik näherte sich behutsam der Eiche und nahm jeden Grashalm, jedes Mooskissen, jedes vermoderte Blatt auf dem Boden mit der ihm eigenen Akribie in Augenschein.

      „Schaut mal her, Leute!“, forderte er seine Kollegen auf, und nachdem Klein und Brüggemann nähergekommen waren, fuhr er fort: „Seht ihr den Eindruck hier? Hier muss doch was gestanden haben. Ein Stuhl vielleicht, eine Leiter oder was weiß ich? Der Tote kann sie kaum noch weggeräumt haben, jedenfalls ist mir ein solcher Fall bisher nicht bekannt geworden. Oder stammen die Eindrücke von der Spurensicherung?“

      Er blickte Brüggemann scharf und fragend an. „Habt ihr sonst was Auffälliges bemerkt? Zigarettenkippen, Abfälle? Was glaubt ihr übrigens, wie der Tote an den Ast gelangt ist, an dem er hängt?“

      Ein Beamter in Uniform kam auf die beiden Kommissare zu und reichte Cernik eine Klarsichthülle mit einem Bogen Papier darin.

      „Hier, das haben wir gefunden, das war an den Baum geheftet.“

      Cernik riss ihm den Fund aus der Hand, verärgert, dass ihm dieses Beweisstück jetzt erst gezeigt wurde, und las, was auf dem Papier geschrieben stand:

       Urteil:

       Tod durch Erhängen wegen Mordes an Kindern.

      Unterzeichnet war das Papier mit:

       Die Musketiere

      Cernik fand bestätigt, dass sein erster Eindruck offensichtlich der richtige war, und gab die Folie zwecks weiterer Untersuchungen zurück.

      „Mahlzeit.“

      Der Rechtsmediziner Dr. Wolfgang Mathes, von Freunden auch Wolf und denen, die des Lateinischen mächtig sind, Lupus genannt, war endlich angekommen. Wie immer ein wenig laut, als wolle er den Toten wieder zum Leben erwecken, um ihm nahezulegen, noch ein wenig weiterzuleben und sich damit die Arbeit einer Obduktion zu ersparen.

      „Konntest dich wohl nicht von deinen toten Patienten trennen? Habt ihr Skat gespielt oder warum erscheinst du jetzt erst?“, grantelte Cernik.

      Der Arzt ignorierte die Bemerkung.

      „Sieht schlecht aus für den da oben. Holt ihn runter, der ist nicht mehr zu retten!“, ordnete er an.

      Cernik nickte. Zwei Polizisten stellten eine Leiter an, kletterten hoch, lösten das Seil und ließen den Toten vorsichtig herunter, wo er von dem Arzt in Empfang genommen und unter dem Baum auf einer Trage abgelegt wurde. Er befühlte die Haut an einigen Stellen, untersuchte die Spuren des Strickes am Hals und schloss dem Toten schließlich die Augenlider. Mathes, seit der Kindheit mit Leo Cernik befreundet, schüttelte seinen Kopf, der im Gegensatz zu dem seines Freundes noch über die Haarpracht seiner Jugend, wenn auch leicht ergraut, verfügte, und flüsterte Cernik zu: „Wenn du mich fragst, und dafür bin ich ja wohl hier: Ich denke, wir können einen Suizid vollkommen ausschließen. Es gab mit Sicherheit Beteiligte. Ich nehme die Leiche jetzt mit, damit du baldmöglichst meine Untersuchungsergebnisse vorliegen hast.“

      „Kannst du mir schon etwas über den Todeszeitpunkt sagen, Lupus?“

      „Du weißt doch … Na, ich denke, gegen Mitternacht, plus minus zwei Stunden. Wissen wir schon, wer der Tote ist?“

      „Nein, er trug nichts bei sich, jedenfalls nichts, was der Identifizierung dienen könnte. Aber ich argwöhne, dass es jemand aus der Familie Saersbeck ist, deren Mitglieder mir allerdings persönlich nicht bekannt sind. Ich gehe davon aus, dass der Tote heute Morgen bei Schneider als vermisst gemeldet worden ist, obwohl er davon nichts wissen wollte. Schneider soll mit der Familie befreundet sein.“

      „Du meinst den von Saersbeck? Den Stahlhändler?“

      „Ich kenne mich in der Familie nicht aus. Aber einer von dieser Sippe wahrscheinlich. Schau dir seine Kleidung an! Nicht armer Leute Klamotten. Und deshalb wird die Angelegenheit auch als geheime Kommandosache behandelt, wie du sicher gehört hast. Es darf vorläufig nichts davon nach draußen dringen.“

      „Von mir dringt nie was nach draußen, mein Lieber, und meine Klientel ist von Natur aus ziemlich sprachlos, wie du weißt. Sollten wir nicht jemanden aus der Villa kommen lassen, um uns Gewissheit zu verschaffen? Vielleicht können wir ihn dann bereits identifizieren und uns unnütze Sucharbeit ersparen.“

      „Hast recht, das machen wir schnell noch, bevor wir die Leiche abtransportieren.“

      Cernik erteilte die Anweisung, jemanden aus der Villa kommen zu lassen, ohne zu sagen, worum es geht. Ein Uniformierter öffnete mit einem Dietrich ein kleines Tor, das sich unweit der Hexeneiche in der Umzäunung zum Saersbeck-Grundstück befand, und machte sich auf den Weg. Bereits kurze Zeit später kam er mit einem livrierten Bediensteten zurück, der sich als Fahrer des Herrn von Saersbeck vorstellte. Cernik hatte die Wartezeit genutzt, um noch einmal jeden Grashalm und das Moos unter dem Baum zu inspizieren, und die beiden Hundeführer angewiesen, das gesamte Gelände in der Umgebung abzusuchen und alles einzusammeln, was sie finden konnten. Inzwischen hatte er eine Ahnung, was sich hier abgespielt haben könnte, doch ohne weitere Hinweise behielt er seinen Verdacht erst einmal für sich.

      Der Fahrer warf einen Blick auf den Toten, seine Augen weiteten sich entsetzt und sein Gesicht verfärbte sich kreidebleich. Mit offenem Mund stand er vor der Leiche und stammelte: „Mein Gott … der Herr von Saersbeck … die arme gnädige Frau ...“

      „Okay“,