Treffpunkt Hexeneiche. Claus Karst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claus Karst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738051018
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das Gesicht seines Vorgesetzten. „Du willst wirklich …?“

      „Von Wollen kann beim besten Willen keine Rede sein. Aber wahrscheinlich bleibt mir nichts anderes übrig. Allerdings muss ich sowieso mit ihr sprechen, wie du dir denken kannst. Ich werde aber erst mal Schneider anrufen und ihn fragen, ob er mir die Überbringung der todtraurigen Nachricht in diesem Fall nicht abnehmen möchte. Schließlich sind’s seine Freunde. Aber wie ich ihn einschätze …“

      Cernik verzichtete darauf, den Satz zu Ende zu sprechen, sah sich noch einmal um und entschied: „Alles abgesperrt und so lange eine Wache hier lassen, bis ich persönlich den Abzug anordne. Wahrscheinlich muss die Umgebung noch weitläufiger abgesucht werden, weil wir hier nichts Verwertbares gefunden haben. Ob eine weitere Suche wegen der vielen Spaziergänger hier im Stadtwald allerdings hilfreich sein wird, sei mal dahingestellt.“

      „Einpacken und in die Rechtsmedizin mit ihm!“, wies Mathes zwei Uniformierte an und verabschiedete sich.

      Die beiden Kommissare begaben sich zurück zum Wagen, da am Tatort nichts mehr zu tun war. Cernik wählte mit seinem Autotelefon die Nummer des Oberstaatsanwalts.

      „Schneider.“

      „Cernik.“

      „Und?“

      „Es ist von Saersbeck!“

      „Mein Gott, wie furchtbar. Die arme Leni, ich meine Frau von Saersbeck.“

      „Sie wollen ihr doch sicherlich persönlich die unangenehme Nachricht überbringen?“

      „Eigentlich sollte ich die Aufgabe in der Tat übernehmen, aber ich habe leider keine Zeit. Termine … Sie verstehen. Ich werde später kondolieren. Machen Sie das bitte, Cernik! Und kommen Sie noch in meinem Büro vorbei!“

      Schneider legte auf und ließ den Kommissar ohne seine Unterstützung mit der unangenehmen Pflicht allein. Cernik wandte sich an Klein: „Fahr schon mal mit den Kollegen zurück. Ich habe noch ein Gespräch zu führen, und das möchte ich lieber ohne Begleitung tun, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen. Ich will nicht den Eindruck erwecken, Druck auszuüben. Noch nicht. Erst einmal muss ich mir ein Bild über die Familie machen, um mich in ihren Verhältnissen zurechtzufinden. Immerhin handelt es sich um die Saersbecks.“

      Während Klein zurück zu anderen ging, um sich nach einer Mitfahrgelegenheit umzusehen, benutzte Cernik ebenfalls das Tor, um auf das Anwesen zu gelangen. Dort ließ er seine Augen umherschweifen und prägte sich die Umgebung mit seinem fotografischen Gedächtnis genau ein. Von dem Tor führte ein offensichtlich selten benutzter Trampelpfad hügelabwärts, anfangs noch umgeben von Eichen, Buchen und dichtem Strauchwerk, und ging schließlich in eine grasbewachsene Freifläche über, in deren Mitte die Villa errichtet war – dreistöckig, im Jugendstil erbaut, mit einigen Balkonen, Dachgauben und Türmchen, die die Strenge des Gebäudes auflockerten. Der Gitterzaun, der das gesamte Gelände eingrenzte und mit dem sich die Eigentümer von der Welt der Normalsterblichen abschotteten, war weitgehend bis zu etwa drei Metern hoch, mit einem Kranz aus Stacheldraht obenauf, und ließ ein unbefugtes Übersteigen nicht geraten erscheinen. Die wollen offensichtlich unter sich bleiben, die Bessergestellten, ging es Cernik durch den Kopf. Oder haben sie vielleicht Angst? Die Beantwortung dieser Frage interessierte ihn sehr, auch, vor wem oder was sie sich möglicherweise fürchteten. Mag sein, dass ich bei meinen Ermittlungen etwas darüber erfahre, sagte er sich.

      Über die Freifläche erreichte er die bekieste Zufahrt, von der eine fünfzehnstufige Steintreppe hinauf zum Portal der Villa führte, bewacht von zwei aus Stein gehauenen Löwenskulpturen, die sich faul auf dem Geländer ausstreckten. Ein Säulenvorbau, der über die Treppe ragte, schützte sie und die Benutzer des Aufstiegs vor allzu feindseliger Witterung. Cernik stieg die Treppen hoch und läutete, wobei ihm der skurrile Gedanke durch den Kopf schoss, dass offenbar nur fünfzehn Stufen zu erklimmen sind, um mit den besseren Kreisen auf eine gleiche Stufe zu gelangen. Ein Butler, in einem Alter, als wäre er ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert, bekleidet mit einer Livree wie aus einem Museum entliehen, leicht gebeugt, mit schlohweißem Haar, zahlreichen Falten im Gesicht und alterstrüben Augen, von denen der Kommissar das Gefühl gewann, dass sie durch ihn hindurch ins Nirgendwo blickten, öffnete ihm.

      „Sie wünschen, mein Herr?“

      „Hauptkommissar Cernik von der Kriminalpolizei. Bitte melden Sie mich Frau von Saersbeck.“

      „Dürfte ich erfahren, was der Grund Ihres Besuches ist, werter Herr?“

      „Sie dürfen nicht! Wenn ich mich mit Ihnen unterhalten möchte, sage ich Ihnen Bescheid.“

      Der Butler zog missbilligend seine Augenbrauen hoch, bat den Besucher einzutreten und hieß ihn in dem Vorraum zu warten.

      Durch eine Tür, die er offenstehen ließ und die Einblick in ein geräumiges Foyer gewährte, schlurfte er davon und stieg mühsam eine breite Holztreppe hinauf, vorbei an zahlreichen Gemälden an der holzgetäfelten Wand, in den ersten Stock, wo eine Galerie in verschiedene Räumlichkeiten führte. Cernik ließ seine Augen umherschweifen und registrierte die gediegene Eleganz und den Luxus, die aus jedem sichtbaren Winkel des Gebäudes zu ihm sprachen. Nach ein paar Minuten kam der Butler zurück und ließ Cernik wissen, dass die gnädige Frau bereit sei, ihn zu empfangen.

      „Folgen Sie mir, bitte, in die Bibliothek, mein Herr!“, forderte er den Kommissar auf.

      Dort, in einem Raum mit schweren Holzregalen vor den Wänden, dicken Perserteppichen auf dem Boden und einem Hauch von Pfeifen- oder Zigarrentabak in der Luft, wies er auf einen Ohrensessel aus Leder, bat Platz zu nehmen und erkundigte sich, ob er etwas zu trinken anbieten dürfe. Der Kommissar bat um ein Glas Wasser und die Erlaubnis, einen Blick auf die Bücher werfen zu dürfen, was der Butler gnädigst gestattete, bevor er sich diskret und lautlos zurückzog.

      Cernik ließ seine Augen über die prachtvollen Folianten schweifen und fragte sich, ob wohl schon je jemand in einem dieser Bücher geschmökert, geschweige denn gelesen habe, als er hinter sich ein Geräusch wahrnahm, eher fühlte. Er wandte sich um, und sein Blick fiel auf eine schlanke Frau, Mitte fünfzig, die abwartend an einem weiteren Ledersessel gelehnt stand. Die Dame des Hauses, Helene von Saersbeck augenscheinlich. Ihre elegante Kleidung, ein dunkelgrau gestreifter Hosenanzug mit einem schwarzen Kaschmir-Pullover unter der geöffneten Jacke, ließ Geschmack, aber kaum ihren Reichtum erahnen, zumal sie keinen Schmuck angelegt hatte. Große dunkelbraune Augen beherrschten ihr klassisches, dezent geschminktes Gesicht, das von kurz geschnittenen, wahrscheinlich eingefärbten braunen Haaren eingerahmt war. Sie musterte ihr Gegenüber mit jener Selbstsicherheit und Distanz, die ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprachen, bevor sie ihn ansprach.

      „Herr Kommissar, Sie wünschen mich zu sprechen?“

      „Ich darf mich vorstellen, gnädige Frau: Hauptkommissar Leo Cernik. Ich habe den Auftrag, den rätselhaften Fund einer Leiche oberhalb Ihres Anwesens im Stadtwald aufzuklären, der Ihnen vielleicht bereits zu Ohren gekommen ist.“

      „Müsste das der Fall sein? Mich interessiert das Gerede der Leute nicht“, unterbrach sie.

      „Pardon, gnädige Frau, so war das nicht gemeint“, entschuldigte sich Cernik. „Aber …“

      „Ja, Herr Kommissar?“

      „Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass der aufgefundene Tote zu Ihrer Familie gehört. Es handelt sich um … Ihren Mann.“

      „Mein Mann?“, wiederholte sie, ohne eine Regung zu zeigen. „Wie kommen Sie darauf, wer behauptet das?“

      „Wir haben seinen Fahrer befragt. Er hat ihn identifiziert. Es scheint demnach kein Zweifel zu bestehen.“

      Frau von Saersbeck nahm in dem Sessel Platz, verhielt ein paar Augenblicke und wies einladend und gefasst auf den Sessel ihr gegenüber. Cernik setzte sich ebenfalls. Sie schlug die Beine übereinander und sah Cernik schweigend an. Keineswegs erweckte sie den Eindruck, überrascht zu sein.

      „Gnädige Frau, wenn ich das anmerken darf, ich finde Ihre Selbstbeherrschung bemerkenswert, fast schon verdächtig.