Treffpunkt Hexeneiche. Claus Karst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claus Karst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738051018
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ist immerhin mehr, als ich gedacht habe. Vielleicht das Ja zuerst, wenn ich bitten darf, das Nein interessiert mich eher weniger.“

      Inga grinste. Sie konnte ihre Befriedigung nie verbergen, wenn ihr Chef Klein auf den Arm nahm, denn sie hatte für Klein nicht besonders viel übrig. Er, verheiratet und Vater von zwei Kindern, hatte in den ersten Tagen, nachdem sie dem Kommissariat zugeteilt worden war, versucht, ihr an die Wäsche zu gehen, sich dabei aber eine derbe Abfuhr geholt. Sie war nämlich eine der besten Kampfsportler im Polizeisportverein, was Klein jedoch damals nicht wusste, bei diesem Anlass jedoch schmerzhaft erfuhr. Nach seiner plumpen Annäherung und einer von ihr perfekt und blitzschnell ausgeführten Judotechnik hatte er nämlich fliegen gelernt und war mit dem Kopf gegen eine Schreibtischkante geknallt. Eine Beule erinnerte ihn noch tagelang später an seinen Flugversuch. Eine kleine Narbe war als warnendes Andenken zurückgeblieben. Cernik hatte sich gedacht, was vorgefallen war. Da Inga die Angelegenheit jedoch nicht zur Sprache gebracht hatte, ließ auch er sie auf sich beruhen. Ein paar Tage später erwähnte er Klein gegenüber jedoch so nebenbei wie möglich, dass für Männer, die es dringend nötig hätten, in der Stahlstraße gewisse Etablissements vorhanden seien, wo selbst hoch angesehene Bürger der Stadt unter ihresgleichen auf gastfreundliche Damen träfen, welche dortselbst über die trefflichsten Befähigungen verfügten, selbst die ungewöhnlichsten Wünsche ihrer Klientel zu erfüllen. Klein reagierte mit scheinbarem Unverständnis auf diesen höchst literarisch formulierten, mehr als deutlichen Hinweis. Er hatte jedoch verstanden und Inga danach ihre Ruhe – zumindest vor ihm.

      „Ich höre …“, forderte Cernik auf zu berichten.

      „Die Spurensicherung hat ein paar Abdrücke von Schuhen unter der Eiche genommen, allerdings allesamt ohne verwertbare Profile, sodass wir nichts damit anfangen können. Und was du auch schon festgestellt hattest, es gab zwei Eindrücke im Boden, als hätte dort eine Leiter oder was auch immer gestanden. Zigarettenkippen und die sonst üblichen Hinweise sind offenbar restlos fortgeräumt worden. Es sieht verdammt nach einem Profijob aus.“

      „Noch was?“

      „Du kennst die alte Burgruine aus der Frankenzeit in der Nähe?“

      „Ja, kenn ich.“

      „Dort haben sich in der vergangenen Nacht offenbar ebenfalls mehrere Personen aufgehalten. Es gab in der Nähe auch ein paar Reifenspuren, die aber nicht zwangsläufig von Beteiligten stammen müssen, denn der Parkplatz wird auch von Wanderern, Jägern und Waldarbeitern angefahren.“

      „Danke, Willy. Fahr noch mal am Fundort vorbei und frag die Kollegen, ob sie noch auf Auffälligkeiten gestoßen sind. Danach kannst du für heute Feierabend machen. Ich muss noch zum Oberstaatsanwalt und Bericht erstatten. Heute gibt’s nichts mehr zu tun, wir machen morgen weiter.“

      Willy Klein ließ sich das Angebot eines frühen Feierabends, was mehr als selten vorkam, nicht zweimal unterbreiten. Schnell griff er nach seiner Jacke und wünschte „einen schönen Abend allerseits“, bevor Cernik sich das Angebot anders überlegte, und machte sich eiligst aus dem Staub.

      Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, saß Cernik noch eine Weile in sich versunken an seinem Schreibtisch. Inga beobachtete ihn gespannt und wartete, da er scheinbar noch mit ihr sprechen wollte. Es war nicht zu übersehen, dass irgendetwas ihn stark beschäftigte.

      „Inga, setz dich bitte mal hierher!“, bat Cernik sie nach einigen Augenblicken.

      Inga rollte mit ihrem Stuhl an seinen Schreibtisch. Cernik blickte sie an und sagte: „Inga, nach den ersten Eindrücken bin ich überzeugt, dass wir hier einen außergewöhnlichen Fall vorliegen haben. Er weist Aspekte auf, die von uns äußerste Vorsicht und Verschwiegenheit in jeder Hinsicht verlangen. In diesem besonderen Fall habe ich zu niemandem Vertrauen außer zu mir und dir. Selbst bei Klein muss ich wachsam sein, da er seinen Mund nicht immer unter Kontrolle hat. Nichts, aber auch rein gar nichts darf von unseren Ermittlungen diesen Raum verlassen, abgesehen von dem, was ich Schneider nicht vorenthalten kann. Und das erledige ich selbst – auf meine Weise.“

      Inga Büllesbach schaute ihren Chef fragend an. So hatte sie ihn noch nicht kennengelernt und konnte sich auch keinen Reim auf seine Eröffnung machen.

      „Hast du schon etwas über die Saersbecks herausgefunden?“

      „Nichts, was die Erwähnung verdient, Chef. Die Saersbecks herrschen über ein sehr weit verzweigtes Handelsimperium. Ich benötige noch mehr Zeit für meine Recherchen.“

      „Macht nichts, Inga. Aber nun das Wichtigste: Der Tote hieß früher Brockhuis, so nannte er sich zumindest, und hat den Namen Saersbeck mit seiner Hochzeit angenommen. Wir müssen Licht in seine Vergangenheit bringen. Das aber – wie ich schon sagte – muss äußerst behutsam geschehen! Und nun machen auch wir Schluss für heute, ich muss noch bei Schneider vorbei. Einen schönen Abend.“

      „Danke gleichfalls, Chef.“

      Gemeinsam verließen sie das Büro, jedoch in unterschiedliche Richtungen. Cernik ging noch einmal zurück, ergriff den Telefonhörer und wählte Schneiders Nummer.

      „Schneider“, meldete sich der Oberstaatsanwalt.

      „Cernik hier. Sie sind ja noch im Büro. Kann ich noch vorbeikommen?“

      „Ich warte schon auf Sie. Bitte beeilen Sie sich, ich habe noch einen Termin heute Abend.“

      Cernik quälte sich durch den Feierabendverkehr der Stadt, hatte das seltene Glück, beim Landgericht sofort einen freien Parkplatz zu finden, und stieg hoch ins Büro des Oberstaatsanwalts. Er klopfte an. Schneider öffnete ihm die verschlossene Tür selbst, da seine Mitarbeiter bereits gegangen waren. Wie immer, wenn er dieses Büro betrat, machte sich bei Cernik Verdruss breit. Dem Kommissar mangelte es an Verständnis dafür, dass dieser Mann ein so aufwendig eingerichtetes Büro sein Eigen nennen konnte, ausgestattet mit teurem Mobiliar, wohingegen sein Büro nur spärlich eingerichtet war und bei der Polizei um die Anschaffung eines jeden Bleistifts gekämpft werden musste.

      „Kommen Sie rein, Cernik, und schließen Sie die Tür!“, forderte der Staatsanwalt ihn auf, als wenn dies nicht selbstverständlich wäre. Der Kommissar hasste den militärischen Ton, den der Staatsanwalt Untergebenen gegenüber gelegentlich anschlug. Cernik kam es immer wieder vor, dass der Staatsanwalt damit irgendwelche Komplexe zu verbergen trachtete, aber ihm war es bis zu diesem Tag nicht herauszufinden gelungen, welcher Art diese Komplexe sein könnten.

      „Ich höre …“, begann der Staatsanwalt das Gespräch recht grantig. Seine Laune schien nicht die beste zu sein, es ging eine ungewöhnliche Unruhe von ihm aus.

      „Ich kann Ihnen noch nicht viel sagen. Wir untersuchen gegenwärtig, ob ein Suizid oder ein Verbrechen vorliegt.“

      „Bitte …? Ein Mord kommt auch infrage? Was lässt Sie das vermuten?“

      „Ich kann mir nicht vorstellen, wie Saersbeck es ohne Hilfe angestellt haben soll.“

      „Ein Mord würde für erhebliches Aufsehen in Stadt und Land sorgen. Der Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht. Eine Selbsttötung wegen einer plötzlich eingetretenen krankhaften Depression würde ich der Öffentlichkeit eher verkaufen können, damit sie nicht unnötig in der Familie und deren Umfeld herumstochert, denn das würde mit Sicherheit zu Widerständen und Einreden von allen möglichen Seiten führen. Stellen Sie einen Suizid fest!“

      „Ich verstehe nicht …“

      Cernik verstand natürlich sehr wohl.

      „Sie haben sehr gut verstanden.“

      „Ich werde – wie immer – meinen Auftrag erfüllen, Herr Oberstaatsanwalt.“

      „Sie sollten mich nicht falsch verstehen. Ich habe nur an die Familie gedacht, mit der ich nicht nur bekannt bin, sondern die auch eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft und auch als Steuerzahler spielt. Bis morgen dann – und schonen Sie die Familie!“

      Der Kommissar erhob sich und verließ mit einem Nicken das Büro des Staatsanwalts. Mehrere Alarmglocken schrillten in seinem Kopf. So deutlich