Gungo Large - Spiel mir das Lied vom Troll. Thomas Niggenaber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Niggenaber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754118160
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musste, bahnte er sich unbeirrt seinen Weg, was die meisten Gewehrschützen schließlich dazu bewog, das Weite zu suchen.

      Nur einer blieb stehen und feuerte weiter, was angesichts des heranstürmenden, stinksauren Monstrums vermutlich ein respektables Maß an Courage erforderte. Dummerweise versagte sein Gewehr plötzlich aus unerfindlichen Gründen seinen Dienst.

      Wahrscheinlich handelte es sich um ein iRifle, mutmaßte der Elf. Vor Regressansprüchen würde die Firma Peach aber wohl verschont bleiben, denn ihrem unzufriedenen Kunden spendierte der Oger kurz darauf einen Freiflug über die Baustelle. Kopfüber landete der bedauernswerte Bursche in dem großen, immer noch qualmenden Schornstein der Lokomotive. Das nur kurze Zucken seiner Beine ließ darauf schließen, dass sein Zug abgefahren war.

      Aus unzähligen Schusswunden blutend, aber immer noch aufrecht, voller Zorn und Energie, stand der Oger nun da. Er blickte wild um sich, wahrscheinlich auf der Suche nach dem nächsten Ziel, an dem er seine unbändige Wut würde auslassen können.

      Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Ein seltsames Knistern ertönte und ein greller Lichtstrahl, einem Blitz ähnelnd, jedoch schnurgerade, schoss waagerecht auf den voluminösen Kahlkopf zu. Bevor dieser sich der Gefahr bewusst wurde, traf ihn der Strahl. Er ließ ihn mit einem ohrenbetäubenden Knall in tausend Teile zerplatzen, so wie eine Nadel einen prall gefüllten Luftballon. Fleisch, Innereien und Gliedmaßen, allesamt verkohlt und noch qualmend, verteilten sich im ganzen Lager. Dort, wo der Oger gestanden hatte, war nur noch ein großer, rußschwarzer Fleck zu sehen.

      Zutiefst erschrocken und verwirrt hielt der Elf Ausschau nach der Quelle dieses Lichtstrahls. Er fand sie kurz darauf in Gestalt eines hochgewachsenen, schlanken Mannes. Dieser hatte sich dem Oger unbemerkt von Westen her genähert, wo ein Zelt stand, das wesentlich größer war als all die anderen. Nun, nach dessen explosivem Ableben, schlenderte er gemächlich inmitten der qualmenden Überreste des Ungetümes umher. Seelenruhig betrachtete er sein Werk und ganz offensichtlich hatten ihn die Geschehnisse nicht im Geringsten beunruhigt.

      Dieses beherrschte, fast schon kaltblütige Auftreten des mysteriösen Mannes unterschied ihn ebenso von den anderen Anwesenden hier wie sein Äußeres. Statt grober Arbeitskleidung trug er einen eleganten, schwarzen Gehrock, Hose und Krawatte aus demselben feinen, dunklen Stoff und ebenso schwarze Lackschuhe. Selbst durch den Staub, der sie nahezu vollständig bedeckte, konnte man diese noch glänzen sehen. Über seinem makellos weißen Hemd trug er eine dunkelgraue Weste mit Nadelstreifen, die von der obligatorischen goldenen Uhrenkette geziert wurde. Der schwarze Zylinder, den er auf dem Kopf trug, und der Gehstock mit goldenem, rundem Knauf in seiner Linken vervollständigten diesen Kleidungsstil, der von den wohlhabenden Einwohnern der großen Städte im Norden Avaritias bevorzugt wurde. Letztendlich waren es aber der typische, nach oben gezwirbelte Schnäuzer und der schmale Kinnbart des seltsamen Fremden, die den Elfen schlussfolgern ließen, dass er aus dem Norden stammte. Aus dem Norden kamen fast nur reiche Kaufleute oder Magier in den Süden. Reiche Kaufleute verschossen in der Regel jedoch keine todbringenden Lichtstrahlen.

      »Ein Magier!«, murmelte der Elf leise. »Was, bei allen Göttern, macht ein Magier in einem Eisenbahner-Camp?«

      Ein zauberkundiger Mensch so nahe bei den Säulen der Unvergänglichkeit - das würde für einiges an Aufsehen im Dorf der Moonytoads sorgen. Weder dem Häuptling noch dem obersten Schamanen würde dieser Umstand besonders gut gefallen. Ihnen würde der Elf deshalb sofort Bericht darüber erstatten, sobald ein anderer Greifenreiter ihn abgelöst hatte und er ins Dorf zurückgekehrt war.

      Doch so lange musste er nicht warten. Als er sich umwandte, um nach seinem Greifen zu sehen, welcher noch immer fügsam auf seinen Hinterläufen saß, entdeckte der Elf die Rauchzeichen, die im Süden emporstiegen. Sie kamen aus seinem Dorf und waren zweifellos an ihn gerichtet.

      Form und Größe der einzelnen Rauchwolken ließen den Elfen erkennen, dass Donnernder Vogel diese Botschaft verfasst hatte. Nur Donnernder Vogel und Feuriger Fuchs waren im Dorf für das Erstellen von Rauchzeichen zuständig. Diese Nachricht war jedoch anders als die Mitteilungen, die Donnernder Vogel sonst versendete. Sie war nüchtern und kurz gehalten, ohne all die Scherze oder dummen Sprüche, mit denen er seine Übermittlungen üblicherweise würzte. Noch nicht einmal das seltsame Wort LOL kam darin vor – ein Begriff, von dem niemand genau wusste, was er eigentlich bedeuten sollte. Der Inhalt dieser Botschaft beunruhigte den Elfen zudem. Es wurde ihm aufgetragen, sofort ins Dorf zurückzukommen, ohne auf eine Ablösung zu warten.

      Die Säulen der Unvergänglichkeit unbewacht zu lassen, wenn auch nur für kurze Zeit, das hatte es seit dem Krieg noch nie gegeben. Mit einem unguten Gefühl in sich kroch der Elf deshalb zu seinem Greif. Er schwang sich auf dessen Rücken, ergriff seine Zügel und tätschelte ihm sanft den Hals.

      »Nun gut, Poe«, sprach er zu ihm. »Lass uns nachsehen, was es so überaus Wichtiges gibt.«

      Von der Unruhe seines Reiters angesteckt, schien auch in dem Greif eine gewisse Nervosität zu erwachen.

      »Nimmermehr!«, krächzte das schwarze Wesen. Dann flogen beide in Richtung Dorf davon.

      4

      Seit Jahren schon träumte ich – nur wenn ich schlief, versteht sich – immer den gleichen Traum vom Krieg. Auf Dauer war dies nicht nur recht langweilig, sondern darüber hinaus auch ziemlich merkwürdig. Das, was in diesem Traum geschah, war mir nämlich während meiner Zeit in der Army nie wirklich passiert.

      In diesem Traum lag ich auf einer Bahre in einem Zelt – einem Sanitätszelt höchstwahrscheinlich, denn neben mir lagen noch andere Soldaten, die ganz offensichtlich verletzt waren. Es roch nach Blut, Schweiß sowie irgendwelchen Heilkräutern und schmerzerfülltes Stöhnen vermischte sich mit den Geräuschen einer weit entfernten Schlacht, die zu uns ins Zelt drangen. Hin und wieder konnte ich Kanonenschüsse und Explosionen hören, dann das Kriegsgeschrei der Elfen oder wilde Schießereien. Dazwischen wurde es immer mal wieder ganz ruhig bis auf das Röcheln der Verwundeten neben mir. Einige von denen waren offensichtlich dabei, ihren Löffel abzugeben.

      »Hurra, lang lebe die Army!«, schoss es mir in diesem Traum jedes Mal durch den Kopf. »Wenn ihr es schon nicht dürft, ihr armen Schweine«.

      Wie bereits erwähnt, hatte ich Ähnliches in der Realität niemals erlebt und vor allem hatte in Wirklichkeit niemals ein Elfenpfeil in meiner Brust gesteckt. An so etwas hätte ich mich doch ganz gewiss erinnert.

      Ich lag also in meinem Traum so da und betrachtete den aus meiner Brust ragenden Pfeilschaft. Während ich das tat, dachte ich darüber nach, dass einem ein solches Geschoss im Leib nicht nur die Uniform, sondern auch den ganzen Tag versauen konnte. Plötzlich trat ein Fremder neben mich und lächelte voller Mitleid auf mich herab.

      Er trug seltsamerweise nicht die Uniform eines Sanitäters oder den Kittel eines Arztes, sondern das Militärgewand eines Magiers. Diese Tatsache machte ihn in meinen Augen nicht unbedingt vertrauenswürdig.

      Magier unterstützten die reguläre Armee in Gefechten mit Feuerbällen, Blitzstrahlen sowie anderem magischen Gedöns. Sie stellten somit das Pendant zu den elfischen Schamanen dar. Mir persönlich waren sie seit jeher unheimlich und nur wenig sympathisch, zumal ihnen bei Eintritt in die Army automatisch der Rang eines Offiziers verliehen wurde. In einem gewöhnlichen Private wie mir konnte diese bevorzugte Behandlung nur den Neid erwecken.

      »Ich kümmere mich gleich um dich, mein Freund«, sagte der Magier und irgendwie weckte dieses Versprechen ein ungutes Gefühl in mir. Selbst in meinem Traum verpassten mir diese Worte eine Gänsehaut, auf der man Möhren hätte raspeln können. Sie klangen drohend und extrem unheilvoll.

      Normalerweise endete mein Traum an dieser Stelle und er tat es auch dieses Mal – nur ein wenig anders als sonst. Von irgendwoher erklang Glockengeläut, leise erst, dann immer lauter, so dass es schon bald alle anderen Geräusche übertönte. Es musste eine seltsame Glocke sein, die dieses Geräusch von sich gab, denn es klang wenig melodisch, eher schief, irgendwie blechern. Erst als mich dieser Lärm langsam aus meinem Unterbewusstsein zurück in die Wirklichkeit lockte, erkannte ich, dass es gar keine Glocke war, die ihn verursachte.

      Es