»Wir benötigen Auskunft über die seltsamen Ereignisse, die momentan stattfinden«, sprach der Schamane nun in seinem gewohnt krächzenden Tonfall. »Was? Wie? Einen Moment, die Verbindung ist total beschissen. Du kommst total abgehackt rüber.«
Weiterhin in Trance nahm Träumender Lurch einen weiteren tiefen Zug aus seiner Pfeife.
»Ja, so ist es besser«, stellte er zufrieden fest. »Kannst du mir mit meinem Anliegen weiterhelfen? Du nicht? Ja, wer denn dann? Ach so! Könntest du mich vielleicht weiter verbinden? Danke, das ist nett!«
Ein kurzer Augenblick verging, dann war der Schamane wohl mit dem richtigen Geist verbunden. Er erzählte ihm vom Verschwinden des Greifenreiters und dem Auftauchen des Magiers. Auch die nächtliche Auferstehung seines sonst inaktiven Körperteils ließ er nicht aus. Stehender Gaul und der junge Krieger starrten ihn währenddessen ungeduldig und wie gebannt an.
»Aha!«, krächzte der Alte nun wieder. »Hmm...soso...ah ja...na gut. Und da bist du dir auch ganz sicher? Na supi! Ich danke dir, oh Ahne! Ach so, bevor ich es vergesse: Ich soll dich von deinem Urenkel grüßen...Ja, er ist leider immer noch so fett, aber was willste machen? Weniger Kohlenhydrate und mehr ungesättigte Fettsäuren? Nicht mehr so viel auf seinem dicken Hintern herumsitzen? Ja, ich richte es ihm aus. Machs gut! Träumender Lurch – over and out!«
Die Augen des Schamanen wurden wieder normal und noch leicht benebelt wandte er sich an die beiden anderen Anwesenden. »Wie ich es vermutet habe: Die Geschehnisse stehen alle in einem Zusammenhang.«
»Und?« wollte der Häuptling wissen.
»Nichts und! Mehr wissen die Ahnen auch nicht.«
Der Greis stand auf und reckte sich. »So, und jetzt brauche ich was Süßes. Ich glaube, ich bekomme einen Fresskick.«
»Das war jetzt aber nicht besonders hilfreich«, stellte der Greifenreiter enttäuscht fest.
Der Schamane huschte indes durch den Wigwam und holte einen großen Topf voller Honig hinter einem Korb voller Schrumpfköpfe hervor.
»Mach einfach das, was wir bereits besprochen haben«, erklärte er, während er den Honig mit einem großen Holzlöffel in sich hinein schaufelte. »Such deinen Bruder, er ist wahrscheinlich der Schlüssel zu allem. Wenn du ihn findest, werden wir mehr in Erfahrung bringen. Sei unbesorgt, die Ahnen konnten mir versichern, dass er noch am leben ist.«
Stehender Gaul öffnete gerade den Mund, um noch etwas zu sagen, als plötzlich ein hoch gewachsener, dünner Elf mit ungewöhnlich blasser Hautfarbe in den Wigwam gestürmt kam.
Es war Finstere Krähe, der Wächter über die Begräbnisstätten der Moonytoads.
Wie natürlich jeder weiß, begraben die Elfen ihre Toten nicht. Sie bauen hölzerne Gerüste, auf denen sie die einbalsamierten Leichname mit einigen Habseligkeiten aufbahren. Der Verwesungsprozess geht trotz des Balsams nicht ohne Geruchsentwicklung vonstatten, weshalb die Bestattungsorte meist weit außerhalb der Dörfer liegen. Auch der Totenacker der Moonytoads lag weit vom Dorf entfernt und nach seinem Keuchen zu urteilen, hatte Finstere Krähe den Weg von dort wohl rennend zurückgelegt. In seinem Blick war von großer Beunruhigung und einem gewissen Entsetzen zu lesen.
»Die Toten«, stammelte er nach Atem ringend. »Sie sind verschwunden.«
Stehender Gaul stand auf und legte dem atemlosen Elf eine Hand auf die Schulter. »Ganz ruhig. Komm erst mal wieder zu Atem und dann erzähle uns was los ist.«
Finstere Krähe holte ein paar Mal tief Luft, schluckte dann und begann nochmal von vorn. »Die Toten sind verschwunden, zumindest einige von ihnen. Gestern waren sie noch alle da. Ich habe es nachgezählt, so wie jeden Abend.«
»Du zählst jeden Abend die Toten?«, wunderte sich der Greifenreiter. Die Notwendigkeit einer solchen Tätigkeit erschloss sich ihm nicht so ganz. Aber er war ja auch kein Totenwächter.
Finstere Krähe richtete sich zu voller Größe auf, so als wollte er vor jemandem salutieren. »Natürlich tue ich das! Ich nehme meine Aufgabe sehr ernst! Die Inventarisierung und Kontrolle der Bestände ist ein wesentlicher Teil meines Jobs, auch wenn die Fluktuation normalerweise eher gering ist!«
»Gut«, mischte sich der Häuptling nun wieder ein. »Es sind also einige Tote verschwunden. Wie kann so etwas geschehen? Glaubst du, jemand hat sie gestohlen?«
»Das weiß ich nicht«, gestand Finstere Krähe. »Wer sollte so etwas tun? Ich habe jedoch alles nach Spuren abgesucht und auch einige gefunden.« Er zögerte ein wenig, als würde er das Folgende nicht wirklich sagen wollen. »Ich habe nur Spuren gefunden, die von den Totenstätten fort führen, aber keine einzige, die zu ihnen hinführt. Es ist so, als wären die Toten von ganz alleine fortgegangen.«
»Au Weia«, bemerkte der nackte Schamane nun, mit Honig verschmiertem Mund. »Da kommt was auf uns zu – und zwar ganz krasser Scheiß!«
6
Schon als mir die beiden Reiter entgegenkamen, ahnte ich, dass dies nichts Gutes zu Bedeuten hatte.
Dabei war meine Reise bislang so schön ruhig und ohne Zwischenfälle verlaufen. Mein namenloser Gaul hatte wie erwartet keinerlei Probleme gemacht und die fünf Feldflaschen voller Whisky, welche ich als Proviant bei mir führte, hatten es mir ermöglicht, den Alkoholpegel in meinem Blut auf einem angenehmen Niveau zu halten. Das Wetter war gut und ich hatte während einer Rast unter sternenklarem Himmel ausreichend Schlaf bekommen. Aus diesem war ich sogar ohne Elsas schmerzhafte Präsenz erwacht. Nur mein Gesäß schmerzte ein wenig, da ich es nicht mehr gewohnt war, so lange im Sattel zu sitzen. Doch auch dieses Ungemach war mit etwas hochprozentigem Beistand gut zu ertragen.
Recht angenehm war mein Ausflug also gewesen, bis ich die ersten umzäunten Weideflächen der Tolemak-Ranch erreichte und die zwei Gestalten erblickte. Alles Mögliche weckten diese, aber auf gar keinen Fall das Vertrauen in mir.
Dabei wusste ich noch nicht einmal genau, was mich eigentlich an diesen Burschen störte. Sehr wahrscheinlich handelte es sich bei denen nur um zwei Viehtreiber, die zur Ranch gehörten. Erst als die beiden mich erreicht hatten und sich drohend – die linke Hand am Zügel, die rechte auf den Griffen ihrer Revolver ruhend – vor mir aufbauten, wurde es mir klar: Sie rochen nicht nur nach Rinderkot, sondern auch nach Ärger.
»Wohin des Weges, Fremder?«, fragte einer der beiden. Er war ein Zwerg, so wie ich, jedoch wie die meisten anderen Zwerge wesentlich kleiner als ich. Zudem war er ein ausgesprochen unansehnliches Exemplar unserer Art. In seinem Gesicht gab es mehr Pickel und Aknenarben als freie Hautfläche. Auch sein ungleichmäßig gewachsener Vollbart konnte diese Makel nicht verbergen. Nur der direkte Vergleich mit seinem Begleiter, einem Ork, wertete seine Erscheinung ein wenig auf. Denn der war noch um ein paar Nuancen hässlicher. Neben dessen wenig ansprechenden, groben Gesichtszügen fielen vor allem die löchrigen, dunkel verfärbten Hauer auf, die aus seinem weit nach vorn gerichteten Unterkiefer emporragten. Eine Bürste oder etwas Vergleichbares hatte die garantiert noch nie berührt.
Beide trugen grobe Baumwollhemden, dreckige Jeans und lederne Chaps darüber, also die typische Arbeitskleidung eines Cowboys. Lediglich der Ork trug statt eines normalen Hutes einen viel zu bunten Sombrero, so wie es nur in Enchico üblich war.
»Zu eurem Boss«, antwortete ich und zeigte auf die Gebäude der Ranch, welche in weiter Ferne bereits zu erspähen waren. »Der Bürgermeister von Copperhole schickt mich. Ich soll mich bei Colonel Don Athuro melden.«
Der Zwerg musterte mich misstrauisch. »Wir wissen, dass jemand aus Copperhole kommen soll. Diesen Jemand sollen wir dann auch zur Ranch bringen. Nur soll dieser Jemand ein Zwerg sein.«
Ich nickte. »Jepp, genau das bin ich – ein Zwerg.«
Nun meldete sich der Ork mit stark enchicanischem Dialekt zu Wort. »Watt? Du bist doch kein Zwerg! Du bist'n Mensch, 'n öder, blöder Mensch!« Zur Bekräftigung seiner Worte rotzte er einen dicken Flatschen pechschwarzen Speichel in das Gras neben sich. Ich fand das ausgesprochen unappetitlich.
Sein