»Zieh dich an, Large«, forderte McHardy mich mit Blick auf meine Unterhose, dem einzigen Kleidungsstück das ich trug, auf. »Du bist verhaftet!«
Ich stöhnte genervt auf. »Och nöööö, nicht schon wieder. Das ist doch Ogerkacke!«
Elsa begann diese frohe Botschaft mit einem Freudentanz in meinem Schädel zu feiern. Wieder einmal wünschte ich mir, dass irgendwann mal ein Kräuterweib, Apotheker oder Alchemist ein Mittel gegen Kopfschmerzen erfinden würde
»Stell dich doch nicht so an«, mischte sich Ombringer ein. »Die Zelle ist doch schon so etwas wie ein zweites Zuhause für dich.«
Ich ignorierte diesen Kriecher und begann stattdessen, mein Zimmer behäbig nach brauchbaren Kleidungsstücken zu durchsuchen. Jede Bewegung meines Kopfes quittierte Elsa dabei mit einem schwungvollen Polkaschritt. Die Gesetzeshüter folgten mir.
»Bei allen Göttern, Large!« McHardy sah sich um und rümpfte demonstrativ die Nase. »Hier sieht es ja aus wie bei einem Kobold unter dem Sofa! Du solltest hier unbedingt mal Ordnung schaffen.«
»Hab ich doch erst vor Kurzem«, erwiderte ich. Meiner Meinung nach sah es hier, abgesehen von ein paar Dutzend leerer Flaschen und einigen nur leicht angeschimmelten Essensresten, ganz manierlich aus. Die Kakerlaken fühlten sich hier zumindest sehr wohl und meine Vermieterin, die gute, alte Witwe Latro, hatte sich auch noch nie beschwert. Letzteres lag aber wohl daran, dass ich sie seit meinem Einzug in ihre kleine Pension erfolgreich davon abgehalten hatte, mein Zimmer zu betreten.
»Was habe ich denn überhaupt verbrochen?«, wollte ich wissen und und angelte meine Hose unter dem Bett hervor.
Das Grinsen inmitten Ombringers fuchsrotem Bart wurde noch breiter. »Hast dein Erinnerungsvermögen wohl auch schon versoffen, was? Du hast dich mal wieder geprügelt und dabei den halben Coppercoin-Saloon in Trümmer gelegt.«
Ich wankte zu meinem Waschtisch und benetzte mein Gesicht mit etwas von dem Wasser, welches sich noch vom Vortag oder dem Tag davor in der Schüssel befand. Ganz langsam kehrte meine Erinnerung an die letzte Nacht zurück, wenn auch nur in Bruchstücken.
»Stimmt, irgend so ein Arsch hat mich Halbmensch genannt.« Ich entdeckte mein Hemd, das statt eines Handtuches am Handtuchhalter hing und zog es an, nachdem ich mich damit abgetrocknet hatte. »Hab ich irgendein Möbelstück auf ihm zertrümmert?«
»Das hast du«, antwortete McHardy. »Und nicht nur eins. Wir mussten ihn unter einem ganzen Berg aus Tischen und Stühlen hervorholen. Der Doc hatte gar nicht genug Schienen, um all seine Brüche zu versorgen.«
Ombringer wäre nicht Ombringer gewesen, wenn er diese Gelegenheit, mich zu provozieren, ungenutzt gelassen hätte. »Dabei hatte der Typ doch nicht ganz unrecht«, spottete er. »Du bist mehr als einen Meter siebzig groß, viel zu dürr für einen Zwerg und die paar Flusen an deinem Kinn kann man wohl kaum einen Bart nennen. Würde mich nicht wundern, wenn es wirklich ein Mensch war, der da mal kurz über deine Mutter gestiegen ist.«
Ich hatte gerade einen meiner Stiefel unter meinem Kopfkissen hervorgeholt und ihn leider schon angezogen, sodass ich ihn dem Deputy nicht mehr an den Schädel werfen konnte. Mein Vater, den ich niemals kennengelernt hatte, war ein ganz heikles Thema für mich, sozusagen mein wunder Punkt. Zwar hatte mir meine Mutter nie etwas über ihn erzählt und sowohl das Wissen über seine Herkunft als auch über seine Rasse mit ins Grab genommen, doch die Möglichkeit, dass er ein Mensch war, hatte ich seit frühester Kindheit ausgeschlossen. Welches vernunftbegabte Wesen will schon mit einem Menschen verwandt sein?
»Dünnes Eis, Ombringer!« Ich trat nahe an den Deputy heran, sah auf ihn herab und hoffte, dass mein Blick eine gehörige Portion Verachtung ausstrahlte. »Ganz dünnes Eis, auf dem du dich da bewegst! Vor allem für jemanden, dessen Vater sämtliche Esel im Ort begattet hat.«
Selbst jetzt erstarb das dümmliche Grinsen im Gesicht des Hilfssheriffs nicht. »Hältst du es für schlau, in deiner Situation eine solch dicke Lippe zu riskieren?«
Noch während er diese Frage stellte, rammte er mir den Kolben seines Gewehres in den Magen. Ich klappte augenblicklich zusammen und konnte nur noch ein kurzes »Uff« von mir geben. Obendrein lief Elsa jetzt zur Höchstform auf. Ich konnte mich echt nicht entscheiden, ob nun das Hämmern unter meiner Schädeldecke oder meine schmerzende Körpermitte den Höhepunkt dieses wundervollen Morgens darstellte.
»Lass den Scheiß!«, fuhr der Sheriff seinen Gehilfen an. »Du weißt, dass ich es nicht leiden kann, wenn man so mit unseren Kunden umgeht.«
Er half mir auf die Beine und reichte mir meinen zweiten Stiefel. Keine Ahnung, wo er selbigen gefunden hatte. Meinen Revolvergurt, der an einem Haken an der Wand hing und als einziger Gegenstand in diesem Raum seinen festen Platz hatte, durfte ich natürlich nicht anlegen.
Ohne diesen fühlte ich mich noch immer irgendwie nackt, als wir die Pension verließen, obwohl ich mittlerweile vollständig bekleidet war. Nur mein schöner, schwarzer Hut blieb unauffindbar und eben diesen vermisste ich schmerzhaft, als wir auf die staubige Hauptstraße Copperholes hinaustraten.
Die Morgensonne brannte nämlich erbarmungslos auf mein noch immer vom Alkohol vernebeltes Gehirn und das helle Tageslicht stach mir in die Augen. All meine übrigen Sinne befanden sich zu dieser ungewohnt frühen Stunde noch in einer Art Dämmerzustand.
Dennoch bemerkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte.
Die sonst so belebten Straßen der kleinen Bergarbeitersiedlung schienen beinahe wie leergefegt. Nur hier und da konnte man einen Einwohner entdecken, der durch den Ort spazierte oder vor einem der schlichten Holzhäuser auf der Veranda saß.
Doch wo waren all die Zwerge, die ihrem Tagewerk nachgingen? Wo waren all die Kutschen, Pferde und Reiter, die sich sonst ihren Weg über die unebenen, holprigen Straßen bahnten, über die jetzt nur ein paar Büschel vertrockneter Steppengräser rollten?
Ich sondierte die Umgebung mit zusammengekniffenen Augen. Der Gemischtwarenhandel auf der gegenüberliegenden Straßenseite war geschlossen, ebenso Russels Drugstore und Littles Lebensmittelgeschäft daneben. Die unnatürliche Ruhe ließ mich vermuten, dass dies bei den anderen Geschäften der Stadt auch der Fall war. Selbst das laute, metallische Hämmern, mit dem der hiesige Hufschmied an normalen Tagen die Ortschaft beschallte, war nicht zu hören.
Dass meine zwei Begleiter all dem keinerlei Beachtung schenkten, stimmte mich zusätzlich misstrauisch. Ich entschloss mich deshalb spontan dazu, diesem Mysterium auf den Grund zu gehen. Selbst unbewaffnet wollte ich mich den unbekannten Herausforderungen stellen.
»Was ist hier los?«, wollte ich wissen. »Warum ist das Kaff wie ausgestorben?«
»Weil es Sonntagmorgen ist, du Trottel«, enträtselte Ombringer dieses Geheimnis unerwartet schnell. »Wahrscheinlich der erste, den du nicht verpennst.«
Mit einem Stoß in den Rücken machte er mir klar, dass ich mich endlich in Bewegung setzen sollte und so marschierten wir drei nach Norden, in Richtung Sheriffbüro, los.
Die wenigen braven Bürger, denen wir unterwegs begegneten, bedachten mich mit abwertenden Blicken und dem Schütteln ihrer biederen, rechtschaffenen Häupter, in denen es, meiner Meinung nach, schrecklich tugendhaft und öde zugehen musste. Vermutlich erweckte mein wenig adretter Kleidungsstil und der augenscheinliche Umstand, dass ich gerade abgeführt wurde, ihre Missbilligung. Ähnliche Reaktionen auf meinen Anblick war ich allerdings schon gewohnt. Wie immer erwiderte ich diese mit einem freundlichen Ihr-könnt-mich-mal-Lächeln, das von Herzen kam.
»Hast du schon meine neue Knarre gesehen?«, fragte der Sheriff nach einer Weile, in der wir schweigend nebeneinander hergegangen waren. Mit stolzgeschwellter Brust hielt er mir sein Gewehr unter die Nase. »Ist