Gungo Large - Spiel mir das Lied vom Troll. Thomas Niggenaber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Niggenaber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754118160
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Früher oder später, auf die ein oder andere Art – aber echt ey!«

      Der Zug brauchte nicht lange, um sein Ziel zu erreichen. Als ob dieser Koloss nicht schon genug Lärm verursacht hätte, betätigte der Lokführer die Dampfpfeife, bevor er bremste, um die Arbeiter an den Gleisen zu warnen. Diese wichen ein paar Schritte zurück und mit lautem Quietschen und Kreischen kam der Zug schließlich inmitten der Baustelle zum Stehen.

      Zunächst konnte der elfische Späher nichts Außergewöhnliches an dem Güterzug entdecken. Dessen Zugmaschine verpestete weiterhin, leise zischend und qualmend, die Luft.

      Doch dann lenkte ein lautes Poltern seine Aufmerksamkeit auf einen der schmucklosen, hölzernen Frachtwaggons, auf dessen Außenseite irgendjemand – wahrscheinlich irgendein Halbstarker – obszöne Malereien und Sprüche mit weißer Farbe hinterlassen hatte. Etwas bewegte sich in diesem Waggon, etwas, das so groß war, dass es ihn trotz seiner Größe hin und her schwanken ließ.

      Seine Vermutung, dass es sich möglicherweise um Pferde handeln könnte, verwarf der Elf schnell wieder. Mithilfe seiner geschulten Sinne blendete er alle anderen Geräusche der Umgebung aus und statt Wiehern oder Hufschlägen vernahm er nur ein Knurren, das alles andere als freundlich klang.

      Auch die anwesenden Arbeiter hatten Notiz von der ungewöhnlichen Fracht genommen. Schnell versammelten sie sich vor dem Waggon wie die Besucher eines Jahrmarktes vor der neuesten Attraktion, was das Interesse des Elfen noch steigerte.

      Seine Neugier sollte befriedigt werden, als der Lokomotivführer – ein dicklicher Zwerg in blauer Latzhose mit einer albern aussehenden, blauen Kappe auf dem Kopf – seinen Führerstand verließ und durch die Horde Schaulustiger zu dem Waggon hinüberschlenderte. Er schloss das überdimensional große Schloss auf, welches die breite Schiebetür des Waggons gesichert hatte und schob selbige beiseite. Damit gab er den Blick frei auf die mächtige Gestalt, die im Inneren kauerte.

      Ein Raunen ging durch die Menge

      Obwohl die Sicht auf dieses Wesen bedingt durch dessen gekrümmte Haltung eingeschränkt war, konnte man erkennen, dass es bestimmt zweieinhalb mal so groß wie ein ausgewachsener Mensch war. Keinerlei Behaarung wies es auf und es besaß menschenähnliche, wenn auch wesentlich gröbere, Gesichtszüge.

      Dem Elfen stockte für einen Moment der Atem. Diese Idioten hatten einen Oger gefangen, ein Geschöpf, das für seine Unberechenbarkeit ebenso bekannt war wie für seine Sturheit und seine enormen Körperkräfte. Wenn man ihnen ihre Ruhe ließ, hatte man von Ogern in der Regel nicht viel zu befürchten. Doch diese Narren hatten ihn seiner Ruhe beraubt.

      Das war der erster Fehler, den sie begangen hatten.

      Der zweite Fehler war es, den riesigen Burschen in einen für ihn viel zu kleinen Waggon zu pferchen. Wohl über Stunden hatte er in unbequemer Haltung dort hocken müssen, was seine Laune gewiss nicht gerade verbessert hatte.

      Fehler Nummer drei war die offensichtliche Absicht, den Oger als Lastenschlepper oder anderweitige Arbeitskraft einsetzen zu wollen. Der Elf war sich sicher, die Reaktion auf den nächsten Fehler würde für ihn äußerst amüsant werden, für die Menschen und Zwerge dort unten allerdings bedeutend weniger.

      Der Lokführer zog nun an der langen Kette, welche die Handgelenke des Ogers fesselte und gebot ihm so, den Waggon zu verlassen. Knurrend und grollend kam der Gigant dieser groben Aufforderung nach. Bis er seinen massigen Körper ins Freie gewuchtet hatte, dauerte es eine ganze Weile. Seine ausladende Körpermitte – eine enorme Wampe, die über seinem Lendenschurz hing und diesen von vorn fast verdeckte – behinderte ihn dabei nicht unwesentlich. Der Güterwaggon schaukelte, ächzte und knirschte bei jeder Bewegung des massigen Kerls. Als dieser ihn endlich verlassen hatte, gab der Wagen ein Geräusch von sich, das fast schon wie ein erleichtertes Seufzen klang.

      »Nun komm schon, du sturer Fleischberg!«, maulte der Lokführer und zog erneut an der Kette.

      Doch der riesige Bursche bewegte sich nun keinen Millimeter mehr. Wie angewurzelt blieb er vor dem Waggon stehen, über den er mühelos hinwegsehen konnte. Ausgiebig und lange schaute er sich erst einmal in seiner neuen Umgebung um. Irgendwie machte er dabei einen fast entspannten Eindruck, doch die hasserfüllten Blicke, mit denen er die anwesenden Arbeiter musterte, ließen nichts Gutes erahnen.

      Ein weiterer Zwerg eilte dem Lokführer zu Hilfe, dann ein Mensch und schon bald waren es drei Menschen und drei Zwerge, die an der Kette zerrten. Das hatte allerdings nur zur Folge, dass die überproportional langen Arme des Ogers, welche beinahe bis zum Boden reichten, ein wenig nach vorne gezogen wurden. Es sah fast so aus, als würden sich die Arbeiter in einem Tauziehen mit dem kahlköpfigen Hünen messen.

      Irgendwann verlor einer der zuschauenden Menschen die Geduld und was dann geschah, war Fehler Nummer vier – der letzte Fehler.

      Der einfältige Kerl lief los, verschwand kurz in einem Zelt südlich der Gleise und kehrte dann mit einer Peitsche zurück. Mit dieser schlug er auf den Oger ein wie auf ein störrisches Rindvieh. Was für eine kolossal blöde Tat er damit begangen hatte, das wurde wohl selbst ihm sehr schnell und auf äußerst unangenehme Art und Weise bewusst.

      Zornig brüllend und mit einem kurzen Ruck befreite der Oger seine Handgelenke von der Kette, woraufhin alle, die daran gezogen hatten, auf ihre Hinterteile fielen. Dann schritt er zu dem Peitschenschwinger hinüber. Mit einem einzigen, wie beiläufig wirkenden, von oben geführten Hieb verwandelte er dessen Kopf in einen Klumpen blutigen Matsch.

      Sämtliche Anwesenden verstummten sofort. Fassungslos und zutiefst schockiert blickten sie wie gebannt auf die langsam zu Boden tropfende Hirnmasse des Matschkopfes. Dessen Körper blieb noch einen Augenblick lang aufrecht stehen, bevor er leblos in sich zusammensackte.

      Nun kümmerte sich der Oger um den Lokführer, der noch immer starr vor Schreck auf seinem Hosenboden saß. Mit seinen beiden riesigen Pranken ergriff er den Schädel des Zwerges, um ihn wie eine überreife Tomate zerplatzen zu lassen, sodass die alberne blaue Kappe von einer Blutfontäne in die Höhe geschossen wurde.

      Das war das Startsignal für eine umgehend ausbrechende Panik. Menschen und Zwerge stoben auseinander wie eine Horde aufgeschreckter Hühner. Schreiend und kreischend liefen sie davon, sie stolperten übereinander oder rannten kopflos vor irgendwelche Hindernisse. Dabei verursachten sie einen Heidenlärm, der den zornigen Oger noch mehr in Rage versetzte.

      Einen wütenden Oger mit einem Hurrikan oder einem ähnlich zerstörerischen Unwetter zu vergleichen, ist sehr treffend. Wie eine solche Naturgewalt fegte der rasende Gigant nun auch durch das Camp. Körper wirbelten durch die Luft, vollständig oder nur Teile davon; Holzhütten, Zelte sowie Gerüste wurden im Vorbeigehen komplett zerlegt und wimmernde Zwerge von riesigen Füßen zermalmt. Das, was Hunderte von Arbeitern in wochenlanger Arbeit aufgebaut hatten, zerstörte der wütende Oger in wenigen Sekunden.

      Der Elf, hoch droben auf seinem Aussichtspunkt, war erstaunt über die Beweglichkeit und die Schnelligkeit, mit der sich der massige, plump wirkende Riese dabei bewegte.

      »Wieselflink das Kerlchen«, flüsterte er anerkennend. »Ziemlich adipös, aber wieselflink.«

      Er beobachtete beeindruckt weiter, wie der Oger nun eine Bahnschiene aufhob, deren Gewicht zu stemmen es eigentlich die Kraft mehrerer Arbeiter benötigt hätte. Mühelos warf er sie einem flüchtenden Menschen hinterher. Der ballistischen Flugbahn eines Wurfspeeres gleich beschrieb die Schiene einen spitzen Bogen in der Luft, bevor sie zu Boden raste und den Flüchtenden traf. Dieser hatte sich einen Augenblick zuvor umgedreht, um das Geschehen hinter sich beobachten zu können. Das schwere Wurfgeschoss rammte ihn in den Boden, sodass links und rechts davon nur noch seine Füße hervorlugten.

      In der Zwischenzeit hatten einige Arbeiter offensichtlich ihren Verstand und ihre Eier wiedergefunden. Aus einem Holzverschlag, der anscheinend als Waffendepot diente, hatten sie sich Gewehre besorgt und nun eröffneten sie damit gemeinsam das Feuer auf den Oger.

      Dieser schenkte dem Beschuss zunächst keinerlei Beachtung. Er war voll und ganz damit beschäftigt, mit dem ausgerissenen Bein eines Menschen auf einen Zwerg einzuprügeln. Erst als sich zwei der Geschosse in seinen Rücken bohrten,