Die Stimme klang abweisend und gereizt.
In dem Tonfall hätte sie auch „wer geht mir auf den Geist?“ fragen können.
„Hallo Gesi, ich störe dich wohl“, kam es folgerichtig, beinahe ein wenig schüchtern.
„Ach Valli, du bist es. Nein, nein, du störst mich nicht. Ich habe gedacht, es ist wieder jemand von der Dienststelle. Ich hatte das ganze Wochenende Bereitschaftsdienst. Da baut sich bei mir zwangsläufig eine Aversion gegen das Telefon auf. Wie geht es dir, Kleine?“
Gesine Walther, Erste Kriminalhauptkommissarin, stämmig, Fachkommissariat 3, Betrug und andere Schweinereien, war die Kollegin bei der Hamburger Polizei, zu der Valerie die engsten Kontakte hatte. Die energische Kollegin sah nicht nur so aus, sie war auch die Mutter der Kompanie. Mit der Erfahrung von über dreißig Dienstjahren spürte sie sofort, dass es sich bei dem Anruf ihrer Freundin nicht um reine Höflichkeit handelte und hakte augenblicklich in ihrer burschikosen, direkten Art nach.
„Los erzähl schon. Wo drückt dich der Schuh?“
Valerie holte tief Luft und berichtete. Nachdem sie ihr die dürren Fakten erzählt hatte, die ihr selbst nur bekannt waren, herrschte eine Zeit lang Stille am anderen Ende der Leitung.
„Sag mal, SFOR-Soldaten, das klingt verdammt nach NATO“, um zuckersüß nachzufragen „ Ist deine Freundin Anna-Lena nicht bei der NATO beschäftigt?“
„Ja, schon, aber... .“
Valerie kam nicht mehr weiter. Gesi fiel in ein prustendes Gelächter und hatte Mühe, sich wieder in den Griff zu bekommen.
„Oh je, einen Moment lang habe ich wirklich geglaubt, ich müsste mir Sorgen um dich machen, aber wenn es von Anna kommt ... .“
Sie ließ den Satz vielsagend offen.
„Also glaubst du.“ Valeries Entrüstung war nicht gespielt.
„Was willst du? Diese angebliche Entführungsgeschichte werde ich im Leben nicht vergessen.“
„Darüber sind schon sämtliche Witze gemacht worden, außerdem ... .“
„Hör zu, ich habe das zuerst auch nicht ernst genommen. Aber je länger ich mir die Unterlagen angeschaut habe, umso merkwürdiger kommt es mir vor.“
Valeries Stimme hatte sich eine Nuance verändert. Gesi kannte sie lange genug, um die leichte Enttäuschung zu spüren, die in ihren Worten mitschwang und lenkte ein.
„Ich sehe das so. Es gibt doch im Prinzip nur zwei Möglichkeiten. Erstens, alles ist eine unglückliche Verkettung von Zufällen und es sind wirklich Unfälle gewesen. Dagegen spricht erst einmal nichts, denn die Ermittlungsergebnisse der Kollegen muss man als gegeben hinnehmen.
Ober aber zweitens, es ist wirklich eine Mordserie. Dann ist sie so professionell durchgeführt, dass du auf jeden Fall die Finger davon lassen solltest, allein wirst du nicht weit kommen. Wobei ich persönlich eher zu den Zufällen tendiere, wenn ich nur an die Geschichten deiner Freundin Anna denke. Die war doch schon immer auf dem Weltverschwörungstrip. Und außerdem, vielleicht gelingt es jemandem, aus einem Mord einen Unfall vorzutäuschen, aber gleich bei drei Fällen? Das ist starker Tobak.“
„Kannst du nicht von Hamburg aus ein paar Nachforschungen anstellen? Ich schicke dir die Unterlagen, die ich habe, per Fax rüber. Du hast doch viel mehr Möglichkeiten als ich hier. Außerdem, dein Freund ist doch Journalist? Kannst du ihn nicht mal fragen, ob er etwas über diesen SFOR-Einsatz herausbekommen kann? “
„Thore?“
Gesi lachte und warf einen grinsenden Blick über ihre Schulter.
„Der ist doch nur Wissenschaftsjournalist. Aus dem machen wir keinen Kriminalen mehr“, und erntete dafür einen leichten Knuff in ihre Hüfte.
„Aber gut, schick deinen Krams rüber, ich schaue mir das mal an. Und, wie geht es dir in Den Haag? Hast du dich langsam eingelebt?“
Sie unterhielten sich noch ganze eine Weile und sprachen über dies und das. Valerie genoss das Gespräch mit der älteren Kollegin. Das Thema, das Grund für den Anruf gewesen war, schnitten sie nicht mehr an.
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Gesine legte den Hörer schließlich auf und seufzte genießerisch. Der Journalist, von dem Valerie gesprochen hatte, massierte ihr zärtlich den Nacken.
„War das die Kleine, die du letztes Jahr unter deinen Fittichen hattest? Diese gut aussehende Brünette?“
„Ach sieh mal an. Das hast du also doch bemerkt, dass sie hübsch ist, meine ich.“
„Das war wohl nicht zu übersehen. Als sie bei deiner Geburtstagsfeier aufgetaucht ist, waren meine Kollegen ganz aus dem Häuschen.“
„Nur deine Kollegen?“
„Ich bitte dich“, antwortete Thore mit gespielter Entrüstung.
„Ich könnte fast ihr Vater sein.“ Thore arbeitete sich mit seinen Massagegriffen den Rücken hinunter.
„Ist sie nicht sitzen gelassen worden kurz vor der Hochzeit?“
„Ja, von unserem Dienststellencasanova. Wenn der wüsste, was ihm da entgangen ist.“
„Aber wirklich.“ Thore streichelte unter den Armen entlang, bis er an die Brüste seiner Partnerin gelangte, dabei sprach er gedankenverloren weiter.
„Eine tolle Ausstrahlung hat die Frau. Sehr geschmackvoll gekleidet und trotzdem so dezent, eine klassische Schönheit. Das ist ein anderes Kaliber als das, was ihr sonst so zu bieten habt.“
Die Luft wurde dünner. Gerade rechtzeitig bemerkte er, wie Gesine zischend die Luft einsog.
„Anwesende natürlich ausgenommen, versteht sich“, beeilte er sich lachend zu sagen.
„Dein Glück, mein lieber Freund. Ich muss mich doch sehr über dich wundern. Die Gedanken an meine Kollegin scheinen deine Libido derartig anzuregen, dass du mir gleich an die Wäsche gehen willst.“
Jetzt lachten beide ausgelassen.
Nachdem sie ihm die Geschichte von den toten Soldaten erzählt hatte, brummte er nur lakonisch,
„Klingt nach einer guten Story. Sag mir rechtzeitig Bescheid, wenn sie den Ersten umgelegt hat.“
Mit einem Blick auf ihr finsteres Gesicht schob er nach, „okay, okay, ich werde ein bisschen rumrecherchieren. Ich kenne jemanden, der eine Zeit lang in Sarajevo war.“
Kapitel 10
Das Herz schlug ihr vor Aufregung, als wolle es zum Hals herausspringen. Tausend Gedanken schossen Valerie durch den Kopf, als ihre Hand den Knauf der Eingangstür berührte. Sie atmete noch einmal tief durch und drückte die Tür auf.
Mit dem schummrigen Gefühl, als würde sie zu einer Prüfung gehen, betrat Valerie die Dienststelle der niederländischen Polizei in Leiden.
Sie war ohne einen offiziellen Auftrag unterwegs. Wenn jemand davon Wind bekam, dass sie privat in irgendwelchen Ermittlungsvorgängen herumschnüffelte, würde es im günstigsten Fall peinlich werden. Über die ungünstigere Variante wollte sie lieber gar nicht erst nachdenken, dazu war später noch genügend Zeit.
Wie sie es befürchtet hatte, saß ihr Anna jetzt im Nacken. Festgebissen in ihrer Theorie über unentdeckte Morde und einer europaweiten Verschwörung. Seit der Mail am frühen Montagmorgen waren ihre Anrufe ununterbrochen im Büro aufgelaufen. Zuerst hakte sie vorsichtig nach, ob sie schon etwas erreicht hätte. Mit jedem Anruf aber wurde sie dreister, fordernder bis an die Grenze zur Unverschämtheit. Nein, es war nicht damit zu rechnen, dass sie irgendwann von allein aufhörte. Schon um Ruhe zu bekommen, würde sie wohl oder übel einige Nachfragen anstellen müssen. Wobei sie Anna in einem Punkt beipflichten musste, die Häufung der Todesfälle in diesem kleinen