Jahr der Ratten. L.U. Ulder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.U. Ulder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738017168
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Geschlechtsteil befunden hatte, war nur noch ein unregelmäßiges, gezackt ausgefranstes Loch. Sehnen und Gewebeteile hingen heraus. Das dunkle Loch bildete einen unheimlichen Kontrast zum gläsern wirkenden restlichen Körper.

      Nur die Hoden hingen noch, mit geronnenem, schwarz angelaufenem Blut verschmiert, an ihrer Position. Überflüssig gewordene Keimdrüsen.

      Der Mann schien vollständig ausgeblutet zu sein, eine riesige Blutlache schimmerte dunkel auf dem Boden.

      Valerie spürte wieder den Blick des niederländischen Ermittlers auf sich ruhen, sie schaute hoch und schob die Akte zurück. Es reichte ihr, der Mann war tot genug.

      „Das ist ja grauenhaft“, sagte sie mehr zu sich. Ihr Magen fing an, zu rebellieren.

      „Ja, ziemlich üble Geschichte“, pflichtete ihr er bei und schaute sehr zufrieden dabei aus.

      „Und das hat er sich wirklich selbst angetan? Er war doch gefesselt.“

      „Das sieht erst mal unwahrscheinlich aus, ich weiß. Aber wir haben das durchgespielt, es geht, wenn man etwas beweglich ist. Er hat sich die Beine gefesselt, danach diesen Kunststoffriemen an seinem Penis befestigt und mit dem Motor verbunden. Dann ist er mit den Armen in die Schlaufen geschlüpft, die an der Metallstange angeschraubt waren. Sie waren gerade so weit eingestellt, dass er hindurchrutschen konnte. Hier,“ er stand auf, kam um den Tisch herum und zeigte mit der Spitze seines Stiftes auf die Stelle eines Bildes. „Hier läuft die Kette des Flaschenzuges, an der er hängt. Daneben ist die Endloskette, sie läuft über das Rad, das den Flaschenzug antreibt. Er kam gerade soweit an sie heran, um sie zu bedienen. Er zog daran und der Haken begann, ihn nach oben zu ziehen. Bis er schließlich so weit in der Fesselung hing, dass ihn sein eigenes Gewicht in den Schlaufen festhielt. Um sich zu befreien, hätte er sich erst wieder nach unten herablassen müssen. Kommen Sie soweit mit?“

      Valerie schloss für einen winzigen Moment die Augen, stellte sich das bizarre Szenario vor. Dann nickte sie.

      „Und als die Illusion der Hilflosigkeit perfekt war, ging es weiter mit diesem kleinen Teil.“

      Er blätterte um. Die Stiftspitze tippte auf den kleinen schwarzen Kasten.

      „Das ist die Schalteinheit für den Elektromotor. Damit er sie nicht aus der Hand verlieren konnte, um wieder ganz von vorn anfangen zu müssen, hat er das Kabel an sein Handgelenk gebunden. Er hat an alles gedacht. Und dann wollte er sich einen schönen Abend machen, der aber nach hinten losgegangen ist.“

      Godelief lachte wieder breit und sah Valeries verständnislosen Blick.

      „Den Motor konnte er mit der kleinen Fernbedienung vorwärts und rückwärts laufen lassen.“

      Immer noch runzelte Valerie die Stirn, ihre Miene drückte Ratlosigkeit aus.

      Der niederländische Kollege deutete ihren fragenden Gesichtsausdruck falsch. Er krümmte seine Hand, als würde er eine Stange umfassen und bewegte die Hand hoch und runter.

      Dazu griente er süffisant, wartete auf eine Reaktion von ihr.

      „Vor zurück, vor zurück, vor zurück, vor zurück.“

      Endlich kehrte sie in die Realität zurück.

      „Ja, ich hab’s begriffen. Und dann?“

      „Dann ist es ihm aus dem Ruder gelaufen. Er hat die Kontrolle verloren. Vielleicht, weil es so schön war.“

      „Und das haben Sie wirklich alles nachgespielt? Auch die Sache mit dem …?“

      Sie beendete den Satz nicht. Ohne eine Miene zu verziehen, zielte die Spitze ihres Zeigefingers mit dem langen, gepflegten Fingernagel provozierend auf Godeliefs Genitalbereich unterhalb seines wabbeligen Bauches.

      Er lächelte unsicher, ihr Zeigefinger so unmittelbar vor seinen Kronjuwelen schien ihn aus dem Konzept zu bringen.

      „Alles mussten wir nicht nachspielen“, beeilte er sich zu sagen. „Es war ausreichend, seine Bewegungsmöglichkeiten auszuloten.“

      Mit gerunzelter Stirn fuhr der niederländische Kollege fort.

      „Vielleicht hat er in der Ekstase die Richtung verwechselt. Anstatt zurückzufahren hat der Motor alles weiter in die Länge gezogen. Dieser Kunststoff war sehr scharfkantig und schnitt tief in das Fleisch hinein.“

      Er sah Valerie ins Gesicht, die ihn wie entrückt anstarrte.

      „Da war er ab, der …“

      Godelief suchte nach dem passenden Wort.

      „Schwanz“, vollendete Valerie trocken. „Unglaublich.“

      „Genau. Weil er erigiert war, ist schlagartig eine große Menge Blut ausgetreten. Er hat Panik bekommen und wie wild an seiner Fesselung gezerrt und gerissen. Sehen Sie“, er beugte sich vor und zeigte auf eines der nächsten Fotos. „Das linke Handgelenk ist von der Schlaufe bis auf das rohe Fleisch aufgescheuert worden. Der Blutverlust dürfte ziemlich schnell gewesen sein, er wurde schwächer und schwächer. Irgendwann ist er ohnmächtig geworden und ist dann weiter ausgeblutet, wie ein Schlachtvieh.“

      „Was ich nicht verstehe, ist das Klebeband um den Mund. Das ist ungewöhnlich, meinen Sie nicht auch? Wer verklebt sich damit seine Haut und die Haare? Er hat sich doch nach Ihrer Theorie selbst in diese Lage gebracht, warum sollte er dann laut schreien? Und dafür ist die Knebelung ausschließlich da, laute Geräusche zu verhindern.“

      Der Niederländer fixierte sie finster. Es war offensichtlich, dass er ihre Fragen nur dahin gehend verstand, dass sie fortwährend seine Ermittlungen infrage stellte.

      „Es war sein Fetisch. Er stand auf Fesselungen und Knebelungen. Je perfekter die Inszenierung, umso größer war der Lustgewinn. Wir haben in der ganzen Wohnung verstreut entsprechende Magazine gefunden.“

      Valerie atmete tief durch. Sie vermied, weiter auf die Bilder zu sehen. Die Übelkeit in ihrem Magen machte sich immer vehementer bemerkbar. Um dagegen anzukämpfen, versuchte sie, sich in Piet Lijsens Gedankenwelt hinein zu versetzen.

      „Dass er das alleine angestellt hat“, überlegte sie laut. „Das ist doch ein enormer technischer Aufwand gewesen.“ Sie schüttelte den Kopf. Die grauenvollen Tatortbilder hatten ihre anfängliche, vage Skepsis nicht beseitigen können.

      „Gibt es nicht irgendeine Auffälligkeit, etwas Unnormales?“

      „War das nicht schon unnormal genug?“

      „War er alkoholisiert?“

      „Ja, sehr stark.“

      „Und wie viel Promille hatte er im Blut?“

      „Das wissen wir nicht.“

      „Wie, das wissen wir nicht? Wieso wissen Sie das nicht? Haben Sie keine Blutprobe entnommen?“

      „Nein, natürlich nicht.“

      Valerie musste sehr verständnislos geschaut haben.

      „Kosten. Unnötige Kosten. Wenn eindeutig ein Selbstverschulden vorliegt, sparen wir uns die Blutentnahme. Wozu soll sie gut sein? Ob er nüchtern gestorben ist oder betrunken, macht keinen Unterschied mehr, jedenfalls nicht für die Ermittlungen. Bestenfalls die Unfallversicherung hätte etwas davon. Das ist übliche Praxis, bei Ihnen in Deutschland übrigens auch.“

      „Ja, bei Verkehrsunfällen vielleicht, aber in so einem Fall ... .“

      „Es war doch so etwas wie ein Verkehrsunfall, nur ohne Fahrzeug.“

      Da war es wieder, dieses penetrante, schmierige Grinsen des Niederländers.

      „Aber dass er betrunken war, wissen Sie trotzdem.“

      „Ja natürlich, sehr stark. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Zeugen, die ihn an dem Abend noch gesehen haben, aus der Kneipe zum Beispiel, in der er getrunken hat.“

      Immerhin, Zeugen wurden befragt.

      „Und in diesem