Jahr der Ratten. L.U. Ulder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.U. Ulder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738017168
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Du schwer von Begriff, Mensch? Die haben doch schon damals alles vertuscht. Was glaubst Du, was die mit mir machen, wenn sie mitbekommen, was ich alles weiß?“

      „Du weißt ja nichts, das ist das Problem. Du spekulierst nur.“

      Am nächsten Morgen, gemeinsames Frühstück.

      Der Rotwein hatte unangenehme Spuren hinterlassen. In Valeries Kopf rumorte ein pochender Schmerz, während der von der Säure überreizte Magen brannte.

      Anna dagegen saß wie ein Stehaufmännchen am Tisch, nur mit Slip und T-Shirt bekleidet. Sie hatte eine geradezu penetrant gute Laune und langte bei den frisch aufgebackenen Croissants kräftig hin. Von ihren verschwörerischen Befürchtungen am Vorabend war nichts mehr zu spüren.

      Ein kurzes Klingeln störte die andächtige Stille gemeinsamen Schweigens. Nur ein einziges Klingeln. Wie ein Anruf, bei dem der Anrufer es sich anders überlegt und gleich wieder auflegt. Beide schauten sich an, Valerie überrascht mit krauser Stirn, über Annas Gesicht zog ein spitzbübisches Grinsen. Das Geräusch war aus Richtung der Handtasche gekommen, die im Flur lag.

      „Was war das?“

      „Mein Handy“, antwortete Anna mit vollem Mund. „Ich habe eine SMS bekommen.“

      Sie sprang auf, in zwei, drei Sätzen war sie an der Tasche. Dass sie das Gerät in der Hand hielt, konnte Valerie nur an den Piepstönen der Tastatur ausmachen. Ihrer Freundin zeigte Anna nur ihre Rückansicht. Interessiert betrachtete die eine beginnende Cellulitis, die sich, vom Slip verdeckt, den Oberschenkel hinunter arbeitete.

      „Du musst unbedingt etwas tun“, befand Valerie und meinte damit das Problem mit dem Bindegewebe.

      „Ja, ich muss los“, antwortete Anna.

      „Wieso?“

      „Ich muss schnell nach Hause.“

      Anna wackelte vielsagend mit dem Kopf. Ihre Knopfaugen leuchteten fröhlich. Sie trug den gleichen verschmitzten Gesichtsausdruck, der am Abend zuvor über ihr Gesicht geblitzt war, als sie von dem autoerotischen Unfall sprach.

      Valerie zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf. Die Haare fielen ihr dabei ins Gesicht.

      „Sag nicht, die SMS war von ihm.“

      Sie sprach immer nur von ihm, wollte seinen Namen im Grunde gar nicht wissen. Schließlich war der Mann verheiratet, hatte zwei Kinder und traf sich regelmäßig unter der Woche mit Anna in ihrer Wohnung. An den Wochenenden hatte er normalerweise nie Zeit, die waren seiner Familie vorbehalten.

      „Doch, es war Pierre. Er will heute Mittag vorbeikommen.“

      „Und du rennst gleich los, oder wie?“

      „Natürlich, wenn sich schon die Gelegenheit bietet. Ich hab dir doch gesagt, dass Surfen allein nicht ausreicht für mich.“

      „Valli, sei nicht sauer“, meinte Anna kurz darauf, ihre Taschen in der Hand.

      „Bin ich doch auch nicht, ich .... .“

      „Ich schicke dir morgen früh die Unterlagen per Mail. Über die Todesfälle. Überprüf sie, bitte“, fiel ihr Anna eindringlich ins Wort und hauchte ihr zum Abschied einen Kuss auf die Wange.

      Valerie stemmte die Hände in die Hüfte.

      „Hast du schon mal daran gedacht, dass er dich nur ausnutzt?“

      „Vielleicht ist es ja genau andersherum“, entgegnete Anna trotzig ihrer verblüfften Freundin und war auch schon verschwunden.

      Valerie schob die Gardine zur Seite und beobachtete, wie Anna nach einer Weile unten auf dem Parkplatz ihre Taschen schwungvoll auf die Rückbank schleuderte und in den Wagen sprang. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, sich anzuschnallen. Zügig fuhr das Auto an, bog aus dem Parkplatz in die kleine Seitenstraße ein. Valerie konnte noch sehen, dass Anna beim Abbiegen in die nächste Straße das Stoppschild nicht beachtete.

      Mit einer Tasse Kaffee in der Hand machte sie es sich im Ohrensessel bequem, nahm die Fernbedienung vom Tisch und schaltete damit die Stereoanlage ein.

      Leise, verhaltene Musik schlich sich aus den Lautsprechern in den Raum und breitete sich aus, zuerst ein verhaltenes Saxofon, eine zarte Stimme setzte ein. Sades Jezebel trug nicht dazu bei, Valeries' melancholische Stimmung aufzulösen.

      Kapitel 7

      Der Montagmorgen passte zu Valeries Stimmung, er war trist, grau und regenverhangen. Schon beim Verlassen des Appartementhauses musste sie ihre dünne Collegemappe als Schutz über dem Kopf halten, weil sie den Regenschirm oben in der Wohnung vergessen hatte. Auf dem kurzen Weg zwischen Parkplatz und Bürogebäude erwischte sie der Regen aus vollen Kübeln.

      Valerie betrat das kleine, unpersönliche Büro und hängte die nass gewordene Jacke an den Kleiderständer. Sie blickte sich seufzend um. Der triste Raum war ihr vorübergehend zur Verfügung gestellt worden. Das Gefühl, sich hier niemals wohlfühlen zu können, ließ ihre Laune nicht besser werden. Ein typischer Behördenraum, grau in grau zweckmäßig eingerichtet. Zwei in der Fensterbank vor sich hin vegetierende Kakteen, von einem der Vorgänger schnöde ihrem Schicksal überlassen, schafften es nicht, eine persönlichere Atmosphäre herzustellen.

      Die Oberkommissarin setzte sich hinter den Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Während das Betriebssystem hoch lief, schweifte ihr Blick aus dem Fenster, aber zu sehen waren nur die Baumwipfel des benachbarten Parks, der Rest der Umgebung verschwand in grauen Wolken.

      Endlich standen alle Funktionen zur Verfügung. Zuerst öffnete sie ihr E-Mail-Postfach und überprüfte die Eingänge. Sie seufzte auf.

      Annas Mail war bereits eingegangen.

      Zu früh gefreut.

      Die unverhoffte Möglichkeit auf ein Date am Sonntagnachmittag mit ihrem verheirateten Liebhaber hatte Anna nicht von ihrem Vorhaben abbringen können.

      Ganz früh am Morgen war die Mail versandt worden. Anna hatte die ihrer Ansicht nach entscheidenden, wichtigsten Passagen der Akten eingescannt und als Anhang an die Mail gehängt.

      Valerie gab mit einigen Mausklicks einen Druckauftrag für die Dokumente und holte sich einen Becher Kaffee vom Automaten auf dem Flur, während der Drucker Blatt für Blatt auswarf.

      Lustlos blätterte sie anschließend in den Seiten und nippte dabei an dem lauwarmen Automatengetränk. Der Kaffee schmeckte grässlich bitter, als wäre er über das gesamte Wochenende aufgewärmt worden. Angewidert verzog sie ihr Gesicht und stellte den Becher auf den Schreibtisch.

      Die Auszüge aus den Personalakten der gestorbenen Exsoldaten gaben letztlich nur das wieder, was Anna längst berichtet hatte.

      Der Niederländer war in Leiden gestorben. Tod in Leiden.

      Beim Kopfschütteln huschte für einen Sekundenbruchteil ein pietätloses Grinsen über ihr Gesicht.

      Leiden. Wo zum Teufel ist Leiden?

      Sie kramte in ihrer Schreibtischschublade und zog den Europaatlas heraus, den sie vorsorglich hier deponiert hatte, um sich in der Anfangszeit orientieren zu können. Nach einigem Blättern war die entsprechende Seitenangabe mit den Koordinaten gefunden. Angespannt folgten die Augen dem Finger auf der Karte, bis sie sich mit der Hand vor die Stirn schlug.

      Fast um die Ecke, wie unangenehm.

      Gedankenverloren blätterte sie weiter. Die Polizeibeamten in den jeweiligen Ländern waren bei ihren Todesermittlungsverfahren allesamt zu dem gleichen Schluss gekommen. Ein Fremdverschulden wurde definitiv ausgeschlossen. Punkt. Aus.

      Wo sollte sie hier ansetzen? Sollte sie von den Bedenken einer kleinen Sachbearbeiterin der NATO-Personalabteilung berichten?

      Unwillkürlich musste sie grinsen, weil sie sich in die Rolle eines der Ermittler versetzte.

      Würde sie