Godelief machte eine kleine Pause, bewegte dann seine Arme wie zur Entschuldigung nach oben.
„Es gibt keinerlei Hinweise auf eine fremde Person in der Wohnung, einen Mörder. Darauf wollen Sie doch hinaus. Er wohnte im ersten Stock, keine Einbruchsspuren, nichts, rein gar nichts.“
„Und wenn es jemand war, den er ins Haus gelassen hat?“
„Ein Nachbar ist mit seiner weiblichen Begleitung gleichzeitig mit ihm nach Hause gekommen, es war nach Mitternacht und er war allein.“
„Allein und betrunken“, sprach Valerie grüblerisch vor sich hin.
„Weitere Untersuchungen haben Sie nicht angestellt? Ich meine, ob er vielleicht noch etwas anderes im Blut hatte zum Beispiel.“
Der Niederländer schnaufte und verdrehte die Augen.
„Ich wiederhole mich ungern, es gab keinen Grund dafür. Er war betrunken und geil. Er hat es sich selbst besorgt und dabei ist etwas schief gegangen. Vielleicht wollte er es besonders hart. Wer weiß das schon. Er war pervers und so ist er gestorben. Es gibt nichts, das es nicht gibt.“
Godeliefs Ton war eine Nuance unfreundlicher geworden. Er hob die Arme und breitete sie in der Luft aus..
„C’est la vie“.
Er stand auf und bewegte sich langsam in Richtung Tür. Er brauchte nichts mehr sagen, seine Körpersprache und Gestik war deutlich genug. Er hatte die Nase voll davon, sich gegenüber einer neugierigen Kollegin zu rechtfertigen und wollte sie loswerden.
Valerie beeilte sich, seinem Rauswurf zuvorzukommen. Auch sie hatte genug gehört, zufriedenstellendere Antworten waren nicht zu erwarten.
****
„Und? Hast du mit deinen Kollegen gesprochen?“
„Ja, begeistert war der nicht.“
„Wieso?“
„Weil ihm meine Fragen wie Klugscheißerei vorgekommen sind, als wollte ich seine Ermittlungen bewerten. Ist doch logisch.“
Anna ging darauf nicht ein.
„Und? Hast du etwas heraus bekommen?“
„Es gibt keinen Hinweis darauf, dass es kein Unfall gewesen ist.“
„Jetzt redest du mit mir, als wärst du im Dienst.“
Ihr Tonfall klang beleidigt.
„Was soll ich dir stattdessen sagen. Es ist so. Es deutet viel auf einen Unfall hin.“
„Also glaubst du nicht, dass jemand nachgeholfen hat. Und die anderen, die auch tot sind. Wie erklärst du dir das? So viele Zufälle kann es nicht geben. Es muss einen Zusammenhang geben.“
„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich glauben soll. Er wohnte allein, im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses. Es gab keine Einbruchsspuren. Er war stark betrunken an diesem Abend. Aber ob jemand, der so betrunken ist, in der Lage ist, sich so zu fesseln wie auf den Bildern ... ?“
Valerie ließ den Satz offen. Die Bilder hätte sie nicht erwähnen sollen, aber da war es bereits zu spät.
„Bilder? Du hast die Bilder gesehen? Nun erzähl schon, was hast du gesehen?“
Valerie beschrieb ihr so nüchtern es ihr möglich war die Situation auf den Fotos.
„Und? War er groß?“
„Du regst mich auf mit deinem „und“. Wer soll groß gewesen sein? Schau doch in deine Akte, dann weißt du es.“
„Ich meine doch nicht den Kerl. Ich meine seinen, du weißt schon.“
Valerie verschlug es fast den Atem.
„Du bist unmöglich, also wirklich.“
„Warte kurz, es kommt jemand.“
Anna legte den Hörer an die Seite, unterhielt sich mit jemandem. Valerie konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde.
Die kurze Pause gab ihr Gelegenheit, ihre Gedanken zu sortieren.
Gegenüber der Freundin verhielt sie sich absichtlich betont zurückhaltend, was ihre Einschätzung des Falles anging. Anna würde sonst zu euphorisch reagieren.
Ihr Eindruck war, dass es sich der niederländische Kollege mit Blick auf seine Aufklärungsstatistik etwas zu einfach gemacht hatte. Keine Obduktion, keine feingeweblichen Untersuchungen, die Aufschluss über den Adrenalinanstieg im Körper des Toten hätten geben können. Noch nicht einmal eine einfache Blutuntersuchung.
Zur Ehrenrettung des Niederländers trug bei, dass er nichts von den anderen Todesfällen wusste.
Aber ein Betrunkener, kann der sich eine derart komplizierte Selbstbefriedigungsmaschine anschließen?
Es gibt für alles eine Theorie und eine Gegentheorie.
Ja, er kann, deshalb ist es schief gegangen.
„Hast du ihm etwas von den anderen Toten erzählt?“
„Nein. Ich wollte erst einmal schauen, ob es Ungereimtheiten gibt, ohne es gleich an die große Glocke zu hängen.“
„Du hast Angst dich zu blamieren, weil du denkst, ich spinne“, platzte es aus Anna heraus.
Valerie musste lachen.
„Nein, natürlich nicht. Oder vielleicht doch, ein kleines bisschen schon.“
Sie musste an Gesis Reaktion denken. Die hatte auch herzhaft gelacht und sich sofort an sämtliche Spinnereien von Anna erinnert.
„Und, was ist? Machst du weiter?“, rissen Annas Worte sie wieder aus den Gedanken.
„Ich weiß nicht so recht, wie ich ansetzen soll“, versuchte sich die Oberkommissarin zu winden.
„Heute sind zwei leitende Mitarbeiter des Direktionsbüros in unsere Abteilung gekommen.“ Anna-Lena senkte ihre Stimme, jetzt flüsterte sie beinahe.
„Sie wollten die Akten der Todesfälle haben, alle. Da waren natürlich auch unsere Toten dabei. Haben alles raus geschleppt. Ohne eine Begründung. Das ist noch niemals geschehen. Valerie, hier stinkt etwas. Die versuchen, etwas zu vertuschen, genauso wie damals, als dieser angebliche Überfall geschehen ist.“
Sonderbarerweise war keinerlei Furcht in Annas Stimme heraus zuhören? Sie klang trotzig und abenteuerlustig, mit einem ordentlichen Schuss „jetzt erst recht“.
Sagte sie die Wahrheit oder griff sie zu einer Notlüge, um Valerie bei der Stange zu halten?
Die versprach ihr seufzend, am Ball zu bleiben.
Kapitel 11
Valerie befand sich auf dem Weg nach Österreich.
Am Donnerstag war sie kurzerhand im Büro ihres Vorgesetzten aufgetaucht und hatte darum gebeten, den nächsten Tag dienstfrei zu erhalten. Problemlos war ihrem Wunsch entsprochen worden.
Bereits am frühen Abend legte sie sich zu Bett, um ein wenig vorzuschlafen, aber eine innere Unruhe ließ sie nicht in den Schlaf kommen. Zwei Stunden lang wälzte sie sich von einer Seite auf die andere. Als nichts half, stand sie kurz entschlossen auf und duschte. Nach einem nächtlichen Frühstück setzte sie sich in ihren Kombi und fuhr in gemütlichem Tempo los.
Natürlich hatte Anna keine Ruhe gegeben. Valeries vage geäußerte Zweifel an den niederländischen Ermittlungen waren das gefundene Fressen für sie gewesen. Noch am selben Abend ihres Besuches der Polizeidienststelle in Leiden bombardierte Anna sie mit Telefonaten, kaum war das Gespräch beendet, klingelte das Handy erneut, weil ihr wieder etwas Neues eingefallen war.
Am