»Du bist wach.« Rabea ließ augenblicklich von dem Kessel ab, als sie mich sah. »Ich hoffe, du fühlst dich inzwischen besser.«
»Viel besser, danke dir.« Ich nickte und wollte ihr gerade eine Frage stellen, als Lev mir zuvorkam.
»Weiß er, dass sie hier ist?«, fragte er und blickte zuerst zu Rabea und dann zu Tarek, der inzwischen neben mir stand.
»Ich denke, er weiß es schon längst, aber danke für deinen Hinweis«, schnauzte sie ihn an.
»Falls es um den Anführer eurer Jägerbande geht, ich will keinen Ärger machen. Ich hatte so oder so vor, so früh wie nur möglich aufzubrechen«, sprach ich und sah zu Lev. Dieser blickte mir erst gar nicht in die Augen. Auch er trug diese seltsamen Kleider und an seinem Gürtel hing noch immer ein Schwert. Seine Haare waren lang und schwarz. Einige Strähnen fielen ihm vor seine Augen, die wie seine Haare völlig dunkel waren.
»Bevor die Sonne nicht aufgeht, gehst du nirgendwohin.« Rabea schüttelte den Kopf und strafte Lev mit einem weiteren warnenden Blick.
»Ich bin mir sicher, er wird ganz entzückt von dir sein«, kam es nun von Tarek. Ich brauchte mich gar nicht in seine Richtung zu drehen, um zu erkennen, dass er wieder dieses Grinsen auf seinen Lippen hatte. Womöglich war er es gewohnt, dass Frauenherzen in seiner Nähe höherschlugen, aber ich war nicht hier, um den Mann fürs Leben zu finden. Bevor noch jemand etwas über mich sagen konnte, wechselte ich eilig das Thema.
»Wie weit ist es von hier bis nach Malufra?«
»Drei Tage«, antwortete Rabea und runzelte die Stirn dabei. »Aber es kommt dabei immer auf das Wetter an. Bei Regen und dichtem Nebel kommt man kaum voran. Auch in der Nacht solltest du besser rasten, anstatt weiter durch die Dunkelheit zu laufen.«
»Ist es so weit durch den Wald?« Ich hätte nicht gedacht, dass ich wirklich noch drei Tage brauchen würde, bis ich bei der Königin war. Drei Tage waren viel Zeit, und wenn Rabea recht behielt, dann würden aus diesen wenigen Tagen wohl noch mehr werden, wenn das Wetter und die Dunkelheit meine Feinde auf dem Weg waren.
Diesmal war es Tarek, der mir antwortete. »Der Wald ist sehr dicht und danach gibt es noch eine Passage, für die du ebenfalls einige Zeit aufwenden musst.«
»Eine Passage? Ich dachte, Malufra liegt gleich hinter dem Wald.«
Lev lachte auf. »Viele Leute reden Unsinn.« Er schüttelte den Kopf und stapfte davon.
»Lass dich nicht entmutigen von ihm. Er hatte bloß einen schlechten Tag.« Rabea sah ihm noch eine Weile nach, bevor sie sich wieder uns zuwandte. »Nun sollte er dich aber wirklich kennenlernen, ansonsten haben wir bald ein Problem.« Sie räusperte sich und deutete hinter mir in den dunklen Wald hinein. Ein Problem? Etwas verwirrt folgte ich ihrem Blick, mehr als schattenähnliche Umrisse erkannte ich nicht.
»Sie meint den Anführer unserer bunten Truppe.« Tarek verschränkte die Arme vor der Brust. »Und du wirst dich freuen, du kennst ihn sogar.«
»Ich kenne ihn?« Langsam waren mir das hier zu viele Überraschungen. Wer konnte das sein? Im Wald war ich bloß Lev und Rabea begegnet und einen Tag zuvor Tarek.
»Nun gut, vielleicht nicht kennen, aber du weißt Bescheid über seine Geschichte. Er ist der Dieb ohne Herz.«
Das war der Moment, in dem sich mein Herzschlag beschleunigte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und blickte direkt in die Dunkelheit. Der Dieb ohne Herz war im Grunde nur ein Märchen. Es war das Märchen von einem jungen Mann, der sich sein Herz mit einem Messer herausgeschnitten und es in einem Baum versteckt hatte, um nie wieder Gefühle zu haben. Doch müsste solch ein Mensch nicht tot sein, so ganz ohne Herz?
6
Wo Diebe ihr Herz in Bäumen versteckten
Du hast auf den Boden gespuckt, als ich das Märchen erwähnt habe!« Ich drehte mich zu Tarek um, doch dieser stand gar nicht mehr hinter mir. Mit schnellen Schritten lief er über den Zeltplatz. Er war also nicht nur ein Lügner, sondern auch ein Feigling.
»Lauf einfach geradeaus, dann findest du ihn. Keine Sorge, er tut dir nichts.« Rabea nickte mir aufmunternd zu und drehte sich dann ebenfalls um. Ich schloss die Augen und ballte erneut wütend die Fäuste. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Die Dunkelheit war zwar nichts, wovor ich mich fürchtete, aber selbst ich wusste, was für ein tolles Versteck sie war.
»Nun gut«, flüsterte ich und lief langsam in den Wald hinein. Es wurde immer dunkler und meine Schritte wurden immer unsicherer. Der Boden zu meinen Füßen bot kaum Halt und immer wieder streiften knorrige Äste meine Wangen. Mit der Dunkelheit kam wieder diese Stille und auf einmal verblasste alles um mich herum. Ich hörte nicht mehr das Knistern des Feuers, die Stimmen der Menschen oder wie der Wind durch die Blätter pfiff. Ich befand mich in einer Art Blase. Erstaunlicherweise gewöhnten sich meine Augen an das Schwarz. Schon bald wurden die Umrisse schärfer und ich sah immer mehr Bäume, so weit das Auge reichte. Dieser Wald schien unendlich zu sein und ebenso viele Wege zu besitzen.
»Und du bist?«
Eine Stimme, ganz sanft an meinem Ohr, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Da stand er also. Zumindest fügten sich in meinen Gedanken Bilder zusammen. Ich konnte mir genau vorstellen, wie diese Märchengestalt hinter meinem Rücken aussah. Ein riesiger Mann mit langen Klauen und traurigen, kalten Augen. Völlig in Schwarz gekleidet, mit ebenso pechschwarzen Haaren wie der gute Lev. Und da, wo sein Herz hätte sein sollen, da klaffte ein großes rundes Loch. Ich drehte mich um, nahm all meinen Mut zusammen und blickte dem Dieb ohne Herz entgegen. Etwas verwirrt machte ich einen Schritt zurück. Ich erkannte zwar nicht viel, aber dieser Mann war weder riesig noch hatte er schrecklich lange Klauen.
»Du wirkst irgendwie enttäuscht?«, meinte er nur und kam etwas näher. »Warte.« Er hob seinen Zeigefinger und suchte nach irgendetwas hinter sich. Es dauerte nicht lange, da wurde es auf einmal hell. Überrascht von der plötzlichen Helligkeit kniff ich die Augen zusammen.
»Besser?«
»Danke«, sagte ich und räusperte mich, da meine Stimme so piepsig wie der Tonfall einer Maus war. Vor mir stand ein junger Mann mit etwas längeren dunkelbraunen Haaren und leuchtend grünen Augen. Er war einen Kopf größer als ich und hatte eine kräftige Statur. Auch er trug die Jägerbekleidung und quer über seinem Hals zeichnete sich eine feine Narbe ab, die beinahe schon silbern im Licht wirkte. Er sah gut aus, wenn auch irgendetwas an ihm unheimlich wirkte. Waren es die ausdrucksstarken Augen oder diese lange Narbe? Ich schüttelte leicht den Kopf. In seiner Hand hielt er eine Laterne, in der nun ein Feuer sich passend zum Wind hin und her bewegte. Ich hatte keine Ahnung, wie er diese angezündet hatte oder wie er es geschafft hatte, sich anzuschleichen.
»Ich habe mir den Dieb ohne Herz irgendwie anders vorgestellt«, brachte ich nach einer Weile die Worte hervor, die schon die ganze Zeit in meinen Gedanken herumschwebten.
»Schon eigenartig, wie sich die Leute immer etwas vorstellen und danach enttäuscht sind, dass nicht ihre Gedanken die sind, die der Welt Farbe schenken.« Er lächelte, aber es erreichte die grünen Augen nicht.
Meine Handflächen kribbelten wieder. Es war dasselbe Kribbeln, als ich den Umschlag der Königin berührt hatte. Von diesem Mann ging irgendetwas aus, was nicht wirklich menschlich war. »Warum versteckst du dich im Dunkeln?« Ich ließ ihn keinen Moment aus den Augen, während meine Hände noch immer nicht aufhörten zu kribbeln. Ich verschränkte sie ineinander und hoffte, dieses unangenehme Gefühl würde bald nachlassen.
»Ich verstecke mich nicht. Mir ist nur die Dunkelheit lieber als dieses grelle Licht.« Er blickte hinab auf die Laterne in seiner Hand. Das Feuer darin wiegte sich immer noch langsam hin und her. »Und du bist?«
»Malina.«
»Und