»Die Leute haben Angst vor euch!« Wie oft war ich in den letzten Jahren vor dem dunklen Wald gewarnt worden? Ich hätte diesen Ort niemals freiwillig betreten. Niemand hätte das …
»Menschen fürchten sich immer vor dem Unbekannten.« Auf ihren Lippen zeichnete sich ein schwaches Lächeln ab.
»Und wo ist Tarek, der Dieb oder die anderen?«
»Irgendwo in der Nähe, sie kommen abends«, unterbrach Lev mich und deutete dann wieder auf die Mauer. »Da wir das ja nun geklärt hätten, würde ich gern versuchen, dieses Hindernis zu bezwingen.«
Jetzt hatten weder Rabea noch ich etwas einzuwenden. Wir beide traten außer Reichweite, während Lev das Schwert zog. Er holte aus und ließ es mit einer Wucht auf die Hecke knallen. Viel passierte nicht. Erneut bearbeitete er die Hecke mit seinen Schwerthieben. Diesmal brachen Äste krachend auseinander und Dornensplitter flogen in alle Richtungen. Er wiederholte die Prozedur immer und immer wieder, während die Sträucher ächzten. Das Wetter änderte sich ebenfalls. Der Wind wurde immer stürmischer. Zuerst zog er nur ganz leicht an meinen Haaren, schon bald wandelte sich dieses sanfte Ziehen in ein Reißen.
Schützend hielt ich meine Arme vor die Augen, um nicht von den herumwirbelnden Kleinteilen getroffen zu werden. Als ich einmal aufsah, erhaschte ich nur einen Blick auf den schmerzverzerrten Gesichtsausdruck von Lev. Er gab nicht auf, hieb unermüdlich auf die Hecke ein.
Noch ein Schlag, dann krachten die Äste auseinander. Das Ächzen der Natur erstarb und auch der Wind beruhigte sich. Dort, wo vorhin noch die Mauer gestanden hatte, befand sich nun ein klaffendes Loch, genau vor uns.
»Schnell!«, keuchte Lev und deutete atemlos auf den Eingang. Rabea und ich ließen uns das nicht zweimal sagen. Wir sprangen über die kaputten Äste, darauf bedacht, uns nicht an den Dornen zu verletzen. Lev folgte uns eilig.
Keine Sekunde zu spät, wie sich herausstellte. Hinter ihm schossen neue Dornen in die Höhe und wanden sich um die noch verbliebenen Äste. Innerhalb kürzester Zeit war die Mauer wieder intakt.
»Das Metall hat gesiegt.« Noch immer etwas außer Atem, klopfte Lev stolz an sein Schwert. Auf seiner Stirn sah man kleine Schweißperlen und bestimmt taten ihm die Arme höllisch weh.
»Ihr könnt mir ruhig danken, immerhin musste so keiner von euch etwas bereuen. Oder fast keiner.« Er räusperte sich und setzte sich dann auf den Boden. Erst jetzt kam ich dazu, die Umgebung etwas genauer zu betrachten. Wir befanden uns noch immer mitten auf einem Waldweg, nur waren die Blätter der Bäume hier um einiges dunkler. Es war kein saftiges Blattgrün mehr, die Farbe glich einem dunkelgrünen Abgrund.
»Und nun?«, fragte ich zögerlich.
»Wir machen kurz Rast, laufen dann weiter und suchen nach einem geeigneten Platz für ein Lager«, sprach Rabea. Sie lief geradeaus, dicht gefolgt von Lev. Ich zögerte noch einen Moment und blickte zurück zu der dichten Hecke. Inzwischen sah man keine Spuren mehr von Gewalt.
Wo war ich hier nur gelandet?
Ein Dieb ohne Herz, ein griesgrämiger Mann mit Augen schwarz wie die Nacht, ein Jäger mit Pfeil und Bogen, eine Frau, die tief in ihrem Inneren etwas bereute, das sie beinahe auffraß, und mitten unter ihnen ein Mädchen, das auf der Suche nach seiner eigenen Geschichte war. Wenn das nicht nach einem Märchen klang, dann wusste ich auch nicht.
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