Der Dieb ohne Herz. Ney Sceatcher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ney Sceatcher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783959914192
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      »Trotzdem würde ich gern nach Malufra, ich würde gern zur Königin gehen.«

      »Die ist verrückt.« Schon wieder hatte er etwas einzuwenden.

      »Was auch nur ein Märchen ist«, sagte ich und kickte einen Stein zu meinen Füßen in hohem Bogen in das Meer.

      »Und was würdest du dafür als Preis zahlen, um mit der verrückten Königin zu sprechen?«

      Langsam ging mir das Gespräch zu nahe.

      »Ich sollte jetzt wirklich wieder zurück, hat mich gefreut.« Eilig hob ich die Hand und lief wieder Richtung Tor.

      »Und deine Geschichte, wie geht deine Geschichte?«, rief mir der Fremde noch nach, doch ich drehte mich kein einziges Mal mehr um. Im schlimmsten Fall würde er mir einen Pfeil in den Rücken schießen, was, um ehrlich zu sein, wirklich ein schlimmer Fall wäre.

      Ich huschte durch die Nacht, begegnete wieder den Betrunkenen, schlich um die Häuser herum, nur brannte diesmal kein Licht im Inneren. Beim Tor verabschiedete ich mich von Edmund und ließ das Dorf und den Jungen hinter mir.

      Erst kurz vor unserem Haus hielt ich an. Keuchend schnappte ich nach Luft. Den Hügel war ich beinahe hinaufgerannt. Nun zerrte die Müdigkeit an mir. Während des gesamten Weges war mir dieses Ding mit den Wünschen nicht aus den Gedanken gewichen. Ich hatte einen Plan gefasst. Ich würde der Königin einen Brief zukommen lassen und sie bitten, dass wir sie besuchen dürften. Ein ziemlich unkluger Vorschlag, den ich auf meine Müdigkeit schob, genau wie das, was ich nun machte.

      »Ich wünsche mir«, begann ich, »dass wir eine Einladung von der Königin von Malufra bekommen würden.«

      Ich wartete einen Moment. Irgendwie fühlte sich das Ganze noch nicht richtig an. Da fehlte noch etwas.

      »Dafür biete ich, was immer ihr wollt.«

      Noch immer war es still. Was hatte ich auch erwartet? Dass dieses Märchen wahr war und in den nächsten Sekunden der königliche Bote auftauchte, um mich und Irena mit auf das Schloss zu nehmen?

      Ich schnappte mir die Kerze vom Boden und öffnete die Tür. Einen kurzen Moment blickte ich noch einmal hoch zu den Sternen. Täuschte ich mich, oder war da ein neuer Leuchtpunkt am Himmelszelt aufgetaucht?

      Einer, der heller strahlte als alle anderen?

      3

      Wo Mädchen verschwanden

      Malina!«

      »Malina!«

      »Himmel noch mal, Malina!«

      Es fühlte sich an, als ob ich gerade erst meine Augen geschlossen hätte, als mich die Stimme von Irena weckte. Ich blinzelte, rieb mir zaghaft über die Augen und wagte einen Blick unter der Decke hervor. Hatte ich verschlafen?

      »Malina!« Völlig außer Atem kam Irena die breiten Stufen hoch. Ihr Haar war zerzaust und es wirkte beinahe, als sei sie gerade erst aus dem Bett beziehungsweise aus dem Stuhl hochgeschreckt.

      »Was ist los?«, fragte ich und rieb mir erneut über die Augen.

      »Sie haben wieder einen gefunden.« Irena schüttelte den Kopf.

      Nun war ich endgültig wach. Ohne ein weiteres Wort von Irena erhob ich mich, zog meine einfache graue Jacke über das Schlaf­gewand und rannte die Stufen hinunter. Meine nackten Füße huschten über die hölzernen Treppenabsätze und beinahe wäre ich in Edmund gerannt. Er stand im Eingang unseres Hauses. Noch immer trug er seine Wachmannsuniform und das dunkle Haar war perfekt frisiert. Auch seine Stiefel glänzten und seine Uniform war sauber zugeknöpft. Doch selbst diese Perfektion und dieser Schein konnten die Wahrheit nicht verbergen. Edmund hatte denselben nachdenk­lichen Blick aufgesetzt wie Irena vor wenigen Sekunden.

      »Wo?«, fragte ich einfach und drängte mich an ihm vorbei.

      »Unten am Meer. Sie haben ihn bereits weggeschafft«, beantwortete er meine Frage. Ich schloss die Augen und trat nun endgültig hinaus ins Freie. Die Sonne war gerade erst aufgegangen und es roch noch nach Morgentau. Ein kühler Wind blies mir durchs Haar und ließ mich trotz meiner Jacke frösteln.

      »Ich denke, wir sollten uns langsam Sorgen machen.« Irena erschien hinter dem Wachmann und verschränkte die Arme vor der Brust.

      Ich nickte. Es war bereits der vierte Todesfall in diesem Monat und so langsam musste etwas geschehen. Auf einmal erschien das Bild des blonden Jungen vor meinen Augen. »Wie sah er aus?«, fragte ich zaghaft und hoffte, dass nicht er der Tote war.

      »Ein älterer Mann mit gräulichem Haar. Er war auch Fischer.

      Wie die anderen.«

      Wie die anderen … Immer wieder hatte man unten am Meer tote Männer gefunden. Sie alle hatten als Fischer gearbeitet und waren in den hohen Wellen ertrunken, zumindest deutete alles darauf hin.

      »Das liegt an der Geldnot. Die Abgaben werden immer höher und irgendwann fahren die Fischer auch nachts hinaus, um irgendwie an ihr Geld zu kommen.« Irena schluckte, als sie die Worte aussprach, und schüttelte dann traurig den Kopf. »Diese ständige Suche nach Geld, sie bringt uns alle noch ins Grab.«

      Wieder nickte ich. Wer der Mann wohl gewesen war? Hatte er Familie und Kinder gehabt? Ich wollte mir seine Geschichte gar nicht erst ausmalen.

      »Ich werde wieder hinuntergehen und schauen, ob ich etwas helfen kann«, sprach Edmund und verneigte sich leicht.

      »Ich komme mit!«, rief Irena und fuhr sich eilig durch ihre dichte Mähne. »Noch einmal sehe ich nicht tatenlos zu.« Mit energischen Schritten lief sie die Treppe hoch.

      »Dann werde ich wohl warten«, seufzte er und kratzte sich verlegen am Kopf. Er wusste nur zu gut, dass es nichts brachte, Irena zu widersprechen. Sie hatte einen sturen Kopf und ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen.

      Es dauerte nicht lange, da erschien Irena wieder bei der Treppe. »Ich bin gleich wieder zurück, schlaf du ruhig noch etwas.« Sie lächelte, ehe sie zusammen mit Edmund das Haus verließ.

      Erst jetzt fiel mir diese Stille auf. Im ganzen Haus war es ruhig, kein einziger Laut drang von draußen herein. Ich seufzte und gähnte noch einmal herzhaft. An Schlaf konnte ich nun nicht mehr denken. Ich war zwar noch müde, aber wenn ich mich jetzt noch einmal hinlegen würde, dann würden meine Gedanken wegen des Toten ständig abschweifen. Also ging ich in die Küche und suchte nach etwas Essbarem. Viel gab es nicht. Die Suppe von gestern stand noch dort, aber inzwischen war nicht mehr viel davon übrig. Daneben lag noch ein Stück Brot, dem ich jetzt meine Aufmerksamkeit schenkte. Ich brach es in der Mitte auseinander und wollte gerade einen Bissen nehmen, als mir etwas anderes auffiel. Ein brauner Umschlag lag auf dem Boden. Womöglich hatte ihn ein Windstoß vom Tisch befördert, immerhin stand das Fenster offen. Neugierig hob ich ihn auf. Das Papier war ganz rau und vergilbt, als ob der Brief schon eine Weile dort unten läge. Dort, wo ich den Umschlag berührt hatte, kribbelten meine Finger ganz leicht. Überrascht ließ ich ihn wieder fallen. Nun lag er auf der anderen Seite und ich entdeckte auch, an wen er adressiert war. Malina

      Ein Brief für mich? Ein ungutes, beinahe schon beängstigendes Gefühl kroch meinen Rücken hinauf. Ich hatte bisher noch nie einen Brief bekommen, höchstens von Irena selbst, aber das hier war nicht ihre Handschrift. Ich legte das Brot beiseite und hob den Brief erneut auf. Diesmal blieb das Kribbeln aus. Er war verschlossen durch ein blutrotes Siegel mit dem Buchstaben M. Ganz vorsichtig durchbrach ich das Siegel und öffnete den Umschlag.

      Eine Einladung in das Reich Malufra. Mit dieser Einladung ist es Euch gestattet, die Königin höchstpersönlich zu besuchen und auf Kosten des Königreiches einige Tage in meiner Stadt zu verbringen.

      Die Königin

      Ich las den