Der Dieb ohne Herz. Ney Sceatcher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ney Sceatcher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783959914192
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aber wer wusste schon, wie lange ich mich hier aufhalten würde. Wenn ich nur …

      »Drei Meter groß war er!«

      »Deine Nase wird nur noch länger, wenn du weiterhin so einen Unsinn redest.«

      Ich erstarrte. Wer war das? Ich dachte, hierher würden sich keine Menschen verirren. Eilig kroch ich hinter den Baum und duckte mich etwas. Die Kapuze rutschte mir dabei wieder nach hinten.

      »Wenn ich es dir sage! Du glaubst mir so oder so nichts.« Die Stimme gehörte einem Mann, während die andere unbekannte Person eine Frau sein musste.

      »Das tue ich tatsächlich nicht, du erfindest ständig irgend­welche Märchen, um andere zu beeindrucken«, antwortete die Frau. Die beiden kamen immer näher. Sosehr ich mich auch anstrengte, ich erkannte nicht wirklich viel. Was zum einen an den schlechten Lichtverhältnissen und zum anderen an ihrer Kleidung lag. Sie trugen Kapuzen, die sie sich bis ins Gesicht gezogen hatten, und dunklen Stoff. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, fast lautlos schlichen sie über den Waldboden, und würden sie sich nicht miteinander unterhalten, so hätte ich sie gar nicht gehört.

      Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Was, wenn sie mich ent­decken würden?

      »Und funktioniert es?«, fragte der Mann und lachte. Er war größer als die Frau und hatte breitere Schultern. Außerdem trug er ein Schwert um die Hüften, während es aussah, als ob seine Begleiterin unbewaffnet unterwegs war.

      »Was?«, fragte die Frau. Sie wirkte etwas genervt. Ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, wie sie unter der Kapuze ihre Augen verdrehte.

      »Das mit dem Beeindrucken.« Er blieb stehen. Nun standen die beiden im Grunde direkt vor meinem Baum und ich wagte kaum noch zu atmen.

      Sie murmelte irgendetwas, was ich nicht wirklich verstand. Ich wandte den Kopf ab und duckte mich noch etwas mehr Richtung Waldboden. Sobald die beiden verschwunden waren, würde ich rennen. Ich würde meine Beine in die Hand nehmen und um mein Leben rennen. Mein einziger Schutz war das stumpfe Küchenmesser in meinem Stiefel. Gegen ein Schwert würde ich damit wohl nicht ankommen, zumindest nicht in diesem Leben.

      »Irgendetwas ist eigenartig.« Die Stimme des Mannes ließ mich zusammenzucken.

      »Es ist nichts eigenartig«, seufzte die Frau und lehnte sich nun direkt an den Baum, hinter dem ich kauerte.

      »Hörst du mir überhaupt zu?« Jetzt wirkte er genervt.

      »Bis auf das Mädchen hinter dem Baum gibt es hier aber nichts Eigenartiges«, schnurrte sie.

      Ich schloss die Augen für einen kurzen Moment, holte tief Luft, öffnete sie wieder und stieß mich blitzschnell vom Boden ab. Dann rannte ich los.

      »Jetzt hast du sie erschreckt«, hörte ich die Stimme des Mannes aus weiter Ferne. Doch ich kümmerte mich nicht darum und sprintete immer weiter. Der Boden zu meinen Füßen war uneben und ich geriet immer wieder ins Straucheln, fing mich so schnell es ging wieder. Zweige streiften mein Gesicht und verfingen sich in meinen Haaren. Ich keuchte und meine Lunge schien nach Luft zu schreien. Für gewöhnlich rannte ich nicht durch unebene Waldgebiete. Erst als ich mir sicher war, dass die beiden mir nicht folgten, hielt ich an. Ich kauerte auf dem Boden, inmitten von moosbewachsenen Steinen, und holte gierig Luft. Mein Mund fühlte sich staubtrocken an und meine Zunge klebte an meinem Gaumen. Ich schnappte mir meine Tasche und suchte nach dem kleinen Wasserschlauch. Gierig trank ich einige Schlucke, ehe ich wieder lauschte. Nichts war zu hören.

      Ich stand wieder auf und setzte meinen Weg fort. Ich konnte nur hoffen, dass die beiden kein Interesse an mir hatten und ihren Weg in die andere Richtung fortsetzten.

      Nach einiger Zeit kam der Regen. Die Blätter der Bäume fingen das meiste Wasser auf, aber es reichte nicht für einen vollständigen Schutz. Das wenige Licht wurde immer schwächer, da sich nun auch noch dicke Wolken vor die letzten Sonnenstrahlen geschoben hatten. Wasser durchnässte meinen Umhang und Kälte breitete sich in meinem Körper aus. Ich lief weiter, presste die Tasche an meine Kleidung und strich mir das nasse Haar aus dem Gesicht. Der Brief der Königin lag sicher verwahrt in der Tasche. Ich hatte ihn in ein kleines metallenes Kästchen gepackt und einen alten Schal darum gewickelt. Das Wasser sollte ihn also nicht erreichen.

      Der Regen wurde immer kräftiger und nun blies auch noch ein störrischer Wind umher. Dieser zerrte die letzten Kräfte aus meinem Körper. Ich geriet ins Straucheln, stützte mich an einem Baumstamm ab und wollte weitergehen. Auf einmal schlang sich etwas um meinen Knöchel. Erschrocken schrie ich auf. Mein Schrei wurde vom Regen und dem Wind erstickt. Entsetzt blickte ich hinunter an meinem Körper, wo sich dicke Wurzeln um meinen Fuß wanden. Ich warf mir die Tasche über die Schulter und zog mit beiden Händen an der Wurzel. Sie lockerte sich etwas, sodass ich meinen Fuß befreien konnte.

      Ehe ich erleichtert einen Schritt zurückmachen konnte, kroch bereits die nächste über meine Beine und wickelte sich darum wie eine Schlange um ihre Beute. Ich zog und zerrte, nun kamen neue Wurzeln und schlangen sich um meine Handgelenke. Keuchend gab mein Körper nach und ich fiel auf den harten Waldboden. Die hartnäckigen Dinger wanden sich um meinen Körper, zogen an mir, während ich kaum noch Luft bekam. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen und ich war mir nicht sicher, ob dies an der Anstrengung oder an dem prasselnden Regen lag, der mir die Sicht nahm.

      In meinen Gedanken tauchten Bilder von Irena auf, wie sie verzweifelt nach mir rief. Ihre Hände umklammerten eine Maske, während sie in meinem leeren Zimmer stand.

      Ich schüttelte den Kopf. Wut kochte in mir. Mit letzter Kraft richtete ich mich auf und zerrte die Wurzeln weg von mir. Ich schrie und zog, kämpfte dagegen an. Die engen Fesseln lösten sich. Erleichtert rappelte ich mich auf, strauchelte wieder, aber gab nicht auf. Ich lief wieder zurück zu dem Waldweg und ballte die Fäuste. Dann knickte ich vor Erschöpfung endgültig ein.

      5

      Wo Fremde einem halfen

      Irenas kühle Hände strichen über meine Stirn. Ganz behutsam und sanft, als ob sie Angst hätte, ich wäre so zerbrechlich wie ihre Masken aus Glas. Ich wollte etwas sagen, fand aber keine geeigneten Worte. Ich kämpfte gegen das Schwindelgefühl und gegen das Pochen in meinem Schädel an. Langsam öffnete ich die Augen und vertrieb endlich die Dunkelheit, die schon viel zu lange Besitz von mir ergriffen hatte.

      »Irena«, krächzte ich und hustete. Nur stand vor mir nicht Irena. Erschrocken wich ich zurück und stieß dabei gegen etwas Hartes.

      »Du hast Fieber, du solltest dich noch etwas ausruhen«, sprach die Frau vor mir. Sie war jung, womöglich um die einundzwanzig Jahre, und hatte lange schwarze Haare, die sie zu einem Zopf geflochten hatte. Ihre Augen besaßen die Farbe von hellem Grau und sie trug einen dunkelblauen Umhang. Erst jetzt erkannte ich die Stimme wieder. Sie war die Frau von vorhin aus dem Wald.

      »Wer seid Ihr?«, fragte ich und richtete mich etwas auf. Meine Kleidung war inzwischen wieder trocken.

      »Rabea, zumindest nennt man mich so, und du bist Malina?«, fragte sie und ließ mich dabei nicht aus den Augen.

      »Woher …?«

      »… ich deinen Namen kenne? Du sprichst im Schlaf«, beendete sie meinen Satz, zuckte mit den Schultern und gähnte dann herzhaft.

      »Wir dachten wirklich, du stirbst uns weg«, fuhr sie fort und gähnte erneut. »Was für eine Nacht.« Lächelnd schüttelte sie den Kopf.

      »Wir? Du und der Mann aus dem Wald?« Nun war meine Neugierde stärker als meine Angst.

      »Du meinst Lev? Oh nein, dieser Elefant hat so viel Feingefühl wie ein hungriger Raubvogel auf Beutejagd.« Sie lachte.

      »Wo bin ich hier überhaupt?« Schmerzverzerrt rieb ich mir über die Stirn. Ich konnte mich nur noch daran erinnern, wie ich mitten im Wald zusammengebrochen war.

      »In