Der Dieb ohne Herz. Ney Sceatcher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ney Sceatcher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783959914192
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Stadtältesten für ein Fest, eine Maske für eine reiche Dame aus Bolinski und eine Maske für einen Handelsmann.« Irena setzte sich auf ein beiges Holzscheit neben dem Feuer und betrachtete die Flammen. Hinter ihr befand sich unser Heim, in dem wir beide lebten. Das Haus war wie alle Behausungen des kleinen Fischerdorfes Rondama klein, alt und trotzdem robust. Der einzige Unterschied waren die vielen kleinen Verzierungen an den Wänden. Es waren vergilbte Zeichnungen aus einer früheren Zeit und trotzdem erkannte man anhand der Umrisse, was sie darstellen sollten. Es waren Bilder von Geschichten, von Märchen, die man sich erzählte. Irenas Zuhause befand sich in der Nähe des Waldes, den keine Menschenseele betrat. Unheimliche Erzählungen rankten sich darum. Dort lebte nämlich der Dieb ohne Herz mit seinen Kameraden. Der Wald war ihr Zuhause, und wer dort vorbeiwollte, der musste einen hohen Preis zahlen. Der Dieb konnte mit den Bäumen und dem Wind sprechen, auch die Dunkelheit war ein Teil von ihm, und wer es wagte, ihn zornig zu machen, der würde sich in den Tiefen des Waldes verirren und nie mehr zurückkehren. Gleich dahinter lag Malufra, die Stadt der Masken.

      »Das klingt nach viel Arbeit«, sprach ich und stellte den Topf mit dem Wasser neben mir ab.

      »Viel Arbeit für nichts.« Sie seufzte und erst jetzt fielen mir die dunklen Schatten unter ihren Augen auf. Ich wusste nicht, wie alt sie war. Irena wirkte immer noch jung, und wenn ich sie ansah, dann vergaß ich irgendwie immer, dass sie diejenige war, die mich auf­gezogen hatte. Sie war mehr Freundin als Ersatzmutter für mich. Sie besaß keine Familie, ihre Eltern starben schon früh an einer Krankheit und ihr Bruder verließ nach seiner Verlobung mit einer angesehenen Frau das kleine Fischerdorf.

      »Mein Einkommen reicht kaum für uns beide, wie will ich weiterhin die Armen unterstützen? Viele Menschen stellen Masken her und jeder bietet sie günstiger an. Die Preise gehen immer mehr zurück und irgendwann können wir diese Dinger verschenken.«

      Ich schwieg, wusste nicht so recht, was ich darauf antworten sollte. Etwas nachdenklich betrachtete ich meine Hände. An der linken Hand zog sich ein tiefer Schnitt quer über die Handfläche. Er war noch frisch. Masken aus Glas herzustellen war aufwendig und schwer. Die Glasstücke hatte Irena von einem bekannten Händler aus dem Dorf. Mithilfe eines speziellen Schneidwerkzeuges konnte man die Stücke kleiner schneiden. Dabei musste man äußerst vorsichtig sein; wenn man zu kräftig drückte, dann zersprang das Glas in Tausende Teile und bohrte sich in die Handflächen. Trotz des Aufwandes liebte ich diesen einen Moment, wenn man die bunten Stücke vereinte, die fertige Maske abschliff und gegen das Licht hielt. Erst im Licht bekamen die Farben Leben und funkelten im Schein der Sonne. Magie, hatte Irena diesen Vorgang genannt. Magie war der Teil des Lebens, der einen zum Staunen brachte.

      »Wo hast du schon wieder deine Gedanken?« Erneut weckte die Stimme von Irena mich. Sie ließ mich auftauchen aus meiner tiefen Gedankenwelt, in der ich mich manchmal verlor.

      Lächelnd sah ich in ihre grünen Augen. »Die Idee mit den Masken, die Idee …« Ich wollte gerade weitersprechen, als Irena die Augen schloss und die linke Hand hob, um mich zum Schweigen zu bringen.

      »Ich weiß, was du sagen möchtest. Fang bitte nicht wieder damit an.«

      »Irena, hör mir doch zu. In Malufra ist der Bedarf nach Masken viel größer als hier, und wenn wir erst einmal Masken in Malufra selbst verkaufen würden, dann würden wir …« Abermals hob sie die Hand, um mich zu unterbrechen. Ich schwieg und blickte zu Boden. Die hellen Haarsträhnen schoben sich vor mein Blickfeld.

      »Wenn ist ein Wort mit vielen Bedeutungen. Erinnerst du dich an die Geschichte des Fischerjungen, der den Mond besitzen wollte?« Irena war inzwischen aufgestanden und hatte sich das schwarze Haar mit einem Tuch zurückgebunden. Ihre Hände waren makellos. Kein Kratzer, keine Schwielen, keine Verletzungen. Nur ab und an entdeckte man bei starkem Licht kleine Narben. Narben von früher, aus einer Zeit, in der Irena noch lernen musste, dass auch Masken ihren eigenen Willen hatten.

      »Die Geschichte vom jungen Fischer, der alles besaß und alles hatte?«

      »Genau diese Geschichte.« Irena nickte zufrieden und klopfte sich die Hände an dem schwarzen, langen Kleid ab, das sie trug. »Holst du die bestellte Ware ab? Ich fange derweil schon mal an.« Sie wartete erst gar nicht meine Antwort ab, sondern verschwand im Inneren des Hauses.

      Ich dachte noch einmal über ihre Worte und die Geschichte vom Fischer nach.

      Er hatte viele Freunde, eine Familie und ein wunderschönes Mädchen an seiner Seite. Seine Taschen waren gefüllt mit Geld und dennoch wollte er immer mehr. Er wollte ein Schloss wie das des Königs, er wollte ein Pferd so schnell wie der Wind, ein Huhn, das goldene Eier legte, und eine Schar an Dienern. Irgendwann, nach unzähligen Jahren, waren all diese Dinge in seinem Besitz. Er hatte wirklich alles und doch war es noch nicht genug. Er blickte hoch in den Himmel und sah den runden Mond dort hängen. Den Mond dort oben, den wollte er auch besitzen. Die Gier spiegelte sich in seinen Augen, und seine Freunde und seine Familie hatten bald Angst um den Fischer. Doch dieser ließ sich nicht beirren und jagte fortan den Mond. Er lief dem Mond entgegen, achtete nicht auf seine Schritte und den Weg zu seinen Füßen. Er war so versunken in seinen Gedanken, so voller Gier, dass der Fischer nicht bemerkte, dass er gerade einen Fluss durchquerte. Ehe er sich’s versah, da riss die reißende Strömung an seinen Kleidern und zog ihn hinab in die Tiefe des Wassers. Ja, dort lag er nun und starb eines einsamen Todes. Manchmal war alles einfach nicht genug.

      Seufzend warf ich einen Blick hinüber zu dem Wald, der nicht weit von uns entfernt lag. Dichte Bäume versperrten mir die Sicht. Die Blätter raschelten im Wind. Irgendetwas Unheimliches ging von diesem Wald aus. Schnell schüttelte ich den Kopf, um meine Gedanken zu vertreiben, und machte mich auf den Weg hinab zu dem Dorf. Ja, manchmal war alles einfach nicht genug.

      2

      Wo Wünsche wahr wurden

      Geschichten waren es, die uns zum Leben erweckten, dank ihnen gerieten wir niemals in Vergessenheit. Sie belebten uns, ließen uns fühlen und träumen, verliehen uns unsichtbare Flügel, die uns hoch hinauf Richtung Himmel trugen.

      Es war bereits später Abend, als ich mit der bestellten Ware vor dem Eingang des Hauses stand. Seufzend ließ ich den schweren Sack auf den mit Gras überwucherten Boden gleiten. Unsere Aufträge wurden immer weniger und trotzdem bestellte Irena dieselbe Menge bei den Händlern. Ihr Herz ließ es nicht zu, dass andere unter unseren schweren Zeiten litten. Innerlich hoffte ich, dass es wirklich nur schwere Zeiten waren, obwohl ich die Wahrheit eigentlich kannte.

      Mein Blick glitt hoch zu den Sternen über uns. Schon als junges Mädchen hatten mich diese hellen Punkte auf der schwarzen Tapete fasziniert. Wie sie einfach da waren, so winzig und doch so wunderschön. Gern erinnerte ich mich an eines der ersten Märchen, das ich in meinem Leben gehört hatte, das Märchen über die Wünsche. In der Geschichte hieß es, dass man sich alles wünschen konnte, was man wollte. Jeder noch so kleine Wunsch würde in Erfüllung gehen, wenn man als Gegenleistung dafür etwas bot. Als eine Art Vertrag wurde für jeden ausgesprochenen Wunsch ein Stern am Himmelszelt erleuchtet, der erst wieder verschwand, wenn man seine Schuld beglichen hatte, damit der Traum in Erfüllung gehen konnte. Sternschnuppen trugen ihn dann hinab auf die Erde.

      Mein Blick verweilte noch etwas länger bei dem Lichtermeer dort oben, ehe ich den vollen Sack wieder hochhob und in das Innere des Hauses trat. Auf dem kleinen Schreibtisch in der Ecke brannte noch eine Kerze. Die Flamme schien im Schein der Dunkelheit zu tanzen. Ganz langsam bewegte sie sich hin und her. Irena saß am Tisch. In ihrer linken Hand hielt sie eine angefangene Maske und in der rechten Hand eine ziemlich ausgefallene Feder. Ihren Kopf hatte sie auf die Holzfläche gelegt und ein leises Schnarchen war zu hören.

      Lächelnd zog ich die Tür hinter mir langsam zu. Morgen würde sie sich wieder ärgern, dass sie eingeschlafen war, aber das war in Ordnung. Irena brauchte ihren Schlaf.

      Ich schnappte mir die Kerze und lief durch das Vorzimmer, hinein in die kleine Küche mit dem runden Holztisch in der Mitte