Der Dieb ohne Herz. Ney Sceatcher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ney Sceatcher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783959914192
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und trug sie seitdem wie ein Gepäckstück mit sich herum.

      Manchmal, wenn niemand sprach, dann blickte sie in die Gesichter der Menschen und versuchte sich ihre Geschichte vorzustellen. Versuchte zu erahnen, was für Geheimnisse sie versteckten, was für Lieder sie hinter verschlossenen Türen sangen und was ihnen durch den Kopf ging, während sie gedankenversunken in den Himmel starrten.

      Das Mädchen liebte Geschichten und Märchen und ganz tief in ihrem Herz, da hatte sie ihre liebsten Erzählungen versteckt. Die Geschichte über die verbotenen Wünsche oder die der gläsernen Prinzessin, die Erzählung von dem Mädchen ohne Kopf oder eben die Geschichte vom Dieb ohne Herz.

      Doch das Mädchen lebte nicht von klein auf in diesem Dorf. An einem stürmischen Wintertag tauchte es auf und niemand wusste, wer es war oder woher es kam. Seitdem arbeitete sie in der Werkstatt einer herzensguten Frau und half ihr dabei, Masken herzustellen. Masken für die reichen Leute in dem Fischerdorf, die auch so etwas Einzigartiges besitzen wollten wie die Menschen in Malufra. Die Masken stellten sie bei sich zu Hause auf oder hängten sie an die Wand, um zu zeigen, dass sie das Geld dafür besaßen.

      Inzwischen war das Mädchen älter geworden und sein Herz verlangte nach mehr Geschichten. Sie wollte hinaus in die Welt, wollte alles erkunden, verspürte den Drang, endlich ihre eigene Geschichte zu entdecken.

      Da stand sie also, blickte hinaus auf das Meer, in ihrer Hand eine schwarze Maske, auf der leuchtende Sterne abgebildet waren.

      Lasst es mich so sagen, in dieser Geschichte wird es ein Happy End geben, nur nicht so, wie wir alle es erwarten.

      1

      Wo Sterne funkelten

      vor einigen Jahren

      Es war bereits dunkel auf den Straßen, keine Menschenseele war mehr zu sehen. Der Mond beleuchtete schwach die kleinen gepflasterten Wege, die durch das Dorf führten, während vereinzelte Schneeflocken sich einen Weg hinunter auf die Erde bahnten. Kalt war es und dunkel, nur das leise Flüstern des Windes drang durch die Ritzen hinein in die Häuser. Die meisten Menschen lagen in ihren Betten, verkrochen sich unter dicken Wolldecken und träumten bereits von morgen.

       In einem Haus, das etwas weiter abgelegen stand, da brannte noch Licht. Eine Frau mit dichtem schwarzem Haar saß an ihrem Arbeitstisch und hatte sich über einen Gegenstand gebeugt. Diese Frau liebte die Nacht, da war es ruhig und man konnte ungestört arbeiten. Während die anderen schliefen, da stellte sie Masken her.

       In ihrer Hand lag das neueste Werk, die Bestellung einer reichen Adelsdame. Die Maske war aus Glas, ganz bunt und farbenprächtig, die Seiten zierten Federn von Vögeln. Vögel, die man seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Die Frau fuhr sich seufzend durch das Haar. Bis morgen früh musste sie fertig sein, nur fehlte noch das gewisse Etwas. Nur was?

       Sie wollte erneut aufseufzen, als ein schwaches Klopfen an der Tür sie zusammenzucken ließ.

       »Herein!«, rief die Frau, die sich selten fürchtete. Sie glaubte an die Gerechtigkeit und auch an das Gute in den Menschen. Wenn jemand sie bestehlen wollte, dann könnte sie es ohnehin nicht verhindern. Mehr als Masken und bunte Federn konnte sie nicht bieten, denn das Geld, das sie nicht brauchte, das schenkte sie den Armen und Bedürftigen.

       Die Holztür schwang auf und ein Mädchen erschien in ihrem Sichtfeld. Zitternd blickte es zu der Frau, eine Hand noch immer auf der Klinke. Der Wind blies ihr durch das Haar, verlieh ihr etwas Gespenstisches. Vielleicht lag es auch einfach an ihrer Haarfarbe. So hell wie das milchige Gesicht des Mondes.

       »Verzeihung«, stammelte das Mädchen und umklammerte den Griff der Tür etwas fester.

       Die Frau mit dem schwarzen Haar legte die Maske auf die Seite und blickte dann wieder zu ihr auf.

       »Wie kann ich dir helfen?«, fragte sie zögerlich.

       »Ich brauche eine Maske.« Noch immer zitterte es und erst jetzt fiel der Frau auf, dass diese dürre Gestalt mit dem hellen Haar nur ein einfaches Kleid trug. Der Stoff wehte um ihre Beine und bedeckte kaum ihre Knie. Immer wieder versuchte das Mädchen, das Kleid herunterzuziehen, der Wind war jedoch kräftiger. Die Haut des Mädchens war voller Dreck, kaum eine saubere Stelle war in seinem Gesicht zu finden.

       Besorgt stand die Frau auf. »Masken sind hier kostbar, beinahe unbezahlbar.« Sie schüttelte den Kopf. »Komm erst einmal herein.« Auffordernd winkte sie das Mädchen in die warme Stube.

       Das Kind nickte erleichtert, trat ein und schloss die Tür hinter sich. Das Rauschen des Windes verwandelte sich augenblicklich wieder in ein sanftes Flüstern.

       »Wo sind deine Eltern?«, fragte die Frau und drehte sich kurz um, um nach einer dicken Decke zu greifen, die über einem der Stühle lag. Eilig reichte sie dem Kind das Stück Stoff.

       Das Mädchen schwieg, starte einfach geradeaus zu der flackernden Kerze, die auf dem Holztisch stand und den Raum spärlich beleuchtete.

       »Bist du auf der Flucht?«, versuchte es die Frau weiter.

       Noch immer schwieg das Mädchen.

       »Du brauchst nicht zu antworten, wir sind alle auf der Flucht vor irgendetwas.«

       Das Mädchen lächelte und nickte. Die Frau wusste nicht warum, doch dieses Lächeln erweichte ihr Herz. Sie durfte dieses Kind nicht einfach wieder hinaus in die Kälte schicken. Bestimmt hatte es seine Eltern bei dem Sturm verloren und morgen, sobald der Himmel wieder klar war, würde sie dem Mädchen helfen, seine Familie zu finden.

       »Was für eine Maske möchtest du denn?«

       »Eine dunkle, mit Sternen«, sprach das Mädchen ganz überzeugt. Ihre anfängliche Unsicherheit schien wie verflogen.

       »Ich muss dich leider enttäuschen, ich werde dir keine Maske machen.«

       Die Mundwinkel des Kindes wanderten wieder nach unten.

       »Ich werde dir zeigen, wie es geht, und dann machst du deine eigene.«

      »Malina!«

      »Malina!«

      »Himmel noch mal, Malina, das Wasser!«

      Erschrocken zuckte ich zusammen. Meine Gedanken waren gerade bei meiner ersten Begegnung mit Irena gewesen. An diesen Tag aus meiner Kindheit konnte ich mich noch gut erinnern. Er war einer der wenigen, die mir im Gedächtnis geblieben waren.

      »Malina!«

      »Ja!« Ich rollte mit den Augen und nahm den Topf mit dem kochenden Wasser von der Feuerstelle.

      »Ich wundere mich bei dir manchmal, dass die komplette Hütte noch nicht in Brand steht.« Irena seufzte und fuhr sich energisch durch ihr dichtes, dunkles Haar.

      Ich schwieg und verdrängte den Gedanken, dass mir genau das beinahe vor einer Woche passiert wäre. Ich hatte das Feuer vergessen und war eingeschlafen. Zum Glück befand Irena sich zu dieser Zeit auf dem Marktplatz.

      »Irgendwelche interessanten Bestellungen?«, fragte ich, um sie von dem Thema abzulenken. Es war warm und die Sonne schien erbarmungslos vom Himmel. Manchmal bedauerte ich es, dass wir nicht unten am Meer wohnten. Dort wehte wenigstens ein kräftiger Wind. Den brauchten die Fischer auch. Sie verbrachten den ganzen Tag auf ihren Segelbooten und waren der