Habsburgs 'Dark Continent'. Clemens Ruthner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clemens Ruthner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000539
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[…]

      Zweitens ist die Art der Fremdheit zwischen Kolonisierern und Kolonisierten von großer Bedeutung. […]

      Der dritte Punkt schließlich hängt mit dem zweiten eng zusammen. Moderner Kolonialismus ist nicht nur ein strukturgeschichtlich beschreibbares Herrschaftsverhältnis, sondern zugleich auch eine besondere Interpretation dieses Verhältnisses.11

      Gerade die dritte Facette der systemimmanenten Auto-Interpretation und Selbstrechtfertigung des Kolonialismus dürfte im Rahmen eines Theorietransfers auf die Habsburger Monarchie noch von besonderer Bedeutung sein.12 Mit Berücksichtigung des k.u.k. Kontexts hat im Übrigen auch Johannes Feichtinger eine erste Fokussierung der Begrifflichkeit versucht und „drei Spielarten“ des Kolonialismus unterschieden:

      Einerseits durch direkte Machtausübung mit gleichzeitiger Implementierung fremder Kultursysteme, anderseits als indirekter Kulturkolonialismus, durch den autochtone kulturelle Strukturen überrollt werden, und schließlich als ein Kolonialismus, der sich auf die Ausbeutung ökonomischer Ressourcen anderer beschränkt.13

      Feichtinger sieht das erste Szenario nach der Niederschlagung der Revolution in Ungarn 1849 gegeben.14 Das zweite Szenario, den „Kulturkolonialismus“, versteht er als Prozess, der von einer „Inklusion des Außen“ zu einer „Sinnentleerung“ bzw. „Exklusion des Anderen“ führt und schließlich zur „Entrückung des Anderen in eine Idealsphäre“ und zur „Entmündigung des Anderen“;15 Herfried Münkler spricht hier von einer „Kulturalisierung der Macht“, d.h. einer „Transformation“ von hard in soft power16 (und durchaus kompatibel dazu hat Serge Gruzinski von einer „colonisation de l’imaginaire“ gesprochen17). Damit kommt einem top-down Modell kultureller Manipulation und Knebelung (d.h. Bevormundung bzw. Entmündigung) der ‚Eingeborenen‘ große Bedeutung zu18 (was insbesondere in deren kultureller Repräsentation bzw. deren Widerstand ein zentrales Problem darstellt, wie wir noch sehen werden).19 Über Michael Mann20 hinausgehend ließe sich dann auch behaupten, dass der Kolonialismus nicht nur eine Form struktureller Gewalt, sondern – mit Foucault gesprochen – ein Dispositiv ist, d.h. ein Ineinander von Diskurs und Praxis.

      Auf jeden Fall lässt sich Kolonialismus generell im Kern als Herrschaftspraxis jener Fremdbestimmung von Gebieten und Bevölkerungen bestimmen, die kulturelle Differenz (v.a. entlang von Kategorien wie ‚Rasse‘, Menschheitsentwicklung/‚Evolution‘, ‚Fortschritt‘ etc.) zur Rechtfertigung für die externe Machtübernahme im Rahmen einer „mission civilatrice“,21 „rule of law“,22 „white man’s burden“,23 o.ä. operationalisiert; als Konsequenz daraus wird politische Ungleichheit stipuliert und Gewalt rechtfertigt.24 Wie Münkler gezeigt hat, verfügte so ziemlich jedes historische Imperium über Narrative zur Legitimation der Herrschaft, deren Gewaltbereitsschaft und Expansion, d.h. eine selbst erteilte „Mission“ und komplementär zu deren Bestimmung ex negativo auch einen „Barbarendiskurs“.25 In Reinkultur ist dies etwa beim Franzosen Jules Harmand zu finden, einem der großen Stichwortgeber des Kolonialismus um 1900, so wie dies ein halbes Jahrhundert zuvor in Großbritannien Thomas Babington Macaulay war; eine der Schlussfolgerungen in Harmands Buch Domination et Colonisation (1910) lautet:

      It is necessary then, to accept as a principle and point of departure the fact that there is a hierarchy of races and civilizations, and that we belong to the superior race and civilization, still recognizing that, while superiority confers rights, it imposes strict obligations in return. The basic legitimation of conquest over native peoples is the conviction of our superiority, not merely our mechanical, economic, and military superiority, but our moral superiority.26

      Mehrere Autoren haben indes auf die schwierige Abgrenzung der historisch nicht unbelasteteten27 Begrifflichkeit des Imperialismus und des Kolonialismus hingewiesen. Diese ist aber durchaus zu leisten, indem man Letzteren als konkrete Ausprägung, Anwendungsfall bzw. konkrete Herrschaftspraxis des Ersteren (der dann als Oberbegriff fungiert) begreift, wie dies Hannah Arendt u.a. getan haben28 – ganz egal, wie man Imperialismus selbst im Einzelnen verstehten will.29 Hier ist auch in den letzten zwanzig Jahren eine gewisse post- und neomarxistische Renaissance dieser Terminologie zu bemerken,30 die in Anschluss an Michael Hardts and Antonio Negris Beststeller Empire von 2000 mit zum Boom sog. Imperial Studies als postkolonialer Nachfolgeformation an vielen Universitäten und Forschungseinrichtungen geführt haben mag.

      Die Weitung des Fokus mag auch dazu beigetragen haben, dass eine in Anlehnung an die South Asian Subaltern Studies Group um die Jahrtausendwende herum entstandene lateinamerikanische Schule postkolonialer Theorie versucht hat, in der Nachfolge von Hardt und Negri den globalen Zusammenhang von Imperialismus/Kolonialismus und einer westlich geprägten Moderne insgesamt herauszustellen, insofern als sich diese beide notwendigerweise gegenseitig ermöglichen; dies geschieht unter dem Etikett der „Kolonialität der Macht“, das der peruanische Soziologe Aníbal Quijano entwickelt hat.31 Mit den Worten von Pablo Quintero und Sebastian Grabbe sind die „konzeptionellen Schwerpunkte“ in diesem Rahmen:

      1) Der Versuch, die Ursprünge der Moderne in der Eroberung Amerikas und in der europäischen Hegemonie über den Atlantik ab Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts zu verorten. Dies im Gegensatz zur herkömmlichen Perspektive über die Moderne als Phänomen der Aufklärung, industriellen Revolution oder Reformation. 2) Ausgehend davon werden die durch den Kolonialismus entstehende Machtstruktur und die Gründungsdynamiken des modernen/kapitalistischen Weltsystems mit seinen spezifischen Akkumulations- und Ausbeutungsregimes auf globaler Ebene betont. 3) Dadurch wird die Moderne als ein weltweites Phänomen betrachtet, das durch asymmetrische Machtverhältnisse begründet wurde statt durch symmetrische Phänomenen innerhalb Europas […]. 4) Diese asymmetrischen Machtbeziehungen zwischen Europa und den anderen Weltregionen und -bevölkerungen stellt eine konstitutive Dimension der Moderne dar und impliziert notwendigerweise die Subalternisierung der Wissens- und Seinsformen der kolonisierten Weltbevölkerungen. 5) Die Subalternisierung des Großteils der Weltbevölkerung geschah durch eine spezielle und bisher nicht bekannte Form von sozialer Klassifikation […] anhand von, heute würde man sagen, phänotypischen Unterschieden zwischen Menschen sowie Geschlechts- und Sexualitätskonstruktionen. 6) Schließlich wird der Eurozentrismus als eine spezifische Wissensform und Produktionsweise innerhalb dieses globalen Machtmusters […] [etabliert].32

      In Bezug auf den Kolonialismus als Teilaspekt des Imperialismus sind jedenfalls außer den genannten kulturellen und epistemologischen, (geo)politischen – und vor allem wirtschaftlichen33 – Parametern auch rechtliche Aspekte von Belang,34 wenn etwa das Handwörterbuch der Sozialwissenschaften (1959) „Kolonien“ definiert als

      Gebietsteile, denen […] ein bestimmter, vom Regime des Hauptlandes verschiedener rechtlicher Sonderstatus zugewiesen worden ist […] Das rechtliche Sonderregime typischer Kolonialländer besteht in aller Regel darin, dass die Bevölkerung eines Kolonialgebiets nicht, oder jedenfalls nicht gleichberechtigt, am politischen Leben des Mutterlandes teilnimmt und dass sie ihrerseits auch in Bezug auf das Kolonialgebiet keine oder keine volle Selbstregierung besitzt.35

      Fast alle konsultierten Werke schlagen nun zusätzlich zu diesen Definitionen einen Katalog von verschiedenen Kolonietypen vor: Das Handwörterbuch der Sozialwissenschaften unterscheidet etwa zwischen Gebieten, die Kolonien „im juristischen Sinne“ sind, von solchen, die „nur in sozialer Hinsicht kolonialen Status haben“.36 Ähnlich machen mehrere Historiker/innen bzw. Sozial- und Politikwissenschaftler/innen einen Unterschied zwischen „direkter“ und „indirekter“ Herrschaft (also etwa durch staatliche Verwaltungsorgane des Kolonisators oder durch einen dazwischen geschalteten körperschaftlichen Akteur wie z.B. die East India Company);37 parallel dazu zwischen einem Kolonialismus, der eher eine Assoziation mit dem Mutterland intendiert, dadurch aber gewisse kulturelle und politische Barrieren aufrechterhält (wie z.B. die Herrschaft der „Raj“ in British-Indien, 1858–1947), und einem solchen, der die Assimilation der Kolonie ans Mutterland, ja sogar deren Inkorporation anstrebt (wie etwa im Falle von Frankreich und seinen „departements outre-mer“ in Algerien).38 Typologisch wird weiters zwischen Siedlungskolonien („die den Bevölkerungsüberschuss des Mutterlandes aufnehmen“ –