„Did the Habsburg lands have something comparable to the essentializing and morally loaded concept of ‚Englishness‘, so strongly tied to the British empire, its language and its literary canon? This question was raised by Edward Said when he explains9 why he specifically does not talk about some parts of the world, including the Habsburg monarchy“.
„[The] nexus between nation and narration could usefully be unpacked and unhinged in a critique of hegemonic cultural practices in the Habsburg lands.“
„There can be no doubt that even the most marginalized and oppressed ethnicities in the Habsburg monarchy had access to relatively good printing and publishing resources, but this does not imply that they were not subaltern, or that the concept of subalternity cannot be fruitful in considering the situation there; it does imply, however, that the concept of voice has to be even more refined than it has already been in the context of India and the Subaltern Studies Group.“
„[H]ow can it be avoided that such a movement promotes, intentionally or unintentionally, the same recentralization and hegemony of knowledge production that it sets out to criticize?“10
Reisenleitner träumt in diesem Sinne durchaus von
a serious engagement with postcolonial theory not so much in terms of an ‚application‘ but rather as a project of juxtaposition that re-shuffles the deck and thus provides a platform for tangential and guerilla readings that do not fall prey to oversimplifications and remain stuck in legitimizing binaries of dominance and oppression. Engaging with the terms and reading practices of postcolonial theory could very well help to displace the terms of opposition in which the question of ‚applicability‘ is couched (e.g. center and periphery, dominant vs. suppressed ethnicities, but also the concept of a Leitkultur).11
Diese Vision teilen wahrscheinlich die meisten in derartige Forschungsprojekte Involvierten. In diesem Kontext wäre die Postkolonialismus-Debatte dann nichts Anderes als eine heuristische Denkfigur, die die Aufmerksamkeit auf die Modellierung kollektiver Identitäten (oder Identifikationen) unter den Herrschafts- und/als Kulturbedingungen des multiethnischen k.u.k. Reichs lenkt – in jener Zeitumgebung, die unter dem Erfolgsdruck steht, mit der wankenden E.U. einen neuen, besseren Vielvölker(meta)staat begründen zu müssen. Gerade unter diesem Vorzeichen – so schreibt Heidemarie Uhl unter Berufung auf Moritz Csáky – werde das späthabsburgische „Spannungsfeld zwischen der Anerkennung von Differenz und den subtilen Mechanismen kultureller Hegemonie […] zu einem ‚Laboratorium gegenwärtiger Problemlagen‘“;12 Literaturkenner/innen mögen hier das Kraus’sche Wort von Österreich-Ungarn als der „Versuchsstation des Weltuntergangs“ durchhören.13
Allein schon deshalb sollte es nie so weit kommen, wie der österreichische Diplomat und Historiker Emil Brix auf einer Budapester Tagung 2002 meinte: Eine kulturwissenschaftlich-‚post/koloniale‘ Zugangsweise zu den Kulturen der k.u.k. Monarchie und ihrer Nachfolgestaaten, die als Gegenmodell zum habsburgischen Mythos gedacht sei, laufe nolens volens Gefahr, dessen Fünfte Kolonne, wenn nicht gar dessen letztes historisches rescue team zu werden.
In diesem Sinne soll über Reisenleitners konstruktive Kritik hinaus in einer abschließenden Auflistung noch einmal auf die Anregungen fokussiert werden, welche Zentraleuropa- und Habsburg-Studien von den Post/Colonial Studies empfangen haben bzw. können;14 es handelt sich hierbei um folgende Schwerpunkte:
Das Aufdecken quasi-kolonialer procedere bei der Konstruktion von k.u.k. Selbst- und Fremdbildern, der dahinter stehenden habsburgischen Identitätspolitiken bzw. die Rolle von Literatur darin (affirmativ/subversiv).
Die Analyse der Tropen bzw. Topoi imperialen Schreibens, eingedenk jenes postkolonialen Aperçus, wonach Imperien immer auch Fiktion sind;15 so erhebt sich auch die Frage, ob der von Said16 behauptete gegenseitige Ermöglichungskontext von (Kolonial-)Reich und Roman auch im post/habsburgischen Raum zutrifft – oder sich etwa genremäßig auf das Drama bei Grillparzer u.a. verlagert.
Die Erfassung literarischer Texte bzw. Genres als Ausdrucksmedien kolonialer Begehrlichkeiten auch dort, wo „Kakanien“ kein Kolonialreich war – also dessen, was Sylvane Leprun „l’imaginaire coloniale“ genannt hat und Susanne Zantop „colonial fantasies“.17 (Dieser Fragestellung werden sich v.a. die Fallstudien in Teil B. des vorliegenden Buches widmen.)
Die Analyse des k.u.k. Kulturimperialismus bzw. quasi- oder ersatzkolonialistischer Diskursformen in Bezug auf Bosnien-Herzegowina,18 jener österreichisch-ungarischen Parallelaktion zum westeuropäischen Orientalismus bzw. der Orient-Kolonisierung (Teil C. der Fallstudien).
Für diese Schwerpunkte (mit Ausnahme des vierten) fällt nicht unbedingt ins Gewicht, ob nun die politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Lebewelten des historischen Kontexts tatsächlich koloniale Züge aufweisen oder nicht – haben doch schon Bill Ascroft, Gareth Griffiths und Helen Tiffin in ihrem tonangebenden Buch The Empire Writes Back (1989, 2. Aufl. 2002) darauf hingewiesen, dass die von den Postcolonial Studies entwickelten Analysekategorien und -methoden durchaus auch gewinnbringend außerhalb postkolonialer Literaturen und Kulturen im engeren Sinn eingesetzt werden könnten.19 In diesem Sinne soll das Post/Kolonialismus-Paradigma als Befund, als Befindlichkeit und als Betrachtungsweise in den folgenden Fallstudien Berücksichtigung finden.
Bevor aber dies in Angriff genommen werden kann, müssen freilich noch einige Überlegungen zu jenen ‚Bilderwelten‘ angestellt werden, die literarische wie andere kulturelle Texte entwickeln, und deren Beziehungen zu jenen Stereotypien, die in den Kulturen kursieren und das Verhältnis des ‚Eigenen‘ und des ‚Fremden‘ regeln.
A.2. ImagiNation:
Zur literatur- und kulturwissenschaftlichen Analyse stereotyper Selbst-/FremdBilder
[…] Son of man, You cannot say, or guess, for you know only/A heap of broken images, […] (T.S. Eliot: The Waste Land)1
2006 erregte der Film Borat des britischen Komikers Sacha Baron Cohen gewinnträchtige Belustigung, aber auch heftige Diskussionen. Sein zentrales satirisches Verfahren war, gängige Stereotypen über den ‚Wilden Osten‘ Europas in einem imaginären „Kasachstan“ zu verorten und den dort ansässigen Protagonisten auf eine Entdeckungsreise durch Amerika zu schicken, wo er mit seinem interkulturell bedingten Fehlverhalten letztlich nur die Körperfeindlichkeit und Engstirnigkeit von George Bushs Vereinigten Staaten enthüllte: ein prekärer und politisch unkorrekter Ansatz, der auf einer ‚schwarzen Pädagogik‘ des umgepolten Vorurteils fußt, das Gegenstand einer postmodernen Rückspiegelung wird. (In Kanada jedenfalls verließen erregte ukrainischstämmige Zuschauer den Kinosaal, da sie den Film als „disgrace“ für ihre Nation empfanden – obwohl die Ukraine hier nirgendwo vorkommt, sondern als Set für die Eröffnungsszene ganz offensichtlich ein rumänisches Dorf diente.)
Eine der vornehmlichsten Aufgaben für eine postkolonial inspirierte Literatur- und Kulturwissenschaft könnte nun sein, anhand von kulturellen Text- und Bildwerken wie diesem Film das Ineinander von Repräsentation(en), Machtstrukturen und Identitätskonstruktionen aufzuzeigen – in Form einer Imagologie,2 die sich auch um kritische Anschlussfähigkeit an eine gegenwärtig boomende Bildwissenschaft3 (bzw. Visual Studies) und andere verwandte Disziplinen4 bemüht. Mit Jörg Barberowski formuliert, wären dann Repräsentationen „Darstellungsformen des Wissens, die dem Menschen überhaupt erst ermöglichen sich eine Welt zu errichten. Wo etwas zum Ausdruck gebracht wird, äußert es sich in symbolischen Formen.“5 Barberowskis 2008 erschienener Sammelband Selbst- und Fremdbilder wollte in diesem Sinne auch das Henne-Ei-Problem zeigen, wie „Repräsentationen soziale Ordnungen erzeugen, wenn Menschen einander begegnen, und wie diese Repräsentationen [wiederum] von den Ordnungen geformt werden, aus denen sie sich hervorbringen“:6 „Dabei wird nicht nur