Clemens Ruthner
Habsburgs ‚Dark Continent‘
Postkoloniale Lektüren zur imperialen Literatur und Kultur Österreichs im langen 19. Jahrhunderts
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-7720-0053-9
0. VorWort & DankSagung
The starting-point of critical elaboration is the consciousness of what one really is […] as a product of the historical processes to date, which has deposited in you an infinity of traces, without leaving an inventory.
(Antonio Gramsci)1
Als ich im Februar 1991 meine erste Stelle als österreichischer Auslandslektor an der staatlichen Universität von Budapest (ELTE) antrat, hieß die Straße mit den stalinistischen Wohnblocks, wo ich für ein Semester wohnte, noch ein paar Wochen lang Lumumba utca, bevor sie umbenannt wurde und eine IKEA-Filiale in unmittelbarer Nähe aufmachte. Dies ist in meiner Erinnerung nicht nur ein drastisches Bild für die sog. ‚Wende‘ in Ungarn geworden, sondern auch ein erster Anreiz, mich mit dem Namen2 hinter der Straße und damit der Geschichte des Kolonialismus, seinem Ende bzw. Fortbestehen zu beschäftigen.
Anders als viele Österreicher/innen und andere Zentraleuropäer/innen meiner Generation („X“), die ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Habsburger Monarchie geboren wurden, verbindet mich aber mit meinem Untersuchungsgegenstand „k.u.k. post/kolonial“ sonst kaum eine tiefer gehende biografisch-familiäre Wurzel. Das einzige, was ich anführen könnte, ist, dass mein Großvater Alfons Leopold in der Zwischenkriegszeit eine Wiener Kolonialwarenhandlung (für Kaffee und Tee aus Asien) betrieb: eine merkwürdige Bezeichnung in einem Land ohne Kolonien, die im Verbund mit den obligaten Orientteppichen in der elterlichen Wohnung und der damals obligaten Karl-May-Lektüre meine kindliche Phantasie immer wieder beschäftigte.
Es war jedoch erst meine Zeit als Lektor und Doktorand in Belgien (1993–2003), die meine Wahrnehmung für den Kolonialismus gerade der kleineren Staaten Europas, seine Bilderwelten (wie z.B. das Afrika-Museum Tervuren bei Brüssel) und realen wie globalen Nachwirkungen nachhaltig schärfte – ebenso wie für die innere Kolonisierung, die häufig stattgefunden hat (Beispiel: Flandern). In Belgien kam ich auch zum ersten Mal mit den Gründungsschriften der Postcolonial Studies in Kontakt: jener „Holy Trinity“ (Richard Young) von Said, Bhabha und Spivak, für die sich einige jüngere Kolleg/inn/en an der Anglistik- und Romanistik-Abteilung unserer Universität in Antwerpen zu interessieren begannen und eine Werkgroep Postcoloniale Literaturen einrichteten.3 In diesem Kontext boten sich auch Frederic Jamesons Motto „always historicize“4 und die Arbeiten des Birminghamer Centres for Cultural Studies rund um Stuart Hall zur Moderation einer allgemein um sich greifenden dekonstruktivistischen Textherme(neu)tik an.
Anlässlich einer Lektor/innen-Tagung lernte ich dann im Juni 1998 auf einem Korridor der Wiener Universität Wolfgang Müller-Funk kennen, der kurz darauf als Gastprofessor an eben jene Universität Birmingham berufen werden sollte. Ich kam mit ihm ins Gespräch, dessen Gegenstand die zu jener Zeit in der österreichischen Germanistik nur zögerlich stattfindende kulturwissenschaftliche Weitung des Faches war, die bekanntlich auch zu diversen Abstoßungsreaktionen führte. Es sollte aber mehr werden als ein typischer academic rant, wie er immer häufiger geworden ist nach dem economic (down)turn an den europäischen Universitäten: Wenig später waren wir uns nämlich auch in unserem Interesse für postkoloniale Theoriebildung internationaler Prägung einig – und dass es ein wohl reizvolles Unterfangen wäre, deren zumeist im kolonial-imperialen Kontext Großbritanniens gewonnenen Ansätze und Erkenntnisse, die im Wesentlichen in einer speziellen Lesart von Literatur und anderen kulturellen Texten bestehen, versuchsweise auf die Spätzeit der multiethnischen Habsburger Monarchie anzuwenden.
Die Folgen sind bekannt: Aus unserer Begegnung heraus entstanden zwei internationale Wiener Forschungsprojekte,5 die die Textkulturen Österreich-Ungarns zwischen 1867 und 1918 analysierten, die vorliegende Buchreihe Kultur – Herrschaft – Differenz beim Tübinger Francke-Verlag, und schließlich Kakanien revisited, ein selbst entwickeltes label für das Gesamtvorhaben, das nicht nur den Titel für den ersten Sammelband unsres Teams abgab,6 sondern auch für ein von Peter Plener, Ursula Reber sowie Lajos und János Bekesi mit Geldern des österreichischen Wissenschaftsministerium aus der Taufe gehobenes Internet-Publikationsprojekt7 an der Universität Wien, das sich bis zum Versiegen jener Geldquellen als überaus erfolgreich erweisen sollte. Im Umfeld bildete sich rasch und informell ein zwar zentraleuropäisch geprägtes, aber doch dezentral rhizomatisches Forschungsnetzwerk, das auch mit anderen Teams zusammenarbeitete – wie etwa mit dem SFB Moderne an der Karl-Franzens-Universität Graz8 – und ein kurzlebiges Wiener Doktoratskolleg9 gründete; vor allem aber wurden wissenschaftliche Tagungen und Workshops abgehalten, und als Folge eine Vielzahl von Sammelbänden, Monografien und Aufsätzen veröffentlicht – in Buchform wie auch im Internet.10
Die geografische und sprachliche Streuung meiner eigenen Beiträge zum Thema in den fünfzehn Jahren, die seither vergangen sind, hat mich nun – im Kontext der zunehmenden Aktivitäten einer postkolonialen Germanistik11 in Deutschland, Österreich, der Schweiz und dem englischsprachigen Raum – dazu gebracht, die alten Fäden wieder aufzugreifen und sie zu einem vorläufigen Abschluss zusammenzuführen. Es war meine Ambition, sie trotz der Irrungen, Wirrungen und Limitationen eines neoliberalen Uni-Betriebs, der selbst nolens volens Züge von Kafkas Strafkolonie angenommen hat, zu überdenken, ggf. zu revidieren und zu einem Buch zu verweben, das hiermit vorliegt.
Mein herzlicher Dank für inhaltliche Anregungen, logistische und sprachliche Hilfeleistungen sowie notwendige Korrekturen gilt in diesem Zusammenhang neben Wolfgang Müller-Funk, dem mein wissenschaftlicher Werdegang wesentliche Impulse schuldet, folgenden Kolleg/inn/en und Freund/inn/en in alphabetischer Reihenfolge:
Balázs Apor (Dublin), Katie Arens (Austin), Ulrich Bach (Connecticut), Karyn Ball (Edmonton), Carl Bethke (Tübingen), Anil Bhatti (Neu-Delhi), Anke Bosse (Namur/Klagenfurt), Emil Brix (Wien), Milka Car (Zagreb), Moritz Csáky (Wien), Stanley Corngold (Princeton), Mary Cosgrove (Dublin), Raymond Detrez (Gent), Jeroen de Wolf (Berkeley), Robert Donia (San Diego), Wolfram Dornik (Graz), Davor Dukić (Zagreb), Anne Dwyer (Pomona), Jozo Džambo (München), Alfred Ebenbauer † (Wien), Katrin Eberbach (Dublin), Daniela Finzi (Wien), Ana Foteva (Skopje), Dariusz Gafijczuk (Newcastle), Karl-Markus Gauß (Salzburg), Andreas Geyer (München), Kathleen Gijssels (Antwerpen), Rüdiger Görner (London), Deniz Göktürk (Berkeley), Martin A. Hainz (Baden), Endre Hárs (Szeged), Jonathan Locke Hart (Edmonton/Shanghai), Róisín Healey (Galway), Waltraud Heindl (Wien), Friederike Heymach (Wien), John Paul Himka (Edmonton), Miranda Jakiša (Berlin), Reinhard Johler (Tübingen), Pieter Judson (Florenz), Tomek Kamusella (St. Andrews), Amália Kerekes (Budapest), Alfrun Kliems (Berlin), Kristin Kopp (Columbia), Albrecht Koschorke (Konstanz), Alan Kramer (Dublin), Wynfrid Kriegleder (Wien), Florian Krobb (Maynooth), Stephan Lehnstaedt (Warschau), Joep Leerssen (Amsterdam), Jacques Le Rider (Paris), Michael Limberger (Gent), Vivian Liska (Antwerpen/Jerusalem), Tomislav Longinović (Madison/Rovinj), Dagmar Lorenz (Chicago), Mike Lützeler (St. Louis), Christian Marchetti (Tübingen), Graeme Murdock (Dublin), Ivana Nevesinjac (Sarajevo), Nina Newell-Osmanović (Sarajevo), Jane Ohlmeyer (Dublin), Christine Okresek & Zlatko ‚Ola‘ Olić (Opatija), Martin Pammer (Sarajevo), Peter Plener (Wien), Brigitte Pfriemer-Sitzwohl (Brüssel), Vasilis Politis (Dublin),