Ich kann andere besser fühlen als mich selbst.
Ich verliere mich in den Beziehungen zu anderen Menschen.
Ich kümmere mich zwar um andere, aber was ist mit mir?
Was macht mich überhaupt aus? – Wer bin ich?
Ich sehne mich danach, einfach nur noch ich selbst zu sein.
Jetzt habe ich auch noch die Diagnose Burnout, Depression, Posttraumatische Belastungsstörung. – Wo kommt letztere denn überhaupt her?
Bereits von Geburt an haben wir ein starkes biologisches Bedürfnis nach der Bindung zu unseren Eltern, vor allem zur Mutter. Nur dank ihrer Unterstützung, Feinfühligkeit und Verlässlichkeit können sich unser Urvertrauen, sowie unsere spätere Beziehungsfähigkeit ausreichend entwickeln. Verfügt die Mutter über eine feine Wahrnehmung hinsichtlich der Bedürfnisse des Kindes, sowie über Empathie (= Einfühlungsvermögen bzw. die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen), kann sich das Kind ungestört entwickeln.
Anhand von Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass postnatale Trennungserlebnisse eine erhöhte Sekretion von CRH (Corticotropin-releasing Hormon), ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) und Cortisol bewirken, da die Endorphinausschüttung im Gehirn durch Verlust des Körperkontaktes zur Mutter unterbrochen ist. Ähnliche Messergebnisse finden sich auch bei depressiven Patienten. Dieser damit einhergehende frühkindliche Stress führt – je nachdem wie langanhaltend die Trennung ist – im unreifen Gehirn des Säuglings zu einer erhöhten Empfindlichkeit der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, sowie zu einer verminderten Ausbildung des Hippocampus durch erhöhte Glucokortikoidspiegel. Damit bedingen frühkindliche Traumata oder Stress eine Dysfunktion in der Ausbildung von Synapsen, Störungen bei sich entwickelnden Nervenzellen oder es kommt zu Beeinträchtigungen in der Ausdifferenzierung funktioneller Neuronenverbände (Amygdala, Hippocampus, anteriorer Gyrus cinguli, präfortaler Kortex). Vermutet wird eine spezifische Vulnerabilität im Bereich des limbischen Systems und des Hirnstamms der rechten Hirnhälfte, da Funktionen wie Bindungs- und Beziehungsverhalten, Affektregulation und Stressmodulation primär rechtshemisphärisch gesteuert werden. Sichere Bindungserfahrungen gelten demzufolge als Voraussetzung für eine effiziente neuronale Vernetzung und für die Balance der Stressachse im kindlichen Gehirn.1
In der Psychopathologie (= Lehre von den Leiden der Seele) können somit Bindungsdefizite eine mögliche Ursache für eine Erkrankung beim Erwachsenen sein. Neurowissenschaftliche Studien belegen heute, dass frühkindliche Erfahrungen an der Ausbildung des Netzwerkes an Neuronen im Gehirn maßgeblich beteiligt sind und unsere Persönlichkeit formen. Wird zum Beispiel ein zweijähriges Kind durch seine Bezugsperson des Öfteren lautstark getadelt, so wird dieser Reiz direkt in der Großhirnrinde verarbeitet. Ähnlich einer „Narbe“ schreibt sich diese Wahrnehmung unlöschbar im impliziten Gedächtnis fest (Priming) und führt unter Umständen selbst noch im Erwachsenenalter zu einer Angststörung oder zu einer unsicheren sozialen Kompetenz, ohne dass die betreffende Person um die eigentliche Ursache für eine solche Störung weiß. – Hat das Kind jedoch einen engen Körperkontakt zur Mutter, die sich ihm empathisch zuzuwenden vermag, entwickelt sich ein Beziehungsverhalten, das vom Kind positiv verinnerlicht wird. Diese inneren Gedächtnisinhalte (Repräsentanzen) durch frühe Beziehungserfahrungen sind so stark, dass ihre unbewusste Festschreibung in der Großhirnrinde unmittelbar über den Grad an Wohlbefinden, sowohl beim Kind als auch beim Erwachsenen, entscheidet. Heute ist bekannt, dass die ersten drei Lebensjahre und die mit ihr erfahrene Sozialisation maßgeblich mit der Ausbildung unseres neuronalen Netzwerkes im Gehirn zusammenhängen. Diese Struktur bestimmt letztlich sogar, wie wir unsere Beziehungen (Partnerschaften, Freunde …) suchen und gestalten. Ein Kind wird somit nur dann zu einer starken Persönlichkeit, wenn ihm seine Bezugspersonen immer wieder vermitteln, dass es gehört, gesehen und wahrgenommen wird, dass es nicht allein ist. Dass es gut ist, so wie es ist, weil es in seiner Art wertvoll und einzigartig ist. Dass es geliebt ist.
Nicht gelebte Gefühle und seelischer Schmerz
Geben wir unseren Gefühlen nicht den gebührenden Raum, drücken wir Gefühle wie Traurigkeit, Wut, Zorn, Ärger, Verbitterung und Groll über einen Verlust, Schmerz, eine bestimmte Erfahrung, eine erlittene Verletzung usw. nicht aus und sammeln wir diese unter Umständen über Jahre/Jahrzehnte gar in uns an, bewegen sie sich immer mehr in Richtung Körper und drücken sich dort dann über Erschöpfungszustände, Stress-Symptomatik und diverse Krankheiten aus. Ähnlich körperlichen Verletzungen und den daraus resultierenden Schmerzen können auch seelische Verletzungen sehr schmerzhaft sein. Werden sie nicht wahrgenommen und gefühlt, zeigen sie sich meist in Form chronisch entzündlicher Prozesse. Seelischen Schmerzen liegt oft ein Gefühl von tiefer Kränkung, Demütigung, Erniedrigung oder Misshandlung zugrunde. Sie entstehen vornehmlich dann, wenn unsere Erwartungen nicht erfüllt wurden, bzw. wenn unsere Grenzen von unseren Mitmenschen überschritten bzw. von uns selbst nicht gewahrt wurden. Oft fühlen wir uns dann ohnmächtig und schutzlos. Haben wir unsere Gefühle und unseren seelischen Schmerz viel zu lange unbeachtet gelassen und verdrängt, dann bringen sich diese Empfindungen noch Jahrzehnte später wieder in unser Bewusstsein, weil sie endlich wahrgenommen, empfunden und aufgelöst werden wollen. In aller Regel zeigen sie sich uns Jahre später über körperliche Symptome. Ihre Sprache ist dann meist der Schmerz.
Wir können all die alten Gefühle und den Seelenschmerz nicht abschütteln, bestenfalls in Schach halten, abspalten und verdrängen, so dass wir glauben, sie sind nicht mehr da. Doch ihre nicht gelebte Energie bleibt in unserem Feld. Kommen dann neue belastende Faktoren, angstauslösende Momente oder gar ein Auslöser dazu, der ein ganz bestimmtes altes Gefühl (= Emotion) aktiviert, dann zeigen sich uns diese mit all ihrer bis dahin nicht gelebten Kraft und entwickeln so eine Wucht, dass dies meist auf Kosten unserer Beziehungen geschieht, denn fehlt uns die Beziehung zu uns selbst, können auch im Außen keine wahrhaft glücklichen Beziehungen entstehen. Gibt es in uns selbst bzw. innerhalb unserer Herkunftsfamilie Blockaden, kann sich die Liebe niemals frei ausdrücken und fließen. Auch wenn wir die frühzeitige Auseinandersetzung mit beängstigenden Gefühlen noch so sehr scheuen, kommen wir nicht umhin, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal in unser Leben kommen. Unser Unterbewusstsein hat diesbezüglich alles schön brav und sorgfältig aufbewahrt und archiviert. Es wartet nur auf die entsprechend günstige Zeit, um uns dann mit unserer „Lernaufgabe“ herauszufordern, und erschafft uns so lange Situation um Situation, bis wir unsere „Hausaufgaben“ gemacht haben und uns die ursprüngliche Situation mit all den Gefühlen sowie dem Schmerz, der daran gebunden ist, noch einmal bewusst gemacht haben. Nur so hat dieser die Gelegenheit, dass wir ihn und damit uns selbst aus unserem selbsterschaffenen emotionalen Gefängnis befreien.
Die Geschichte meines größten Seelenschmerzes
Freitag, 29. November 2017 – 03.15 Uhr: Bin schon seit gut einer Stunde wach. Liege im Bett und versuche wieder Schlaf zu finden, doch es soll nicht sein. Wiederholt empfange ich die Botschaft von Erzengel Michael: „Drücke deine authentischen Gefühle auf eine kreative Weise aus, um sie freizugeben und anderen zu helfen, denen es genauso geht.“
Ich beginne zu beten: Immer und immer wieder die gleichen Worte, die uns Jesus gelehrt hat: Vater unser. – Ein Wort reiht sich an das andere. Kaum habe ich ein Vater unser beendet, beginne ich schon mit dem nächsten. Ich suche Ruhe und Geborgenheit im Gebet. Doch beides stellt sich nicht ein. Ich suche Schlaf und finde ihn nicht. Zwischendurch kommen mir immer wieder Michaels Worte in den Sinn. Ich bete weiter. Irgendwann muss ich doch wieder einschlafen. Es ist mitten in der Nacht. – Warum finde ich die Ruhe nicht mehr?
„Authentische Gefühle“ – Was sind denn meine authentischen Gefühle? – Was nehme ich denn gerade wahr, was mich so sehr am Schlafen hindert? – Was will sich mir zeigen? – Was lasse ich nicht zu? – Was versuche ich zu verhindern? – Welche Gefühle, welchen Schmerz?
Noch wehre ich mich dagegen, um diese Tageszeit etwas fühlen zu wollen. Jetzt ist Schlaf angesagt. … Das muss doch klappen, aber es klappt nicht. – Ich werfe mich von einer Seite auf die andere. … Macht alles keinen Sinn … Okay, Michael, du hast gewonnen.