Im Grunde genommen ist es wie ein dicker Nebel, der sich mir vor etwas Undefinierbarem zeigt. So gut ich kann versuche ich mich auf dieses schwammig neblige Etwas einzulassen, um die Gefühle dahinter wahrzunehmen. Überrascht stelle ich fest:
Es ist Angst. – „Existenzangst – Lebensangst.“ – Angst hält mich in dieser Umklammerung fest. Tiefe, unbändige Angst, die sich meiner bemächtigt. Die wie ein Blitz durch meinen Körper schießt. Die mich aufschrecken lässt. Die mich verzweifeln lässt. – Wie wird es wohl weitergehen? Stelle ich mich jetzt nachts um diese Zeit dieser Angst? Das ängstlich trotzige Kind in mir sagt „Nein!“. Der erwachsene Anteil in mir sagt „Ja!“. Okay, ich gebe nach. An Schlaf ist ohnedies nicht mehr zu denken. Alle Mühe vergebens. Ich stehe auf und stelle mich dem, was nicht länger zu vermeiden ist. „Dann, lieber Michael, bitte hilf mir diesen Schmerz anzunehmen, ihm nicht länger auszuweichen, vor ihm nicht länger davonzulaufen, sondern ihn mir direkt anzusehen. – Worum genau geht es? – Zeig mir die Ursache von alledem? – Bring mich bitte dahin und lass mich „erleben“, was „gesehen“ werden will.“
Ich bitte Michael, mich ohne Umwege hineinzuführen, direkt hinein in den Kern, in den immer wiederkehrenden Schmerz. Es dauert nicht lange, und ich verstehe, warum ich mich seit fast einer Stunde davor drücke, mir dies anzusehen. Was ich wahrnehme, ist eine Übermacht an Gefühlen, die ich nicht begreifen und schon gar nicht benennen kann. Diese Gefühle, sie springen mich wie aggressive, wütende und verletzte Tiere an. Sie beißen sich an mir fest. Ich versuche mich gegen sie zu wehren, sie abzuschütteln, doch es gelingt mir nicht. Sie fressen sich wie „Würmer“, wie „Maden“ tief hinein in mein ganzes „System“. – Und ich? – Ich verspüre nur Panik. – Und neben all dieser Panik, da existiert dieser tiefe und endlose Schmerz.
Es ist so dunkel. Ich zittere am ganzen Körper. Mir ist kalt. Es schauert mich. So hilflos wie ich bin versuche ich mit Schreien und Weinen auf mich aufmerksam zu machen, doch weit und breit ist keiner da. Keiner, der nach mir schaut. Keiner, der sich für mich interessiert. Keiner, der auf mein Weinen reagiert. Meinem Gefühl nach schreie ich mir die Seele aus dem Leib. Doch ich bleibe ungehört. Bleibe einfach ungehört. … Un-ge-hört!
Was ist los? – Warum bin ich so allein? – Warum ist da keiner, der mich wahrnimmt, der mich hört? – Ich komme mir vor wie irgendwo in einem Zimmer abgestellt. Unerreichbar für Gott und diese Welt. – Fühle mich so unglaublich allein. – Fühle mich von allen verlassen und mutterseelenallein. … Nach und nach bekomme ich zu diesen Gefühlen ein Bild. Ich sehe mich als Baby, als ein noch ganz kleines, unschuldiges Kind. Bin genau genommen erst drei oder vier Tage alt. Doch warum ist keiner da? – Wo bin ich? – Was ist los? – Alles ist auf einmal so anders. – So fremd ist mir diese Welt. – Wo überhaupt ist meine Mama? … Und mein Geschwister? – War das gerade eben nicht noch da?
„Allein, allein, allein! – Mutterseelenallein!“ – Diese „vier Worte“ haben sich mir wie ein „Mantra“ unbewusst als „Begleiter“ für dieses Leben eingeprägt. Sie ziehen sich wie ein „roter Faden“ durch mein Leben. Sind scheinbar tief verankert und verwurzelt in meiner kleinen Welt. Im Grunde genommen geben sie eine Situation wieder, in der ich mich wenige Tage nach meiner Geburt befand. Diese Gefühle, die ich damals bereits als Baby erlebt habe, diese Gefühle tiefer Ohnmacht, des Nicht-Gehört-Werdens, des Nicht-Gesehen-Werdens, des Allein-Seins, diese Gefühle des Ausgesetzt-Seins, Gefühle tiefer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, sie haften wie Kaugummi an mir. Diese Gefühle, diese Wunden – sie haben mich geprägt. Sind sie doch wie „Brandmale“. Wie „Feuermale“ mir tief ins Herz eingeprägt. Wie werde ich sie nur los? Die „Geister“, die ich damals anscheinend schon rief. …
Es gibt Verletzungen und Wunden, die keiner sieht. – Wunden der Seele, die keiner versteht.
Inzwischen bin ich – wenn ich mir mein Alter ansehe – zwar erwachsen. Und im nächsten Moment dann auch wieder nicht. Bin anscheinend irgendwo stecken geblieben und fühle mich seitdem in den entscheidenden Momenten meines bisherigen Lebens im Grunde genommen immer allein. Kennen Sie das Gefühl unter Menschen zu sein und dennoch so allein? Das Gefühl zu haben, keiner versteht sie, keiner hört sie, keiner sieht sie? Sie sind zwar eingebunden in ein soziales Gefüge, in eine Familie, in eine Partnerschaft, in einen Beruf, aber dennoch fühlen Sie sich im Grunde genommen doch immer nur allein. Mit all diesen Ängsten und Gefühlen allein. Doch warum allein? – Weil ich für diese Erinnerung mit all ihren Gefühlen bis gerade eben keine Worte gefunden hatte. Ich konnte sie nie wirklich benennen, mich damit anderen gegenüber auch nicht mitteilen. Sie verstehen lassen, was da an mir klebt. Es ist ein Gefühl wie stigmatisiert zu sein.
Warum habe ich mir dies so ausgesucht? – Wo verbirgt sich da der Sinn? Wie erschließt sich mir der Sinn? – Werde ich auf all dies Antworten finden? – Muss es überhaupt Antworten geben? Wieder einmal Fragen über Fragen. Lässt mich denn dieser „Kopf“ (Geist) so gar nie nicht los? Da ist dieser bohrende Geist, der so übermächtig ist und der wieder einmal mein Leben zu bestimmen versucht: Kopf – Geist – Denken – Haare … – Interessant, diese „Leidenschaft des Grübelns“. Mit ihr kam ich wohl schon in diese Welt. Doch damit ist es nicht getan. Die scheinbar stillen, aber Kraft zehrenden Wunden der Seele zeigen sich mir: Enttäuschung – Verrat – Betrug – mangelnde Wertschätzung – Verlust – eine frostig eisige Kälte – … und was für mich im Augenblick gerade das Schlimmste ist: dass da keiner da ist, der mich wahrnimmt, hört, nach mir sieht, mich tröstet oder gar einfach nur liebt. Im Grunde genommen zeigen sich mir bereits mit meinem Start in mein Leben die Wunden meiner Seele. – Endlich kann ich sie mir ansehen. Wie heißt es so schön? Besser spät als nie.
Symbiosetrauma – Können wir durch Verbundenheit belastet sein?
Ist der Begriff „Symbiose“ in der Biologie positiv besetzt, haftet ihm in der Psychologie durchaus etwas Negatives an, denn hier wird die Symbiose nur dann als positiv angesehen, wenn sie eine Beziehung beschreibt, in der Personen zusammenleben, die miteinander in einer guten, sich gegenseitig ergänzenden und nährenden Beziehung sind. Sind diese jedoch entweder gegenseitig voneinander abhängig oder besteht eine einseitige Abhängigkeit, dann läuft der Einzelne Gefahr, sich zu sehr im anderen zu verlieren. Leben wir als kleine Kinder noch sehr stark in einer Symbiose mit unseren Eltern, baut sich diese mit dem Älterwerden in der Regel immer mehr ab. Tut sie das nicht, spricht man sogar von einer krankhaften Symbiose. Vor allem dann, wenn wir als Erwachsene unser Wohlbefinden allzu sehr von anderen Menschen abhängig machen, bzw. so auf andere fixiert sind, dass wir uns selbst dabei übersehen. Dabei versucht die abhängige Person den anderen an sich zu binden und tut viel um die Beziehung aufrechtzuerhalten. Wenn es sein muss sogar mit Selbstaufopferung.
In der Beziehung zwischen Mutter und Kind entspricht die Symbiose einer ganz normalen und vor allem sehr wichtigen Entwicklungsphase während der Schwangerschaft und frühen Kindheit. Für die ersten neun Monate sind wir – was unsere Entwicklung angeht – über die Nabelschnur bestens versorgt und müssen uns um nichts kümmern. Unsere Bedürfnisse scheinen somit gestillt. Wir sind mit der Mutter zu einer Einheit verschmolzen und alles, was sie erlebt, erleben auch wir. Alle positiven, aber auch alle negativen Gefühle und Erfahrungen der Mutter gehen in dieser pränatalen Zeit über die Nabelschnur ungefiltert auf das Ungeborene über. Somit fühlen wir, was sie fühlt und teilen mit ihr Empfindungen der Freude und des Glücks, aber auch ihre Erwartungen, Ängste und Sorgen oder gar ihren Schmerz. – Was auch immer geschieht, wir teilen alle diese Erfahrungen mit ihr. – Spätestens nach neun Monaten kommt dann der Tag, an dem aus unserer anfänglich so perfekten Symbiose ein erstes Symbiosetrauma entsteht. Jetzt gilt es, den wohltuenden, kuscheligen Raum der Geborgenheit für immer aufzugeben. Wird die Nabelschnur durchtrennt, erleben wir diesbezüglich unseren ersten Schock, denn die Sicherheit und Geborgenheit, die vorher noch da waren, sind plötzlich für immer weg.
Auch wenn wir mit unserer Geburt den ersten entscheidenden Schritt in