Nicht immer ist eine derart gesunde Autonomieentwicklung des Kindes möglich, v. a. dann, wenn es während der Schwangerschaft oder vor bzw. nach der Geburt zu diversen Komplikationen kam. Liegen solch schwierige Startbedingungen vor, die eine sichere Bindung zwischen Mutter und Kind behindern, laufen die Bedürfnisse des Kindes im Hinblick auf Körperkontakt, Zuwendung und Liebe ins Leere, fühlt sich das Kind nicht wertgeschätzt, nicht (ausreichend) geliebt und ist emotional unterernährt. – Kommt dann noch ein Gefühl von Unsicherheit dazu bzw. bleiben im Verlauf der späteren Entwicklung die Bedürfnisse des Kindes weiterhin unerfüllt, so kommt es nicht zur vollständigen Abnabelung von den Eltern und wir entwickeln uns nur unzureichend zu einem autonomen, selbstsicheren und selbsterfüllten Menschen. In uns bleiben unerfüllte Bedürfnisse zurück, die wir scheinbar damit befriedigen, dass wir uns vermehrt um die Bedürfnisse anderer kümmern. So entstehen jedoch Verstrickungen und Abhängigkeiten, die mehr schaden als nützen. Gibt es bei den Eltern selbst auch unerfüllte Abhängigkeiten und Strukturen, weil sie aufgrund ihrer eigenen Biografie an Liebe und Zuwendung durch ihre Eltern ebenfalls zu wenig bzw. gar „nicht satt geworden“ sind, ist es ihnen nicht möglich, das Kind in die Selbstständigkeit zu entlassen. Aus eigener Bedürftigkeit binden sie so ihre Kinder wiederum an sich, um die damit einhergehenden ungelösten Gefühle nicht spüren zu müssen.
Derartig „frühkindliche Verstrickungen“ sowie die frühe Traumatisierung durch eine solch symbiotische Liebe bezeichnet der Psychotraumatologe Professor Dr. Franz Ruppert aus München als „Symbiosetrauma“2. Hat ein Kind derartige Verletzungen oder Traumata erfahren, kann das – je nach Sensitivität des Kindes – unter Umständen gravierende Folgen für die weitere Entwicklung der Persönlichkeit und Psyche haben. Übertragen auf den Bereich der Beziehung kann das zum Beispiel bedeuten: Da wir auf eine bestimmte Art und Weise hinsichtlich eines intensiven Kontakts mit der Mutter unerfüllt und somit auch „hungrig“ geblieben sind, suchen wir selbst noch als Erwachsene ständig nach ihrer Bestätigung, um uns ja endlich sicher und daseinsberechtigt zu fühlen. Bekommen wir diese Rückmeldung jedoch nicht, fühlen wir uns nicht angenommen, nicht gesehen. In diesen Fällen manifestiert sich nur allzu leicht der Glaubenssatz in uns: „Ohne eine Bestätigung von dir bin ich nicht wertvoll genug. Bin nicht gut genug. Kann meinen eigenen Wert weder wahrnehmen, noch fühlen.“ …
In uns bleibt diese unerfüllte Beziehung zurück, die wir dadurch zu kompensieren versuchen, indem wir uns vermehrt um die Bedürfnisse anderer kümmern, um uns selbst auf diese Art eine Daseinsberechtigung zu geben. Doch in uns selbst bleiben wir „unfrei“ und mit der Mutter verstrickt. Sind ewig Suchende nach dieser Liebe. Wer diese sucht, der findet sie nicht. Je mehr er sucht, umso mehr entzieht sie sich ihm, denn sie will nicht im Außen gefunden werden, sondern erst in der Person selbst, die nach ihr sucht. Erst dann stehen wir sozusagen mit beiden Füßen in der Welt und können endlich nach der physischen Geburt – die mitunter schon Jahrzehnte zurück liegt – auch psychisch geboren werden. Erst mit der Liebe zu uns selbst sind wir wirklich beseelt und können ein Leben in wahrem Glück mit viel Leichtigkeit und Freude leben. Ruhen in uns, fühlen uns erfüllt und können wahrhaft gesunde Beziehungen pflegen, weil wir endlich in der Beziehung zu uns selbst angekommen sind. Sie ist der Schlüssel für ein in jeglicher Hinsicht erfülltes Leben.
Gelingt uns dies nicht, suchen wir uns im Außen solange Partner und Freunde, von denen wir uns erwarten, dass sie zumindest zu einem Teil die Leere, die wir in uns fühlen, ausfüllen können. Im Grunde genommen wählen wir unbewusst die Freunde und Partner, die sich genauso verhalten wie unsere Mütter und halten an diesen Beziehungen fest, auch wenn sie uns nicht oder viel zu wenig erfüllen. Unbewusst leben wir mit ihnen all die Programme, die wir uns als Abwehr-, Anpassungs- und Überlebensstrategien bereits in jungen Jahren angeeignet haben, um bloß nicht alleine zu sein, denn sonst müssten wir unsere eigene Leere fühlen und bewusst durch den Seelenschmerz und die damit verbundenen Gefühle tiefer Traurigkeit, die wir bislang verdrängt haben, gehen. Allzu leicht wählen wir nach einer Phase des ersten Verliebt-Seins und der daraus resultierenden Euphorie beseelt von dem Glauben, den richtigen Partner gefunden zu haben, unbewusst Beziehungsarrangements, die uns immer und immer wieder aufs Neue erleben lassen, dass da auch weiterhin ein unerfüllter Hunger nach der wahren Liebe in uns lebt.
Solange es beide Partner vermögen, sich hinsichtlich ihrer Bedürfnisse zu ergänzen bzw. einen für beide guten Mittelweg (Kompromiss) zu gehen, kann eine solche Partnerschaft sehr harmonisch und durchaus auch erfüllend sein. Doch der nach wahrer Liebe Suchende bleibt genauso ein Suchender wie ein Träumer ein Träumer bleibt. Und wenn die Seifenblase der Illusion von einer gesunden Beziehung zerplatzt, dann wird die traurige Wirklichkeit Realität. – Dann erkennen wir, dass sich beide Partner gefunden haben und zusammengeblieben sind, um immer und immer wieder ihr Symbiosetrauma unbewusst zu re-inszenieren, denn jeder von uns hat sein ganz eigenes Thema mit seiner Mutter. Jeder von uns hat ihre Präsenz in seinem Leben auf eine ganz eigene Art erfahren, erlebt und gefühlt. In diesem Prozess des Erlebens ähneln sich nicht einmal die Geschwister. Je nach Persönlichkeit und psychischer Standfestigkeit des Einzelnen wird es sehr unterschiedlich erlebt. Doch indem ich diesen Prozess so beschreibe, will ich keineswegs die Mütter anklagen, enttäuschen, kränken oder gar verbittern. – Ganz im Gegenteil. – Ich will unser aller Bewusstsein vielmehr dahingehend schärfen, wie wichtig die Aufgabe ist, Mutter zu sein, und an dieser Stelle betonen, dass ich fest davon überzeugt bin, dass jede Mutter stets ihr Bestes gegeben hat bzw. gibt, denn auch sie ist wiederum ein Kind ihrer eigenen Mutter, trägt ihre eigene Biografie in sich, sowie auch die Geschichte unserer Ahnen.
Nach Prof. Dr. Ruppert Frank lässt sich Trauma definieren als „ein Erlebnis, das das Ich des Betroffenen zum Verschwinden und seinen Willen zum Erlahmen bringt. Trauma bedeutet Aufgabe und Verlust des gesunden Ichs und des klaren Willens. Es führt zur Unterordnung unter ein „Wir“, das einem mehr schadet als nutzt, oder zur blinden Rebellion dagegen. Es führt zu endlosen symbiotischen Verstrickungen zwischen Menschen, die alle traumatisiert sind und den Weg daraus nicht mehr von alleine finden können.“
Transgenerationales Trauma – Generationsübergreifendes Trauma
Menschen, die Traumata aus der Eltern- oder Großelterngeneration in sich tragen, haben es neben ihren eigenen Erlebnissen und Gefühlen zusätzlich mit einer Flut von Gefühlen und Ereignissen zu tun, die nicht die ihren sind. Auch wenn wir versuchen diese irgendwie zu verarbeiten, so können wir dies nicht, denn wir können immer nur unsere eigenen Gefühle lösen. Diese fremden Gefühle, die wir da in uns aufgenommen haben, verhalten sich anders als unsere eigenen. Man könnte auch sagen: Sie führen unter ihren eigenen Vorzeichen ihr eigenes Leben in uns.
Woran lassen sich Trauma-Folgestörungen erkennen?
man kommt nicht mehr zur Ruhe, kann nicht mehr entspannen, innerer Stress
das Nervensystem ist permanent in Alarmbereitschaft
ausgebrannt-Sein und Erschöpfung
körperliche Schmerzen, chronische Entzündungen, schwaches Immunsystem
Gefühle tiefer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit
Schlafstörungen, erhöhte Wachsamkeit, Schreckhaftigkeit
Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Reizbarkeit