Doch es dauerte, bis ich all dies immer mehr begriff. Bis ich aus einem anderen Verständnis heraus wieder auf mein Leben schauen und das Geschehene annehmen konnte. Es dauerte seine Zeit, bis ich mich mit all dem ausgesöhnt hatte, was ich mir bewusst wie unbewusst an Lernaufgaben in dieses Leben geholt hatte. Es dauerte seine Zeit, bis ich im Frieden war mit dem, was mir von meinem bisherigen Leben geblieben war. Versöhnt mit all diesen Lebens- und Lernsituationen, beruflich und privat. Versöhnt mit den Menschen, die mir meiner damaligen Überzeugung und ersten Interpretation nach so viel Herz-Schmerz zugefügt hatten. Versöhnt mit all diesen „Spiegelpartnern“, die ich mir als „Lernpartner“ ausgesucht hatte. Und ganz wichtig!!! – Versöhnt mit mir selbst!
Zum Glück bin ich ein sehr neugieriger und wissbegieriger Mensch. Und da ich mir nun schon einmal diese Realität im Außen so erschaffen hatte, wollte ich wenigstens um die Ursachen wissen, die letztendlich zu diesem „Crash“ geführt hatten. Ich wollte diese unbändige Kraft dahinter verstehen. Wollte wissen, wann genau ich von meinem Weg abgekommen war. Dem Weg, von dem ich so lange geglaubt hatte, dass er der richtige für mich ist. Ich wollte mir dies alles Stück für Stück ansehen, denn ich wusste, nur so kann ich über kurz oder lang meinen Frieden mit all dem machen. Nur so kann ich meine innere Ruhe und mein Gleichgewicht wiederfinden. Und so machte ich mich – zunächst unfreiwillig und ungewollt – auf meinen Weg. Einen sehr steinigen und unbequemen Weg. Auf einen Weg durch viel Geröll. Doch wie heißt es so schön? – Es gilt, Krisen und Konflikte als Chancen zu sehen.
„Neue Wege: Ein neuer Weg ist immer ein Wagnis.
Aber wenn wir den Mut haben loszugehen,
dann ist jedes Stolpern und jeder Fehltritt ein Sieg
über unsere Ängste, unsere Zweifel und Bedenken.“
Verfasser unbekannt
Der Weg ist das Ziel
Mit Krise und Krankheit in meinem Gepäck machte ich mich mit den Kräften, die ich noch hatte, auf einen neuen Weg. Auf meinen ganz persönlichen „Pilgerweg“, der direkt vor meiner Haustüre begann. Der mich aber nicht nach Santiago de Compostella, nach Assisi, nach Rom oder sonst wohin führte, sondern zunächst in den Klinikalltag. Und erst danach wieder Schritt für Schritt zurück in eine andere Lebenswelt, fernab von Schule, fernab von Familie, fernab von Partnerschaft, fernab von Freundschaften. Es begann eine Reise, eine Wanderschaft, die mich tagaus, tagein ziemlich forderte. Deren Strapazen nicht in gelaufenen Kilometern zu bemessen waren. Manchmal wusste ich nicht einmal mehr ob ich mich überhaupt nur einen Millimeter von der Stelle bewegt habe. Ja, es gab sogar etliche Momente, in denen ich glaubte, dass ich nicht vorwärts, sondern rückwärts ging. Es war eine Zeit, in der ich die Welt nicht mehr verstand. Ich war nur noch auf Rückzug von dieser „Schein-Welt“ gepolt, die mich umgab. Ich konnte nicht mehr. Wusste mit all dem nichts mehr anzufangen. – Unten war oben! Oben war unten! – In allen Bereichen meines Lebens knisterte es. Alles war nur noch das reinste Chaos. Ein heilloses Durcheinander. Und ich selbst hatte dabei jegliche Ordnung, Struktur und Sicherheit verloren.
Das, was mir die Therapie brachte, war, dass ich wenigstens insoweit wieder in mein Leben zurückfand, dass ich mit mir alleine im Alltag klarkam. Dass ich wieder so etwas wie einen Tages-Rhythmus fand. Dass ich wieder ein Fünkchen „Hoffnung“ am Horizont aufblitzen sah. Dabei erinnerte ich mich an Worte, die ich während meiner Kindheit des Öfteren von meiner Mutter gehört hatte: „Und wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her!“
Da ich die Zeit der Krankschreibung für mich persönlich bestmöglich (da ist er wieder der „Leistungsgedanke“, mein bester Freund J) nutzen wollte, begann ich mich diesem „Puzzle meines Lebens“, das so heillos durcheinandergeraten war, mit viel Hingabe, Sorgfalt, Wertschätzung und Liebe zuzuwenden. Und mit jedem Tag, an dem mir dies gelang, konnte ich nach und nach wieder so etwas wie Lebenswillen und Kraft generieren. Was ich vorfand war manchmal oft nur ein Häufchen Elend. Dann musste ich aufpassen, dass mich die Welle des Selbstmitleids nicht übermannte, denn diese Gefahr schwang natürlich immer noch mit. Sie war Tag und Nacht potentielle Begleiterin. Doch ich versuchte ihr zu trotzen, ihr zu widerstehen, so oft ich sie erkannte und so gut ich konnte. Das Wichtigste für mich war, meinem Alltag wieder eine Struktur zu geben und mir selbst den Glauben an mich zurückzugeben. Den Glauben, sowie das Vertrauen in mich, das ich so sehr verloren hatte. Doch das war eine gewaltige Herausforderung für mich, denn es gab urplötzlich ja keine „To-Do-Liste“ mehr, die ich „schön brav abarbeiten“ konnte, und an der ich meine erbrachte Leistung für diesen Tag bemessen konnte. Es gab stattdessen nur Fragen über Fragen. Und die meldeten sich. Sie drängten nach einer Antwort. So begann für mich eine Zeit, in der ich eine „Suchende“ war. Manchmal eine sehr verzweifelt Suchende. Gefühlter maßen drehte ich jeden Stein um, der sich mir in den Weg legte, um darunter nach einer Antwort zu suchen. Mein Rettungsanker war, dass ich sehr viel Zeit hatte. Zeit für mich. Diese Zeit war purer Luxus. Diese Zeit war ein unglaubliches Geschenk für mich. – Doch ich musste erst lernen, gut, klug und weise mit diesem Geschenk an Zeit umzugehen. Musste lernen, sie effektiv zu nutzen. Sie für mein Wohlergehen und meine Heilung einzusetzen. – Und das tat ich. Was mir dabei half, war die Liebe zur Literatur und zum Schreiben. – Beides meine ultimativen Rettungsanker! – Mit beiden konnte ich mir Halt geben. Mit beidem konnte ich meinem Tag Struktur geben. Mit beiden konnte ich mir Raum geben. Mit beiden konnte ich diese neu gewonnene Zeit für mich auf das Beste ausfüllen und nutzen. Mit beiden konnte ich mich auf den Weg machen, um meine Seelen-Landschaft zu ergründen, meine Schatten zu entdecken und sie mir bewusst und vertraut zu machen. Beides war Balsam für mich. Balsam für mich und meine Seele.
Lehr- und Studienjahre
Und so begann für mich die Zeit meines „Selbststudiums“. Dabei habe ich mir aus den Lehrjahren der Krise, des Burnouts, der Depression und des PTBS etc. sogenannte Studienjahre gemacht und begann mehr denn je Fragen zu stellen. Fragen wie: Was ist die Botschaft dahinter? – Was habe ich bislang versäumt? – Was habe ich zu lernen? – Was will mich das Ganze lehren?
Die entsprechenden „Dozenten“ kamen dabei sehr oft in Gestalt von Büchern zu mir. Sie kamen wie „rettende Engel“ zu mir. Jeder Griff ins Regal war wie ein „Volltreffer“ für mich. Und ob Sie’s glauben oder nicht: jetzt half mir sogar mein „kritischer Verstand“. Er zeigte mir eins ums andere bestimmte Schatten-Themen auf. So fing mein Selbststudium an. In erster Linie waren es Bücher aus den Bereichen der Psychologie und Pädagogik, der Neurowissenschaften, der Epigenetik, der Philosophie, der Spiritualität und der Persönlichkeitsentwicklung. Hier entdeckte ich so vieles, was so spannend und neu für mich war. – Und all dieses Neue, das tat mir richtig gut. Das alles zu lesen erforderte so sehr meine Aufmerksamkeit, dass ich dadurch von meiner eigenen Geschichte abgelenkt war. Und das war letztlich meine allerbeste Therapie. Das Schönste an der Lektüre dieser Bücher war, dass ich nicht mehr länger ohnmächtig blieb, sondern dass ich mit dem Studium dieser Bücher wieder in ein Handeln kam. – Da gab es mitunter so viele gute Impulse, so viele gute Ratschläge, so viele gute Hinweise und Empfehlungen. Und so erschloss sich mir mittels der Lektüre mitunter eine ganz andere Welt. – Ich hatte meine Liebe zu den Selbsthilfe-Büchern entdeckt. – Und an dieser Stelle danke ich all den Psychologen, Therapeuten, Medizinern, sowie all den spirituellen Autoren und Lehrern, die mir in all dieser Zeit zu wichtigen Lebensbegleitern wurden (siehe Literaturliste).
Mit Hilfe der Lektüre dieser Bücher fing ich an, mich selbst durch meine Lebensthemen zu coachen. Und habe nebenbei geschrieben, geschrieben und geschrieben. Neben dem Lesen wurde das Schreiben zu einer immer größeren Leidenschaft für mich. Ich habe zwar immer schon viel und gerne geschrieben, doch jetzt nahm dieses Schreiben noch einmal ganz andere Formen an. Es wurde für mich eine Art von „Selbst-Therapie“. Dies alles hat mich inzwischen zu der Person gemacht, die ich heute bin. Und so begann die bisher aufregendste und spannendste Reise meines Lebens. Eine Reise, die mich mitunter extrem gefordert hat. Doch heute sage ich: Sie