Vom Angsthasen zum Liebesküken. Luna Lavesis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Luna Lavesis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783906212876
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müsste, wenn man eine erfüllte Partnerschaft leben wollte. Ich fragte mich, ob meine Reise nach Schottland mir dabei behilflich sein würde, mein eigenes Licht wieder leuchten zu lassen und zögerte – in der Hoffnung, die Flamme der Liebe in meiner Hand würde mich auf meinem Weg durch die Dunkelheit führen – den Moment des Auslöschens so lange wie möglich hinaus.

      Am ersten Weihnachtsfeiertag begleitete ich Scarlett zu ihrer Glaubensschwester Amber, in deren Wohnung ich mit einem köstlichen und traditionellen Christmas-Dinner in die Weihnachtstradition Großbritanniens eingeführt wurde: Truthahn und Süßkartoffeln dampften auf dem liebevoll dekorierten Tisch in der Küche, während der Plumpudding noch im Kühlschrank wartete. Dazu wurde ein Glas Wein gereicht, und selbst Scarlett, die, wie ich herausgefunden hatte, alkoholische Getränke normalerweise ablehnte, ließ ihn sich schmecken. Nach dem reichhaltigen Schmaus saßen wir mit vollgefressenen Bäuchen zum sogenannten Christmas Tea vor dem Fernseher und lauschten den Worten der Queen. Wir sprachen über die Höhe-, Tief- und Wendepunkte in unserem Leben und tauschten anschließend Buchempfehlungen aus, die unser Leben positiv beeinflusst hatten. Ich empfand die Gesellschaft der beiden Schottinnen und die Wärme, die nicht nur von meiner dampfenden Tasse Schwarztee ausging, sondern auch von Herz zu Herz spürbar war, als äußerst wohltuend. Es fühlte sich stimmig an, Weihnachten einmal auf völlig neue Art und Weise zu feiern, jenseits der Traditionen meiner Herkunftsfamilie und in räumlicher Distanz zu meiner Heimat.

      Da ich beabsichtigte, Schottland und seine Bewohner auch über die Grenzen von Bruntsfield hinaus kennenzulernen, hatte ich von meiner Homebase bei Scarlett aus schon für den zweiten Weihnachtsfeiertag eine weitere Unterkunft organisiert und surfte mit einem kleinen Tagesgepäck zu meinem nächsten Gastgeber am Nordrand der Stadt. Luigi bot mir nicht nur eine Couch an, sondern ein äußerst komfortables, wohnlich eingerichtetes Gästezimmer seines luxuriösen Appartements. Dieses wiederum war Teil eines stattlichen Schlosshotels, welches von Gästen vor allem für geschäftliche Anlässe und private Feierlichkeiten wie Hochzeiten heimgesucht wurde. Staunend betrachtete ich das von einem großen Waldgebiet umgebene Anwesen, als ich aus Luigis grauem Sportwagen stieg. Er hatte mich in seinem Zweisitzer von der nächstgelegenen Bushaltestelle abgeholt und erwies sich auch im Laufe des Abends als wahrer Gentleman. Der sympathische Mann Mitte vierzig stammte ursprünglich aus Italien, wie er mir erzählte. Er hätte zwischenzeitlich einige Jahre in England gelebt, bevor er sich in Schottland niedergelassen hätte, und verdiente seinen Lebensunterhalt nun damit, Hotels, die in finanziellen Schwierigkeiten waren, zu verwalten oder neu zu eröffnen und Hoteleigentümer zu beraten und zu unterstützen. So hätte er auch dieses Anwesen zum Laufen gebracht und sich damit gleichzeitig seinen Kindheitstraum erfüllt, in einem Schloss zu wohnen.

      Mit weit aufgerissenem Mund betrat ich mein gemütlich eingerichtetes Doppelzimmer und ließ mich auf eines der beiden Einzelbetten plumpsen, welches mit glänzender Satinbettwäsche bezogen und mit zahlreichen Kissen für mich hergerichtet war. Nachdem ich mich in dem königlichen Badezimmer mit goldfarbenen Armaturen etwas frisch gemacht hatte, setzte ich mich nebenan zu Luigi auf die Couch im Wohnzimmer, der mir sogleich einen Teller mit rohem Staudensellerie und Minikarotten anbot.

      Luigis achtsames und ausgewogenes Ernährungsverhalten hatte ihm, zusammen mit seiner Vorliebe für regelmäßige körperliche Betätigung, einen von Fitness strotzenden Körper beschert, der für sein Alter ausgesprochen ansehnlich war. Trotz seiner gesunden Ernährungsweise schien er aber dem Alkohol zumindest an diesem Abend nicht abgeneigt. Während wir uns über die Kraft der Gedanken und die Kunst des Manifestierens austauschten und das am Ziel vorbeischießende staatliche Schulsystem kritisch unter die Lupe nahmen, befeuchtete eine gute Flasche Rotwein unsere redseligen Kehlen. Ich genoss unsere intensive Unterhaltung, die mit den Inhalten, die ich kürzlich bei Robert Betz gelesen hatte, auf überraschende Weise in Einklang zu stehen schien. Amüsiert dachte ich an den Ehemann meiner Cousine, von dem ich vor vielen Jahren schon Ähnliches gehört hatte wie von Luigi und der mir damals schon zu erklären versucht hatte, dass alles ein Gedanke wäre, bevor es materielle Wirklichkeit würde. Während ich ihn damals mit großen Augen angestarrt und an seinem Verstand gezweifelt hatte, verspürte ich nun eine seltsame Resonanz zu dem, was Luigi sagte, was mit wachsender Sympathie für meinen neuen Gastgeber einherging. Freudig teilte ich mit ihm meine Vision einer Schule, die frei von Notendruck und Leistungsgedanken das Wohl und die Interessen der Schüler in den Mittelpunkt stellte. Angetan lauschte ich Luigi, der mir zunächst erklärte, dass wir unsere Wirklichkeit selbst erschaffen würden, und dann bekräftigend schilderte, wie er selbst seine Träume in der Vergangenheit verwirklicht hätte. Dass er nun tatsächlich in einem Schloss lebte, so, wie er es sich als kleiner Junge gewünscht hatte, konnte ich mit meinen eigenen Augen sehen. Ich fühlte mich verstanden und fand unser Gespräch ermutigend und inspirierend. Ich gestand mir innerlich mit einer gewissen Traurigkeit ein, dass ich einen solchen Austausch mit Philippe zunehmend vermisst hatte. „Können wir denn gar keine ‚normalen‘ Gespräche mehr führen und uns einfach mal darüber unterhalten, wie unser Tag so war, Annie“, hatte er mich eines Tages gereizt angefahren, als ich wieder einmal damit anfing, die Unordnung im Außen, sprich die immer größer werdenden Papierhäufchen auf unserer gläsernen Bar in der Küche für ein Spiegelbild der Unordnung in seinem Inneren zu halten.

      „Hast du schon mal von den Gesprächen mit Gott gehört?“, fragte mich Luigi und holte mich zurück ins Hier und Jetzt. „Die könnten dich interessieren. Es sind drei Bände. Der Autor heißt Neale Donald Walsch.“

      Ohne zu zögern griff ich nach meinem Handy, um Luigis Information als Notiz darin abzuspeichern. „Neale Donald wie?“, fragte ich nach. Ich hatte stark den Eindruck, dass diese Information wichtig für mich wäre, ohne erklären zu können warum.

      „Neale Donald Walsch. Walsch mit s-c-h. Er ist Amerikaner.“ Luigi schmunzelte, und nachdem ich mein Handy wieder beiseitegelegt hatte, fragte er plötzlich: „Hast du Lust auf eine Schlossführung? In einer der Bars müsste noch eine zweite Flasche Wein zu finden sein.“

      Aufgeregt nickte ich ihm zu und konnte kaum glauben, dass ich um kurz nach Mitternacht eine private nächtliche Führung durch das spektakuläre Hotel, welches vor über achthundert Jahren von einer edlen schottischen Familie erbaut worden war, angeboten bekam. Augenblicke später liefen wir die riesige, mit einem Teppich überzogene Treppe hinab, vorbei an altertümlichen Gemälden, vor denen wir hin und wieder Halt machten, weil Luigi mir eine Geschichte dazu erzählte. In einem der Festsäle verschwand Luigi für einen kurzen Moment hinter der Bar und tauchte dann freudestrahlend mit einer Flasche Rotwein in der Hand wieder auf.

      „Manchmal ist es von Vorteil, sein eigener Chef zu sein.“ Lächelnd präsentierte er mir den guten Tropfen und wies mir den Weg zurück in sein Appartement, wo wir unsere Konversation auf seinem Bett fortführten. Von dort aus würde er, so machte er mich zumindest glauben, die ankommenden Besucher, die noch außer Haus waren, am besten bemerken. Der Portier wäre krankheitsbedingt ausgefallen und nun wäre er selbst, ausnahmsweise, für das Öffnen der Tür verantwortlich.

      Der unvermittelte Ortswechsel in Luigis Schlafzimmer löste plötzliches Unbehagen in mir aus, und ich spürte, wie die Gelassenheit in mir einer Anspannung wich, die mich dazu bewog, den Abend abrupt zu beenden und mich in mein fürstliches Gästezimmer zurückzuziehen. Schlaflos lauschte ich dem Sturm, der an den Fensterläden sein Unwesen trieb, und spürte mit einem Mal eine auftauchende dunkle Furcht, die sich über den lichtvollen Abend legte. Mutterseelenallein lag ich an einem Ort, der von nichts weiter umgeben war als weitreichendem Wald, endlosen Grünflächen und einer Flusswiese. Niemand würde mich hören oder mir zu Hilfe eilen, würde der charmante Italiener in seiner Residenz nur wenige Kilometer südlich von Edinburgh auf die Idee kommen, mir in seinem Gästezimmer, welches sich nicht einmal abschließen ließ, einen Besuch abzustatten. Ängstlich verkroch ich mich unter der Bettdecke und zuckte bei jedem noch so kleinen Geräusch zusammen, bis die Müdigkeit, verstärkt durch den konsumierten Alkohol, schließlich über die Angst siegte und meine Lider schwer werden ließ …

      Als ich am nächsten Morgen mit heftigen Kopfschmerzen und einem flauen Gefühl im Magen erwachte, war Luigi bereits bei der Arbeit. Ich schnappte mein Handy, welches neben meinem Bett auf dem antiken Nachtisch lag, und öffnete die Textnachricht, die ich erhalten hatte:

      „Guten