Don Antonio war den Tränen nahe. Es knallte wieder, und eben hatte es diese dröhnende Explosion gegeben, bei deren Klang er sich unwillkürlich die Ohren zugehalten hatte. Was war geschehen?
Er erfuhr es von dem Posten vor dem Schott der Achterdeckskammer. Eine Galeone die „San Gabriel“, hatte durch eine Felsenöffnung, offensichtlich die einzige Zufahrt zur Insel, ins Innere zur Erkundung vorstoßen sollen. Dabei hatte es sie zerfetzt. Offenbar waren es treibende Pulverfässer gewesen, die dazu geführt hatten, oder aber der Gegner verfügte über andere Geheimwaffen.
Er arbeitete mit allen Tricks, dieser Feind. Don Antonio spürte, wie seine Knie weich wurden. Seine Hände zitterten. Er vermochte es nicht zu verhindern. Die Angst in ihm war übermächtig, sie siegte über seinen Haß auf Cubera und die Engländer, gegen seine Raffsucht und die Aussicht, doch noch den Schatz der Schlangen-Insel zu erbeuten.
Überhaupt, Angst war das schlimmste Gefühl, das es gab. Sie fuhr in die Knochen und ließ einen nicht mehr los, sie saß würgend in der Kehle und trieb den kalten Schweiß aus allen Poren. Don Antonio gab eine Art erschüttertes Schluchzen von sich. Er malte sich aus, wie es gewesen wäre, wenn statt dieser „San Gabriel“ die „San José“ durch das Felsenloch in die Bucht der Teufelsinsel gesegelt wäre. Gräßlich – aber Cubera war zu jedem Wahnsinn fähig. Auch dazu. Würde die „San José“ das nächste Opfer dieser englischen Teufel sein? Ja, es war damit zu rechnen. Oben, auf den Decks, polterten die Schritte durcheinander, die Männer fluchten in allen Tonlagen. Sie schienen sich auf einen Vergeltungsschlag vorzubereiten. Vielleicht hatte sich dieser verrückte Kommandant sogar vorgenommen, auf der Insel zu landen.
Don Antonio stöhnte auf. Er sah schon, wie sich die Piraten mit verzerrten Gesichtern über das Schanzkleid schwangen und die „San José“ enterten. Gräßliche Fratzen tauchten vor seinem geistigen Auge auf, und er glaubte zu sehen, wie sie reihenweise die Seesoldaten niedermetzelten.
Dann rückten sie auch auf ihn zu, und einer von ihnen brüllte: „Du Fettsack, jetzt bist du dran! Wir schneiden dich in Stücke!“
Don Antonio hob den Kopf und blickte aus weit aufgerissenen Augen auf die gegenüberliegende Kammerwand. Der Tod war ein Ungeheuer, das jetzt in allen Ecken und Winkeln des Schiffes zu nisten schien. Der Tod hatte lange, kalte Krallen, die sich durch die Ritzen des Schotts und der Planken zu schieben schienen.
Tod – aber Don Antonio wollte nicht sterben. Nicht für den König, nicht für Cubera und nicht für die Nation. Eine Mannesehre hatte er ohnehin nicht, und das Vaterland konnte ihm gestohlen bleiben. Nur eins zählte für ihn: sein persönlicher Vorteil.
Doch er war seinem Schicksal jetzt ausgeliefert. Er hatte keine Möglichkeit mehr, es in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Zweimal hatte er es versucht, einmal durch einen Mordanschlag, einmal durch Geiselnahme und Erpressung. Beide Male war er kläglich gescheitert.
Wieder bereute er, kein Gift mitgenommen zu haben. Mit einer winzigen Dosis eines weißen Pülverchens hatte er schon oft Probleme beseitigt, die sich anders nicht lösen ließen. Zuletzt hatte Don Ruiz de Retortilla, der Stadtkommandant von Havanna, dran glauben müssen, der ihm auf höchst bedenkliche Weise gefährlich geworden war.
Doch er hatte kein Gift, und auch die doppelläufige Pistole, mit der er seinen Fluchtversuch unternommen hatte, war natürlich nicht mehr vorhanden. Er war machtlos und konnte nur noch abwarten, was weiter geschah.
Gerade das stimmte ihn so verzweifelt. Cubera hatte ihn in der Hand: Wenn er wollte, konnte er dafür sorgen, daß Don Antonio de Quintanilla ums Leben kam. Auf diese Weise würde er sich rächen und gleichzeitig einen unbequemen Zeitgenossen aus dem Weg schaffen.
Daß Cubera nicht der Mann war, der so üble Taten vollbrachte, vergaß Don Antonio in seiner panischen Angst. Cubera war es gewesen, der ihm zu dem Kammerarrest verholfen hatte, sonst wäre es längst um ihn geschehen gewesen, weil das Bordgericht, das Gomez Guevara zum Tod verurteilt hatte, mit Leichtigkeit auch ihn hätte hängen lassen können. Doch das vergaß Don Antonio völlig, und er empfand nicht die Spur von Dankbarkeit gegenüber dem Capitán Cubera, sondern nur tiefen Haß.
Don Antonio fluchte und stöhnte. Wenig später, als die Kanonen zu donnern begannen, preßte er wieder die Hände gegen die Ohren und jammerte um sein erbärmliches Leben.
Don Garcia Cubera hatte alles viel zu genau verfolgen können – das Eindringen der „San Gabriel“ in den Felsendom, dann die Explosion, bei der es die Pulverkammer des Schiffes mit einem enormen Getöse zersprengt hatte. In ohnmächtigem Entsetzen schloß Cubera die Augen, als es geschah, und für kurze Zeit wünschte er sich, dem Kapitän der „San Gabriel“ nicht den Befehl zu diesem Himmelfahrtskommando in die Bucht der Schlangen-Insel gegeben zu haben.
Aber es war falsch, sich jetzt etwas vorzuwerfen. Ein Befehl war ein Befehl, und die Seefahrt brachte stets Gefahren mit sich. Ein Soldat der Marine hatte den Tod immer vor Augen und wußte, daß er ihn eines Tages holen würde, unerwartet und brutal. Nur – Cubera hatte nicht angenommen, daß sich noch Menschen auf der Insel befanden und sie verbissen verteidigten.
Die vorherigen Rundumerkundungen der Schaluppen schienen eindeutig ergeben zu haben, daß die Insel geräumt worden war. Cubera hatte sich darauf verlassen und nicht mit Widerstand gerechnet. Somit konnte er sich doch nicht den stillen Vorwurf ersparen, einen Fehler begangen oder zumindest in diesem Punkt voreilig gehandelt zu haben.
Für Augenblicke stand er wie gelähmt auf dem Achterdeck der, „San José“. Die „San Gabriel“ war ein Totalverlust, es gab keinen einzigen Überlebenden, wie die Ausguckposten mühelos durch ihre Spektive erkennen konnten.
„Aus“, murmelte er. „Gott sei ihren armen Seelen gnädig.“
Aber noch im Schock des Erlebten brach die Wut in ihm durch. Er gab sich einen innerlichen Ruck, blickte zu seinen Offizieren und rief dem Ersten zu: „Signalisieren Sie den Kapitänen den Befehl, auszuschwärmen!“
„Ja, Señor!“
„Sie sollen das Feuer ringsum auf die Insel eröffnen, sobald wir unsere Kanonen zünden!“
„Ja. Aber wir haben dort immer noch keinen Gegner gesichtet.“
„Das spielt keine Rolle“, sagte Cubera schroff, dann ließ er seine Order durch Zuruf an die Achterdecks der anderen Galeone und der drei Karavellen weiterleiten.
Die sechs Schaluppenführer erhielten die Anweisung, zurückzubleiben und sich an der Kanonade nicht zu beteiligen. Sie bildeten die Reserve und die Nachhut, gleichzeitig aber auch die Patrouille, die darauf zu achten hatte, ob sich Schiffe der Insel näherten.
Die fünf Kriegsschiffe schwärmten aus und segelten auf eine Schußweite von etwa siebzig Yards von allen Seiten an die Insel heran. Die „San José“ hielt dabei die am weitesten nach Norden versetzte Position, während sich die zweite Galeone von Nordwesten auf das Zielobjekt zubewegte. Die Karavellen griffen die Südwest-, die Nordost- und die Südostseite an. In sternförmiger Formation schoben sie sich auf ein imaginäres Zentrum zu, an dem sich ihre Kurse kreuzten. Dieser Punkt lag – theoretisch – im Mittelpunkt der Bucht.
Cuberas Zorn hatte sich immer noch nicht gelegt. Don Antonio fiel ihm ein, und er sagte sich, daß es durchaus richtig sei, wenn auch der Dicke an dem Geschehen teilhatte, das jetzt seinen Anfang nehmen würde.
„Lassen Sie Don Antonio de Quintanilla holen“, sagte er zu seinem Ersten Offizier. „Ich will, daß er bei mir ist, hier, auf dem Achterdeck.“
„Señor“, sagte der Erste, der ahnte, welche Absicht hinter dem Befehl des Kommandanten steckte. „Ist das nicht zu riskant?“
„Glauben Sie, er springt ins Wasser?“
„Es wäre durchaus möglich.“
Cubera schüttelte den Kopf. „Sie