Es war eine Stunde vor Mitternacht, als Jonny seine Meldung aus dem Vormars brüllte.
„Feind in Sicht! Spanischer Verband voraus! Drei Galeonen und zwei Karavellen!“
Augenblicklich wurden die Männer an Deck hellwach. Ohnehin war es nur eine scheinbare Ruhe gewesen, in der sie vor sich hingebrütet hatten. Der Kanonendonner aus nordöstlicher Richtung war nicht zu überhören gewesen, sie hatten die beiden Verfolgerschiffe ständig vor Augen, und sie wußten, daß sich in dieser Nacht noch Entscheidendes abspielen würde. Gefechtsbereitschaft bestand seit der ersten Begegnung mit den Spaniern ohnehin. Die Stückpforten waren geöffnet, sämtliche Geschützrohre ausgerannt.
„Lausige Dons“, knurrte Piet Straaten, der am Ruder stand, „jetzt kriegt ihr Dampf unter dem Hintern, verlaßt euch drauf!“
„Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“, sagte Jan Ranse tadelnd. Er folgte Jean Ribault, der bereits an die Backbordverschanzung des Achterdecks getreten war, um die See voraus mit dem Spektiv zu beobachten. Auch Jan zückte sein Spektiv. Das Licht von Mond und Sternen reichte aus, um ein passables Bild zu liefern.
Die Dons segelten unter Vollzeug. Ihre Hecklaternen waren kleine flackernde Punkte vor den verschwommenen Umrissen der gebauchten Segel. Offenbar hatten sie noch nicht erkannt, daß es achteraus von ihnen einen bissigen Floh gab, der im Begriff war, ihnen in den Pelz zu springen und sie kräftig zu zwacken.
„Die haben Matsch auf den Augen und Bohnen auf den Ohren“, sagte Jan Ranse überzeugt. „Kriegen die denn überhaupt nichts mit?“
„Man soll sich selbst nicht zu wichtig nehmen“, entgegnete der schlanke Franzose lächelnd. „Wahrscheinlich denken sie, daß sie es gar nicht nötig haben, uns zu beachten.“
Augenblicke später änderte sich die Lage – schneller als erwartet.
Achteraus krachte es dumpf, dreimal kurz hintereinander.
Jean Ribault und Jan Ranse wirbelten herum. Über der Verfolgergaleone stiegen drei hellgraue Rauchbälle auf und verflüchtigten sich im Abendhimmel.
„Böller“, sagte Ribault dumpf. „Gar nicht so dumm. Der Bursche hat seinen Verbandsführer gewarnt.“
Das Ergebnis sahen sie wenig später. Spektive waren nicht mehr nötig, denn aufgrund der hohen Fahrt der „Le Vengeur“ verringerte sich die Distanz sehr rasch.
Capitán Cubera ließ seine fünf Schiffe in Dwarslinie aufmarschieren. Gleich darauf bildeten sie einen Halbbogen nach Osten, wobei die beiden Flankenschiffe zurückhingen.
„Eine teuflische Falle“, sagte Jan Ranse grimmig.
Jean Ribault nickte. Diese Falle würde sich allerdings nur dann schließen, wenn man den Fehler beging, in den Halbbogen hineinzusegeln. Außerdem gab es da noch die beiden Verfolgerschiffe, die man in die Rechnung einbeziehen mußte.
Ribault lächelte hart. Nein, er würde ihnen nicht den Gefallen tun, in die tödliche Sichel hineinzustoßen. Denn zur Zeit war es mehr als ungewiß, ob und wann mit Verstärkung durch die „Isabella“ und die „Tortuga“ zu rechnen war.
Ohne zu zögern, gab Ribault seine Befehle. Die Männer an Deck gerieten in Aktion, und Piet Straaten legte Ruder. Hart luvte die „Le Vengeur“ an, und die beiden Verfolger gerieten ins Hintertreffen. Zwar zogen sie mit, liefen jedoch nicht die Höhe, die der schlanke Dreimaster schaffte. Schon jetzt mußte den Verfolgern klar sein, daß die Männer auf der „Le Vengeur“ vorhatten, sich die Galeone an der Luvflanke des Verbandes vorzunehmen.
Deutliche Anzeichen von Nervosität wurden auf eben jener Galeone erkennbar. Befehlsgebrüll wehte herüber, Wuhling entstand auf der Kuhl. Dann schien der Kommandant der Galeone zu glauben, ein Kunststück fertigbringen zu können. Mündungsblitze zuckten an Steuerbord auf, und der Geschützdonner rollte grollend über die Wasseroberfläche. Aber der Versuch der Dons, ihre Stücke schräg nach Steuerbord achteraus auszurichten, mißlang kläglich, denn die Geschütze waren nur für einen Beschuß nach querab praktikabel eingerichtet.
So gab es lediglich imposante Fontänen, die weit vor der „Le Vengeur“ emporrauschten. Die Crew des Franzosen quittierte es mit höhnischem Gelächter.
„Klar bei Steuerbordgeschützen!“ brüllte Jean Ribault.
Minuten später folgte der entscheidende Moment. Die „Le Vengeur“ kreuzte das Kielwasser der Galeone in knapp hundert Yards Entfernung. Wummernd entluden sich die Culverinen und jagten ihren Eisenhagel auf das Achterschiff des Gegners zu. Triumphgebrüll der „Vengeurs“ brandete im nächsten Augenblick auf.
„Volltreffer!“ schrie Pierre Puchan begeistert, riß sich seine Perücke vom Kopf und schlug sich damit auf die Oberschenkel, während er über die Decksplanken hüpfte.
Die Galeone hatte mehrere Treffer in die Ruderanlage empfangen und drehte sofort in den Wind.
Jean Ribault dachte nicht daran, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Reaktionsschnell änderte er seine ursprüngliche Absicht, verzichtete auf die Luvposition und ließ die „Le Vengeur“ abfallen. An Backbord waren die Geschützmannschaften einsatzbereit.
Die Galeone lag mit schlagenden Segeln im Wind, und hilflos sahen die Spanier das Verderben herannahen, denn ihre Steuerbordstücke hatten sie noch nicht nachgeladen. In blankem Entsetzen mußten sie erleben, wie der Gegner seinen blitzschnellen Gegenzug verwirklichte und ihnen im Vorbeisegeln die Backbordbreitseite in den Rumpf schmetterte.
Das Krachen der Einschläge veranlaßte die Männer der „Le Vengeur“ zu abermaligem Triumphgebrüll. Ein Treffer rasierte den Bugspriet glatt weg. Die Blinde hatten die Dons nicht gesetzt. Zwei mächtige Löcher klafften in der Steuerbordwasserlinie. Und dann gab es einen geradezu teuflischen Zufall, als eine Kugel das Schanzkleid durchschlug und in einen Stapel bereitgelegter Kartuschen raste.
Eine fast masthohe Stichflamme zischte aus dem Kartuschenstapel hoch. Entsetzensschreie gellten. Rasend schnell breiteten sich die Flammen aus und fraßen sich gierig ins Segeltuch. Als brennendes Wrack sackte die Galeone achteraus.
Doch mit dem Triumphgefühl der „Vengeurs“ war es im selben Atemzug vorbei, als der warnende Schrei des Ausgucks gellte.
„Schaluppen voraus!“
Jean Ribault zuckte zusammen. An die Einmaster hatte er nicht mehr gedacht. Und schlagartig wurde ihm klar, warum er sie zuvor nicht hatte sehen können. Cubera hatte sie dem Verband als Vorpostenstreifen vorausgeschickt, und jetzt waren sie umgekehrt – sechs Schaluppen, die sich wie ein Rudel blutrünstiger Wachhunde auf die „Le Vengeur“ stürzten.
Die ersten Drehbassenschüsse bellten schon aus hundert Yards Entfernung. Jean Ribaults Männern blieb keine Zeit, die Geschütze nachzuladen. Ein mörderischer Eisenhagel schwirrte über die Verschanzungen.
„Volle Deckung!“ brüllte Ribault, und es schmerzte ihn auf grausame Weise, keinen anderen Befehl geben zu können.
Im nächsten Moment waren sie schon heran. Die Schaluppen halsten oder wendeten und fielen über die „Le Vengeur“ her, als wollten sie sich buchstäblich in ihre Beute verbeißen. Die Drehbassen hämmerten in rasender Folge, Musketenschüsse stimmten blaffend mit ein.
Gehacktes Blei und großkalibrige Kugeln prasselten in die Verschanzungen und sirrten haarscharf über die Decks und durch Balustraden. Jean Ribault und seine Gefährten konnten es nicht einmal riskieren; auch nur das Gesicht von den Planken zu heben. In letzter Sekunde war Jonny aus dem Mars abgeentert. Ribault atmete auf, als er ihn bei den anderen auf der Kuhl sah.
Unvermittelt wurde das Feuer der Schaluppen stockend. Den Grund konnten die Männer an Bord der „Le Vengeur“ nicht erkennen.
„An die Drehbassen!“ brüllte Jean Ribault und sprang als erster auf. Geduckt hastete er auf den Steuerbord-Hinterlader des Achterdecks zu. Auf der Back waren Grand Couteau und Dave Trooper im selben Moment im Einsatz, und Jan Ranse übernahm die andere Drehbasse auf dem Achterdeck.
Es